Eine Umfrage unter 1.039 Frauen in den USA ergab, dass 226 Frauen (41-45 Jahre) nach einer Abtreibung vor negativen Emotionen standen. Dies war umso ausgeprägter, je mehr sie sich vor dem Zeitpunkt der Abtreibung unter Druck gesetzt fühlten. 61% gaben an, irgendeine Form von starkem Druck empfunden zu haben. Das geht aus einer in der Cureus/Springer Nature (January 31, 2023, 15(1): e34456. doi:10.7759/cureus.34456en) publizierten Studie hervor.
Der Druck ging in 34% vom familiären Umfeld aus, in 31% vom Kindesvater und in 24% von anderen Personen (Mehrfachnennungen waren möglich). Mehr als die Hälfte der Frauen gab finanziellen Druck an (54%). Überraschend hoch war mit 65% der Anteil der „anderen Umstände“, die besonders starken Druck ausübten, in der Umfrage aber nicht genauer definiert waren. Um welche Arten von starkem Druck es sich dabei handelte, müsse noch weiter geklärt werden, konstatieren die beiden Studienautoren, der Bioethiker David C. Reardon (Elliot Institute) und die Epidemiologin Tessa Longbonds (Charlotte Lozier Institute).
Frauen berichten von negativen Gedanken, Verlustgefühlen und Albträumen
Das Gefühl des Abtreibungsdrucks korrelierte stark mit negativen Gefühlen nach der Abtreibung und mehr psychischen Problemen, die die Frauen speziell auf die Abtreibung zurückführten. Dazu gehörten disruptive Ereignisse im Tageslauf, in der Arbeit oder in der Beziehung, negative Gedanken, Alpträume oder Flashbacks des Abtreibungsereignisses sowie Gefühle von Verlust, Trauer oder Scham, gefühlte moralische oder mütterliche Konflikte in Verbindung mit der Abtreibung. Auch das Gefühl, Hilfe zu benötigen, um das Ereignis verarbeiten zu können, war gelistet. Nicht erhoben wurden medizinische Daten aus der Vorgeschichte. Sämtliche Auswertungen beruhten auf Selbstaussagen der Teilnehmerinnen.
Frauen mit Mehrfachabtreibungen füllten Fragebogen nicht zu Ende aus
Die Studie wurde mithilfe eines Online-Umfragetools durchgeführt, bei denen Frauen im Alter zwischen 41 und 45 nach Schwangerschaften und Abtreibungen befragt wurden. Die Rücklaufquote betrug 96%, pro ausgefülltem Fragebogen erhielten die Frauen drei Dollar Entschädigung. 226 Frauen hatten zumindest eine Abtreibung. Sie füllten vier Mal häufiger den Fragebogen nicht vollständig aus. Für die Wissenschaftler bestätigte sich damit, was bereits aus anderen Forschungen bekannt ist: Frauen mit mehreren Abtreibungen wollen nicht darüber sprechen, weil sie besonders belastet und sich dem emotionalen Stress nicht erneut aussetzen wollen. Sie sind in Studien damit häufig unterrepräsentiert.
Bessere Beratung, damit ungewollte Abtreibungen aufgrund des Drucks von Dritten verhindert werden
Die Forscher schließen aus ihrer Untersuchung, dass in Zukunft der Druck auf Schwangere vor einem Schwangerschaftsabbruch mehr als bisher beachtet werden sollte. Keine Frau sollte sich jemals unter Druck gesetzt fühlen, eine ungewollte Abtreibung zu akzeptieren. Abtreibungskliniken sollten daher ein besseres Screening und eine bessere Beratung vor der Abtreibung anbieten, um unsichere und ungewollte Abtreibungen zu verhindern
Ähnliche Ergebnisse waren bereits in Deutschland bekannt geworden
Ein ähnliches Resultat hatten bereits das Forscherteam um Florian M. Dienerowitz (Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg) in einer Untersuchung (Geburtshilfe Frauenheilkd 2022; 82(07): 689-692 DOI: 10.1055/a-1751-3550) vorgestellt. Zurückgegriffen wurde dabei auf mehr als 1.600 Protokolle, die von einer Telefon- und Onlineberatungsstelle für Schwangere in Not erhoben worden waren. In 30 % der Fälle bestand starker Druck von außen, häufig durch den Kindsvater, das gemeinsame Kind abtreiben zu lassen (Bioethik aktuell, 28.7.2022).
Deutsche Gynäkologen stellen medizinische Leitlinie zur Abtreibung vor
Einen ersten Niederschlag findet die schädliche Wirkung des Drucks auf die Schwangere vor einem Abbruch in der ersten medizinischen Leitlinie „Schwangerschaftsabbruch im 1. Trimenon“, die die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) am 26. Januar 2023 vorgestellt hat. Diese sogenannte S2k-Leitlinie hatte das Berliner Bundesgesundheitsministerium im Jahr 2022 in Auftrag gegeben. Dort heißt es: „Eine eventuelle Ausübung von Druck auf die Entscheidung der Schwangeren durch Dritte gilt es zu erkennen, anzusprechen und zu verhindern“, wobei diese Formulierung allerdings offenlässt, ob man den Druck verhindern - und eine Abtreibung ermöglichen - möchte oder die Frau unterstützen, damit sie ihr Kind nicht aufgrund des Drucks Dritter abtreibt.
Wert legt die ärztliche Leitlinie jedenfalls auf die Feststellung, dass die schwangere Frau dabei unterstützt werden soll, jene Entscheidung zu treffen, die für sie richtig ist. Und: „Auch wenn der Arzt/die Ärztin an der Entscheidungsfindung beteiligt ist, ist es keine gemeinsame Entscheidung.“ Fokussiert wird in der Leitlinie nur auf die Frau, die darin als ausschließliches Subjekt von Druck und emotionalen Folgen gesehen wird. Das Kind und sein Lebensinteresse sowie das offenbar stark einwirkende soziale Umfeld bei einer Abbruchsentscheidung werden in dieser neuen Leitlinie nicht thematisiert.