Die ärztliche Beihilfe zum Suizid ist nun auch im US-Bundesstaat Kalifornien legal. Am 6. Oktober 2015 unterschrieb Gouverneur Jerry Brown das umstrittene Gesetz, das nach dem Vorbild vier weiterer US-Bundesstaaten - Oregon, Washington, Montana und Vermont - die professionelle medizinische Unterstützung bei Selbsttötung regeln soll (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online, 6.10.2015). Patienten können nun vom Arzt auf eigenen Wunsch ein tödliches Präparat für ihren Suizid bereitgestellt bekommen. Die von den Befürwortern des assistieren Suizids verbreitete Hypothese, dass sich dann - angeblich - insgesamt weniger Menschen das Leben nähmen, hält den empirischen Fakten allerdings nicht Stand. Dies zeigt nun eine im Southern Medical Journal publizierte Studie (DOI: 10,14423 / SMJ.0000000000000349), die erstmals die Frage der Korrelation zwischen der Legalisierung des assistierten Suizids und der Gesamt-Selbsttötungsrate in den vier US-Bundesstaaten zwischen 1990 und 2013 untersucht.
Die gesetzliche Einführung des sog. ärztlich assistierten Suizids verringerte die Suizidrate nicht, im Gegenteil: Sie führte zu einem Anstieg um 6,3 Prozent. Bei über 65-Jährigen stieg die Gesamtsuizidrate sogar um 14,5 Prozent. Die Gesamt-Selbsttötungsrate ist auch im Vergleich zu anderen US-Bundesstaaten gestiegen, lautet das Ergebnis der britischen Studienautoren David Paton (University of Nottingham) und David Albert Jones (Anscombe Bioethics Centre/Oxford). Dies lege nahe, dass die medizinische Beihilfe beim Suizid keinen Einfluss auf die normale Selbstmordrate hat, vielmehr könnten suizidal veranlagte Menschen bei Freigabe des assistierten Suizids eher damit ernst machen und sich das Leben nehmen, so die Autoren.
„Dieses Studienergebnis muss uns nachdenklich machen“, sagt IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. Wo Gesetze den assistierten Suizid erlauben, erhöht sich offenbar der Druck auf vulnerable Personen und Suizidgefährdete - und nicht erst, wie häufig behauptet, erst dann, wenn auch Töten auf Verlangen erlaubt wird. „Es wäre wichtig, hier weitere Studien anzusetzen“, sagt Kummer auch in Hinblick auf die Debatte in Deutschland und Österreich.
In Kalifornien löste der Fall der 29-jährigen Brittany Maynard erneut die politische Debatte aus. Sie war an einem Gehirntumor erkrankt und nach Oregon übersiedelt, um sich dort am 1. November 2014 mithilfe der Sterbehilfe-Organisation Compassion & Choices, die früher Hemlock Society hieß, das Leben zu nehmen. Diese hatte sich bereits ab 1980 auch für das Recht auf Euthanasie und den assistierten Suizid für Behinderte („hoffnungslos Kranke“) ausgesprochen. Maynard fungierte als Galionsfigur der C&C-Medienkampagne, die maßgeblich am Umschwung der öffentlichen Meinung in Kalifornien beteiligt war.
„Kein einziges Mal fiel im medialen Kontext des Schicksals von Maynard das Wort Suizidprävention“, kritisiert IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer die Instrumentalisierung des Falls. „11,7 Millionen Mal wurde Maynards Video-Botschaft auf Youtube angeklickt - bis heute fehlt bei Compassion & Choices ein WHO-tauglicher Verweis für suizidgefährdete Menschen, die in ausweglos erscheinenden Situationen Hilfe suchen.“
Die Ethikerin warnt davor, dass eine „menschenwürdige Sterbehilfe zwischen Selbstbestimmungsenthusiasten und ökonomischen Zwängen unter die Räder kommt“. Sie erinnert dabei an die Gefahr des Missbrauchs der Begriffe: „Die Manipulation des Wortes Sterbehilfe führt dazu, dass jemand, der die Tötung seines Patienten verweigert oder nicht bereit ist, an dessen Selbsttötung mitzuwirken, dargestellt wird als jemand, der eine quasi geschuldete Hilfe verweigert. Doch: Töten ist niemals eine Hilfe, Töten heißt Vernichten. Wir müssen deshalb wieder die richtige Sprache zurückgewinnen“, betont die Medizinethikerin.
Sie erinnert an das Diktum des ehemaligen SPD-Vorsitzender Franz Müntefering, der in der aktuellen deutschen Debatte für ein Verbot des assistierten Suizids eintritt und sagte: „Ich hab mindestens zweimal aktive Sterbehilfe gemacht Sehr aktiv sogar, bei meiner Mutter und bei meiner Frau: Hand gehalten, dabeigesessen, getröstet. Hilfe beim Sterben brauchen alle Menschen. Denen, die für Hilfe beim Töten sind, sollten wir das Wort Sterbehilfe nicht überlassen.“
In Deutschland wird der Bundestag am 6. November ohne Fraktionszwang über ein Gesetz zur Suizidbeihilfe entscheiden. Es liegen Vorschläge von vier parteiübergreifenden Gruppen vor, die von einer liberalen Regelung für Ärzte bis zu einem Verbot des assistieren Suizids reichen.