Bioethik Aktuell

Welttag der Suizidprävention: Jeder (assistierte) Suizid ist einer zu viel

Der Verfassungsgerichtshof berät am 19. September: Antragsteller wollen Verbot "aktiver Sterbehilfe" in Österreich kippen

Lesezeit: 05:38 Minuten

Österreich liegt bei der Gesamtzahl der Selbsttötungen noch immer über dem europäischen Durchschnitt. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind Suizide die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen. Gestiegen ist die Zahl auch durch 98 Fälle von "Beihilfe zum Suizid", was den internationalen Erfahrungen entspricht: Wo der Zugang zu Selbsttötungsmitteln erleichtert wird, erhöht sich Zahl von Suiziden. Das widerläuft der Suizidprävention, was der VfGH bei seinen kommenden Beratungen klar vor Augen haben sollte. 

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Im Jahr 2023 haben in Österreich 1.212 Personen Suizid begangen, das sind etwa dreimal so viele Tote wie im Straßenverkehr. Dies entspricht einer Suizidrate von 14 pro 100.000 Einwohnern. Zwar ist dank zahlreicher Präventionsmaßnahmen die Suizidhäufigkeit seit den 1980er-Jahren deutlich zurückgegangen. Seit 2022 ist allerdings wieder ein Anstieg der Selbsttötungen zu beklagen. Mit ein Grund dafür ist die Zunahme der Fälle von Suiziden unter Mitwirkung Dritter („Beihilfe zum Suizid“), die in Österreich seit 2022 unter bestimmten Bedingungen straffrei ist. 

Im Jahr 2023 wurden offiziell 98 assistierte Suizide gezählt, 54-mal bei Frauen und 44-mal bei Männern (Suizid und Suizidprävention in Österreich 2024). Als Todesursache wurde dabei jeweils eine Selbstvergiftungsdiagnose vergeben. Experten vermuten allerdings, dass wegen mangelhafter Dokumentation die Dunkelziffer weit höher liegt (Bioethik aktuell, 12.1.2024).

Wo andere „mithelfen dürfen“, steigt die Zahl der Selbsttötungen insgesamt

„Wir wissen aufgrund internationaler Studien, dass die Legalisierung der Suizidassistenz nicht zu einem Rückgang der ‚harten‘ Suizide führt. Im Gegenteil: Die Zahl der Selbsttötungen steigt insgesamt an“, betont Ethikerin Susanne Kummer anlässlich des Welttags für Suizidprävention am 10. September. De facto wird eine neue Methode zur Verfügung gestellt und damit werden auch neue Personengruppen erschlossen. Auffallend ist beispielsweise, dass sogenannte „harte“ Suizidtote zu 80 Prozent Männer, während Opfer von assistiertem Suizid vorwiegend Frauen sind (Bioethik aktuell, 8.3.2022).

Es sei Aufgabe des Staates, alle Mittel einzusetzen, um Suizide präventiv zu verhindern, statt sie zu fördern (Bioethik aktuell, 11.1.2024). „Eine Aufweichung des bestehenden Gesetzes kann daher keinesfalls im Sinne der Betroffenen noch der Gesellschaft liegen“, sagt die Direktorin des Wiener Bioethik-Instituts IMABE in Hinblick auf die kommende Herbst-Verhandlung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH). „Die Legalisierung und Erleichterung von Selbsttötungen höhlt de facto die Suizidprävention aus und verändert schleichend die Gesellschaft. Wenn Töten quasi als Therapieoption im Raum steht, macht das etwas mit uns – auch mit dem Gesundheitspersonal“, so Kummer.   

VfGH berät im September über Bestimmungen im „Sterbeverfügungsgesetz“

Laut dem VfGH (Pressemitteilung, 30.8.2024) wird am 19. September in einer öffentlichen Sitzung über mehrere Anträge beraten, die die Aufhebung des Verbots der Tötung auf Verlangen sowie die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der neu gefassten Bestimmung zur Mitwirkung an der Selbsttötung und die Aufhebung einer Reihe von Bestimmungen des „Sterbeverfügungsgesetz“ (StVfG) fordern. Ziel der Antragsteller, darunter die Österreichische Gesellschaft für ein Humanes Lebensende (ÖGHL), ist es, dass „aktive Sterbehilfe“ in Österreich legalisiert wird (Bioethik aktuell 6.7.2023). Zudem ist den Antragstellern die Gewissensfreiheit der Ärzte ein Dorn im Auge, wonach niemand verpflichtet werden kann, an einem Suizid mitzuwirken.

Neue IMABE-Info greift aus rechtlicher Perspektive das Thema Gewissensfreiheit und Freiwilligkeitsgebot im Kontext des Assistierten Suizids in Österreich auf

Bei Ärzten, Pflegekräften und in Gesundheitseinrichtungen hat die 2022 rechtlich geschaffene Möglichkeit der Mitwirkung an Suiziden durch Dritte große Verunsicherung und ethische Konflikte ausgelöst. Die Unsicherheit im praktischen Umgang mit Sterbe- und Suizidwünschen zeigt sich sowohl beim Personal als auch bei den Arbeitgebern. Die Rechtsunsicherheit betrifft das im Sterbeverfügungsgesetz normierte Freiwilligkeitsgebot, das sich auch auf juristische Personen (Institutionen) erstreckt.

