Pflegeheimbewohner werden häufig ins Krankenhaus eingeliefert, obwohl dies akut gar nicht nötig gewesen wäre. Abgesehen von unnötigen Kosten besteht dabei auch immer die Gefahr, dass sich der allgemeine Gesundheitszustand älterer Menschen im Zuge eines Spitalsaufenthalts verschlechtert. Unnötige Krankenhausaufenthalte sollten daher möglichst vermieden werden.
Eine aktuelle Projektstudie des deutschen Innovationsfonds zeigt nun, dass ein Drittel der jährlichen Krankenhauseinweisungen in Deutschland vermeidbar gewesen wäre. „Würden strukturelle und sektorenübergreifende Interventionen und Maßnahmen eingeführt, die die Versorgung in Pflegeheimen optimieren, ließen sich dadurch 220.000 Krankenhauseinweisungen verhindern, die mit Ausgaben von mehr als 750 Millionen Euro verbunden sind“, sagte Sabine Bohnet-Joschko, Projektleiterin und Inhaberin des Lehrstuhls für Management und Innovation im Gesundheitswesen an der Universität Witten/Herdecke. Die Studie Bedarfsgerechte Versorgung von Pflegeheimbewohnern durch Reduktion Pflegeheim-sensitiver Krankenhausfälle befindet sich derzeit in einem öffentlichen Review-Prozess auf der Open Research-Plattform F1000-Research (DOI: 10.12688/f1000research.73875.1).
Die Wissenschaftler identifizierten zunächst 117 ICD-Diagnosen, die unter Pflegeheimbewohnern am häufigsten zu einer Krankenhauseinweisung führen. Die häufigsten Diagnosen lauteten Herzinsuffizienz, Oberschenkelbruch, Dehydrierung, Erkrankungen der ableitenden Harnwege, Schädelverletzungen, Sepsis, Hirninfarkt und Epilepsie. Danach erstellten die Forscher einen Katalog von sog. Pflegeheim-sensitiven Krankenhausfällen (PSK) - also solche Diagnosen, die unter guten Bedingungen auch ohne Krankenhauseinweisung im Pflegeheim behandelt werden könnten. Dies traf laut Erhebungen bei 58 der 117 ICD-Diagnosen zu.
Eine Auswertung des Wissenschaftlerteams aus den Bereichen Geriatrie, Allgemein- bzw. Familienmedizin, Pflegewissenschaften, Rechtswissenschaften, Pharmakologie und Gesundheitssystemforschung der Daten von sechs Krankenkassen aus dem Jahr 2017 ergab, dass dort die 58 PSK 34 Prozent aller Krankenhausfälle bei Pflegeheimbewohnern ausmachten (220.000 Fälle). Mehr als 85°% der in den Stichproben erfassten Pflegeheimbewohner war mindestens 65 Jahre alt.
Um Krankenhausaufenthalte von Pflegeheimbewohnern vermeiden zu können, braucht es bestimmte Voraussetzungen, wie bereits eine Studie vom Institut für Hausarztmedizin der Universität Basel (IHAMB) gezeigt hatte (vgl. Praxis 2013 102(16):987-991, DOI: 10.1024/1661-8157/a001376): So muss ein abwendbar gefährlicher Verlauf durch entsprechend geschultes Fachpersonal frühzeitig erkannt werden. Menschen mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und metabolischen Problemen (z. B. Diabetes mellitus) müssen sorgfältig betreut und der zuständige Hausarzt bei Problemen zeitgerecht informiert werden. Innerhalb von 24 Stunden sollte eine Konsultation durchführt werden, Laborwerte innerhalb weniger Stunden im Heim verfügbar sein. Auch sollte die Möglichkeit bestehen, intravenöse Infusionen im Heim durchzuführen.
Die aktuellen Empfehlungen der 58 PSK sollen als Katalog publiziert werden, sie richten sich an Kostenträger, Leistungserbringer und politische Entscheider, um die Versorgung von Heimbewohnern zukünftig effizienter und qualitativ besser zu gestalten. Mit der wachsenden Zahl hochaltriger Menschen nehmen auch gesundheitliche Beeinträchtigungen, altersbedingte Erkrankungen sowie Pflegebedürftigkeit zu. Etwa ein Drittel aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland wird in Pflegeheimen versorgt.
In Österreich werden derzeit rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, nur rund 16 Prozent leben in Pflegeheimen. Allerdings wird auch hier die bedarfsgerechte Versorgung von Senioren in den kommenden Jahren massiv ansteigen. Laut Statistik Austria (Pressemitteilung, 19.11.2020) waren im Jahr 2021 1,7 Millionen Österreicher älter als 65 Jahre (19,1 Prozent), bis 2040 soll diese Zahl auf etwa 2,5 Millionen steigen (26,4 Prozent).
Bereits frühere Studien haben gezeigt, dass es zu unnötigen Einlieferungen ins Krankenhaus unter anderem deshalb kommt, weil sich Pflegende unsicher fühlen und rechtliche Konsequenzen befürchten. Zudem mangelt es an Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Pflegeheim und betreuenden Ärzten (vgl. Bioethik aktuell 11.11.2019).