Menschen, die ihr Leben Spenden aus anonymen Samenbanken verdanken, haben sich ihre Herkunft nicht ausgesucht. Sie sind aber mit deren Komplexität belastet. Das zeigt eine deutsch-japanische Studie (2023, 12(3), 155; https://doi.org/10.3390/socsci12030155), die im Fachjournal Social Science publiziert wurde. 80 Prozent der Studienteilnehmerinnen waren Frauen.
Wie und wann erfahren Betroffene von ihrer eigentlichen Herkunft? Welche Auswirkungen hat dies auf ihre Beziehung zu ihren Eltern, Geschwistern und Halbgeschwistern? Rekrutiert wurden die Daten der zwischen 1974 und 1999 in Deutschland geborenen Samenspenderkinder über die deutsche Selbsthilfegruppe Verein Spenderkinder. Nach Angaben der Wissenschaftler handelt es sich mit 59 Erwachsenen um die bisher größte Stichprobengröße für eine Studie im deutschen Kontext.
Belastendes Familiengeheimnis: Betroffene hatten nicht im Kindesalter von ihrer Herkunft erfahren
Das Gefühl, vertauscht zu sein, nicht angenommen oder fremd - Spenderkinder ahnen häufig, dass irgendetwas in ihrer Familie nicht stimmt. Immer häufiger entdecken Betroffene auch zufällig über DNA-Kits Ungereimtheiten in der Familiengenese. Doch häufig bleiben sie mit dieser Belastung alleine. Keiner der Studienteilnehmer gab an, schon als Kind über die Art der Empfängnis aufgeklärt worden zu sein. Für alle war die Mitteilung, von einem Samenspender abzustammen, ein einschneidendes Ereignis in ihrer Biografie.
44 Prozent der in der Studie befragten Spenderkinder gaben an, dass sie erst im Alter zwischen 25 und 34 Jahren erfahren hatten, von einem anonymen Samenspender abzustammen. 20 Prozent erfuhren es im Teenageralter zwischen 15 und 19 Jahren. In 36 Prozent der Fälle hatten die jungen Erwachsenen selbst Verdacht geschöpft und ihre Eltern mit der Frage nach ihrer wahren Herkunft konfrontiert.
Wut, Enttäuschung und Misstrauen gegenüber der eigenen Mutter
Etwa die Hälfte der Spenderkinder berichteten, dass sie Gefühle des Misstrauens, der Enttäuschung oder der Wut gegenüber ihren Müttern entwickelten, weil sie ihnen diese Informationen vorenthalten hatten. Ihre Mütter hätten selbstgerecht agiert statt Verantwortung zu übernehmen und sich die schwerwiegenden Folgen ihrer Geheimhaltung einzugestehen. Ein Viertel der Befragten beklagte, dass es ihren Müttern an Empathie und Verständnis für die Situation der betroffenen Kinder fehlte.
Wahrheit um die Herkunft bringt auch Erleichterung
Rund ein Drittel beschrieb die Beziehungen zu ihrem Vater vor der Offenlegung als „eine gute, wenn auch ziemlich kalte Beziehung", „immer ziemlich distanziert" oder „auf keinen Fall eine enge Bindung". Sie berichteten von Trauer und Zorn, aber auch Erleichterung zu wissen, dass ihr rechtlicher Vater nicht ihr leiblicher Vater ist. Die intuitiv über Jahre gefühlte Verschiedenheit konnte nun besser eingeordnet werden.
Alleine in Deutschland leben etwa 125.000 Samenspender-Kinder. Die Studie des Sozialwissenschaftlers Tobias Bauer (Universität Kumamoto/ Japan) und der Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Anne Meier-Credner (TU Braunschweig/ Verein Spenderkinder) merkt an, dass bislang Beratung vor allem auf die Wunscheltern fokussiert war. Es sei jedoch wichtig, die psychosoziale Belastungen für Kinder nach Samenspende zu erkennen und entsprechende Beratung für diese Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen anzubieten, betonen die Wissenschaftler.
Zahl der Kinder nach Samenspende hat sich in Großbritannien verdreifacht
Menschliche Samenbanken haben sich inzwischen zu einem lukrativen Geschäftszweig entwickelt. Laut einem aktuellen Bericht der Human Fertilization and Embryology Authority (HFEA) stieg in Großbritannien die jährliche Zahl von Kindern, die nach Samenspende geboren wurden, von 900 (2006) auf 2.800 (2019). Ein Faktor für die Verdreifachung sei auf die Klientel von Frauen zurückzuführen, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben oder solche, die ohne Mann ein Kind bekommen und großziehen wollen („Single Mothers by Choice"), so der Report. Seit 1991 wurden in Großbritannien 70.000 Kinder nach Samen- und Eizellspende geboren.
Aufhebung der Anonymität führte zu Sperma-Engpass
Mehr als die Hälfte des gespendeten Spermas, das in britischen Fruchtbarkeitskliniken verwendet wird, stammt aus dem Ausland. Etwa 52 Prozent der neu registrierten Spender im Jahr 2020 stammen aus dem Ausland, ein Anstieg im Vergleich zu 22 Prozent im Jahr 2010. 27 Prozent des Spermas wurde von US-amerikanischen Samenspendern importiert, 21 Prozent von dänischen Spermien-Vätern.
Seit 2005 müssen Samenspender in Großbritannien damit einverstanden sein, dass Kinder, die von ihnen genetisch abstammen, im Alter von 18 Jahren mit ihnen Kontakt aufnehmen können. Die Aufhebung der Anonymität führte zu einem spürbaren Rückgang von Spermienspendern (Bioethik aktuell, 13.6.2006).