Hier die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen Ausgabe der IMABE-Info 1/2024 im Überblick: 

1. Möglichkeit, nicht Anspruch

Im Dezember 2020 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass es ein Recht auf „selbstbestimmtes Sterben in Würde“ und auf die „Inanspruchnahme der Hilfe eines dazu bereiten Dritten“ gibt. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine individuell wahrnehmbare Möglichkeit und keinen Anspruch, der gegenüber anderen Personen geltend gemacht werden kann.

2. Eine Ablehnung ist in Einklang mit dem Gesetz

Der zum Suizid Entschlossene darf daher von keiner Person oder Institution verlangen, dass sie ihn bei seinem Vorhaben unterstützt. Personen und Einrichtungen, die assistierten Suizid ablehnen, handeln daher im Einklang mit dem Gesetz.

3. Bestehende Rechte Dritter bleiben bestehen: Ärzte, Mitbewohner, Gesundheitspersonal

Durch die Entscheidung das Verbot der Mitwirkung an der Selbsttötung aufzuheben, wurden zudem bestehende Rechte anderer Personen und Einrichtungen nicht aufgehoben. Ärzte und Pflegepersonal haben weiterhin das Recht, nach ihrem Gewissen zu handeln. Gesundheitseinrichtungen müssen nicht die eigenen Prinzipien über Bord werfen.
Auch Patienten und Bewohner in Pflegeheimen und Krankenhäusern haben das Recht, nicht etwa durch ungebetene Information gedrängt zu werden oder mit der Organisation und Durchführung eines assistierten Suizids in Berührung zu kommen.

4. Mitwirkung an Suiziden ist keine gleichrangige Option neben Suizidprävention

Weiterhin gültig bleibt außerdem das Recht auf Schutz des Lebens und damit auch die Anliegen der Suizidprävention. Im Hinblick darauf darf der assistierte Suizid nicht einfach als gleichrangige Option unter anderen behandelt werden.

5. Unterschiedliche juristische Positionen zur Frage der Duldung

Wie bei jedem neuen Gesetz gibt es im Zusammenhang mit dem Sterbeverfügungsgesetz Grauzonen, die von den Gerichten und den Rechtsanwendern konkretisiert werden müssen. Dazu gehört auch die Frage, ob ein stiller, selbstorganisierter assistierter Suizid in einer Gesundheitseinrichtung, die dies ablehnt, geduldet werden muss.

Die Meinungen der Rechtsexperten gehen hier auseinander. Einige vertreten die Meinung, dass eine Duldungspflicht besteht. Andere sehen keine grundsätzliche Duldungspflicht v.a. privater, konfessioneller Einrichtungen, unter ihnen der ehemalige Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs, Matthias Neumayer, Reinhard Resch oder Gerhard Huber .

6. Stimme der Gesundheitsberufe und gelebte Praxis sind wichtige Grundlage für Gerichte

Es liegt also in erster Linie an Ärzten, Pflegekräften und Gesundheitseinrichtungen, wie sie mit Sterbewünschen und dem Begehren nach assistiertem Suizid umgehen. Sollten Gerichte in Zukunft über die konkrete Auslegung des Freiwilligkeitsgebots entscheiden müssen, werden sie auch auf die gelebte Praxis schauen und daraus Argumente für und wider eine bestimmte Auslegung schöpfen.

7. Wunsch nach einem assistierten Suizid ist ein Hilferuf und braucht Zuwendung

Rein rechtlich gesehen, ist daher zu betonen, dass niemand in vorauseilendem Gehorsam und aus Angst vor einem potenziellen Gerichtsverfahren einem Wunsch nach assistiertem Suizid Folge leisten muss. Vielmehr sollten man sich vor Augen führen, dass der Wunsch nach assistiertem Suizid oft ein Hilferuf ist. Es ist eine Einladung, mit der betroffenen Person ins Gespräch zu kommen und gemeinsam nach Antworten zu suchen, warum sie „so“ nicht mehr weiterleben möchte und Lösungen und Abhilfen anzubieten.

Dies unterstreicht auch die Münchner Erklärung (9.6.2024) des DACH-Forum Suizidprävention und Assistieter Suizid: „Der Mensch, der um assistierten Suizid ansucht, ist ein Mensch in der Krise. Er hat das Recht, als Mensch in seinem körperlichen, psychischen und existentiellen Leiden wahrgenommen zu werden. Die rein normative Beurteilung des Begehrens nach Suizidassistenz als „Recht“ wird der Leidensrealität nicht gerecht. (…) Wie grundsätzlich bei suizidalen Menschen muss auch bei Verlangen nach assistiertem Suizid vorrangig eine von Personen und Institutionen der Suizidassistenz unabhängige fachliche Beratung und je nach Situation auch Therapie ermöglicht werden.“

IMABE-INFO 1/2024: Gewissensfreiheit und Freiwilligkeitsgebot im Kontext des Assistierten Suizids in Österreich - eine rechtliche Analyse
Mag. Antonia Busch-Holewik (IMABE), Stand: Juni 2024 (kostenlos abrufbar)

 

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