Die aktuellen Zahlen des niederländischen Euthanasie-Berichts 2014 zeigen einen neuen Rekordstand. Die Fälle von Tötung auf Verlangen/Assistierter Suizid stiegen in nur einem Jahr um mehr als 10 Prozent auf 5.306 Fälle (vgl. Regionale Toetsingscommissies Euthanasie: Jahresbericht 2014). Das sind täglich 14 Niederländer.
Aufgabe der sog. Tötungskommission ist es zu überwachen, ob bei den gemeldeten Fällen die Vorgaben des Gesetzes eingehalten wurden. In fast 95 Prozent der Fälle (5.033) handelte es sich um Tötung auf Verlangen durch den Arzt, bei den übrigen Fällen ging es um Beihilfe zum Suizid. Im Jahr 2010 waren erst 3.136 Fälle offiziell gemeldet worden. Ganz überwiegend seien es Hausärzte gewesen, die die Patienten auf ihren Wunsch hin getötet haben (4.678), berichtet die Ärztezeitung (online, 15.10.2015). Laut Report von 2014 war die Entscheidung, sich töten zu lassen, in den Niederlanden bei Krebskranken am höchsten (73 Prozent der Fälle), rund 300 mehr als 2013. 247 Patienten, die um Sterbehilfe baten, litten an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Keine Zunahme im Vergleich zu 2013 hat es bei Patienten mit Demenz (81) und mit psychischen Erkrankungen gegeben. Die einflussreiche Sterbehilfeorganisation NVVE (160.000 Mitglieder) zeigte sich „besorgt“ über den Rückgang der Fälle von Euthanasie bei demenziell und psychisch Erkrankten. Sie forderte von Ärzten die Bereitschaft, sich auch dieser „komplexen Fälle“ anzunehmen.
Theo Boer, bis 2014 selbst Mitglied der Kontrollkommission, sieht die Entwicklung seines Landes kritisch. Er spricht von einem „Dammbruch“ im Zusammenhang mit der Freigabe der aktiven Sterbehilfe. Seit der Einführung des Sterbehilfegesetzes in den Niederlanden im Jahr 2001 sei die Hemmschwelle zur Selbsttötung deutlich gesunken, sagte der Medizinethiker an der Theologischen Universität Kampen gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (online, 28.10.2015). Im Bewusstsein der Menschen hätten sich diese Methoden zu einer „normalen Sterbensweise entwickelt, sagte Boer. Immer mehr Menschen entschieden sich bei einer fatalen Diagnose für aktive Lebensbeendigung, ohne die Möglichkeiten der Palliativmedizin in Betracht zu ziehen. Nach Einschätzung Boers schafft das geltende Gesetz nicht nur Transparenz für Fälle, die sonst im Geheimen stattgefunden hätten, sondern ruft auch neue Fälle hervor (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online, 28.10.2015).
In Belgien kommt nun erstmals seit Gründung der dortigen Euthanasie-Kommission im Jahr 2002 ein Fall vor Gericht. Eine 85-jährige Frau klagte über Trauer nach dem Verlust ihrer Tochter, die drei Monate zuvor gestorben war. Sie sei lebenssatt und bat um Tötung durch einen Euthanasie-Arzt (vgl. Standaard, online, 20.10.2015). Der belgische Arzt Marc Van Hoey, auch Vorsitzender des Vereins Recht, in Würde zu sterben (Recht op Waardig Sterven, RWS) steht nun wegen Mordes vor Gericht. Lebensmüdigkeit allein sei kein legaler Grund zur Euthanasie.
Allein: Belgiens Kontrollkommission zur Überwachung der Anträge auf Töten auf Verlangen ist inzwischen selbst in Bedrängnis. Das 16-köpfige Gremium für Euthanasie hat sein Mandat verloren, nachdem sieben Vorstandsstellen nicht nachbesetzt werden konnten (vgl. Bioedge, online, 24.10.2015). Jüngeren Statistiken zufolge sind die Sterbehilfe-Fälle in Belgien in nur drei Jahren um 90 Prozent auf 1.807 gemeldete Fälle im Jahr 2013 gestiegen.