Patienten mit schweren Erkrankungen oder Menschen am Lebensende leiden nicht nur physisch. Sie haben auch existentielle, emotionale Nöte und sind mit Sinnkrisen konfrontiert. Deshalb muss die spirituelle Begleitung von Patienten ein wesentlicher Teil einer personenzentrierten Medizin sein. Dafür plädierte die Gesundheitswissenschaftlerin Christina Puchalski, Direktorin des George Washington Instituts für Spiritualität und Gesundheit auf der Konferenz über Palliative Care: Everywhere & by Everyone, die kürzlich auf Einladung der Päpstlichen Akademie für das Leben stattfand.
Die Experten der Vatikan-Tagung, darunter der an der Harvard T. H Chan School of Public Health lehrende frühere stellvertretende US-Gesundheitsminister Howard Koh, führten zahlreiche Studien an, wonach für Patienten in existentiellen Krisen die spirituelle Dimension große Bedeutung hat. Themen wie Hoffnung, Sinn des Lebens, Versöhnung oder der Friede mit Gott seien häufig zentrale Fragen, für die es im Bereich von Krankenhäusern und Pflegeheimen Ansprechpartner brauche. „Die spirituelle Begleitung schafft hier Räume, in denen Patienten nach und nach Worte finden für ihre Ängste und Nöte - und wo es auch Heilung gibt“, so Puchalski. Ihrer Meinung nach müssten Ärzte und Pflegende intensiver geschult werden, um spirituelle Nöte zu erkennen, zu lindern und auch verstärkt Seelsorger und Geistliche in das palliative Betreuerteam einzubinden.
Spiritual Care bewirke auch ein höheres physisches Wohlbefinden bei Patienten, wie Untersuchungen zeigen. Auch das Personal profitiere davon. Dank Palliative Care steigt die Qualität der Kommunikation zwischen dem interprofessionellen Team, dem Patienten und seinen Angehörigen signifikant.
Die Integration von Seelsorge im Gesundheitsbereich brachte die Belgierin Anna F. Vandenhoeck, Koordinatorin des European Network for HealthCare Chaplains (ENHCC) bildlich auf den Punkt: „Seelsorge ist nicht wie eine Zierkirsche auf der Torte, sondern wie die Hefe, die ein unsichtbarer, aber wesentlicher Bestandteil für das Gelingen des Ganzen ist“.
An der zweitägigen Konferenz in Rom nahm unter den Spezialisten aus Medizin, Pflege, Ethik und Theologie aus 38 Ländern auch die Wiener Ethikerin Susanne Kummer teil. „Es ist sehr wichtig, dass die Debatte über die Integration von Palliative Care in den medizinischen und pflegerischen Betrieb nicht nur für Krebspatienten geführt wird, sondern auch für chronische Kranke, schwer kranke Kinder oder alte Menschen“, betont die IMABE-Geschäftsführerin. „In einer hoch technisierten Medizin, die mehr auf die Krankheit als auf den Kranken fixiert ist, rücken wir durch Palliative Care wieder den vulnerablen Menschen in den Mittelpunkt, den Patienten in seiner Ganzheit“, so die Ethikerin, die im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz an der Vatikan-Tagung teilgenommen hat. „Schmerztherapie ist extrem wichtig. Aber existentielle Fragen am Lebensende können nicht mit einer Dosis Morphin behandelt werden.“ Damit wird die gesamtgesellschaftliche Dimension von Palliative Care deutlich: „Eine Verbesserung der palliativen Betreuung führt auch zu einer Humanisierung der Medizin. Das war eine wichtige Botschaft der Vatikan-Konferenz“, so Kummer.
Eine klare Forderung der internationalen Expertenrunde lautete: Palliative Care muss zur Querschnittsmaterie in der gesamten Medizin und Pflege werden. Die PAL-Life-Gruppe der Päpstlichen Akademie für das Leben, bestehend aus 13 Palliative Care-Experten aus fünf Kontinenten, unter ihnen Thomas Sitte, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Palliativstiftung, arbeiten an einem Weißbuch mit dem Titel „Global Palliative Care Advocacy“. Das Weißbuch richtet sich an die diversen Interessensvertreter mit Empfehlungen zu einer weltweiten Verbesserung der Palliative Care-Versorgung.