Was passiert, wenn aktive Sterbehilfe erlaubt wird? Gibt es überhaupt ein Recht auf Tötung auf Verlangen oder assistierten Suizid? Was heißt in diesem Fall „Selbstbestimmung“? Und was bedeutet dies für die berufliche Identität von Ärzten und Pflegenden?
Die Debatten zum Thema „Sterbehilfe“ werden in westlichen Ländern weiter geführt, auch unter Standesvertretungen und medizinischen Fachgesellschaften. Prominente Ärzte und Ethiker forderten jüngst in einem Beitrag im Journal of Palliative Care (2018: doi: 10.1177/0825859718777325) ein klares Bekenntnis zum ärztlichen Ethos, wonach Mediziner weder in den assistierten Suizid noch in Tötung auf Verlangen involviert werden sollen.
Zu dem internationalen 10-köpfigen Autorenteam zählen u. a. der US-Medizinethiker Daniel Sulmasy von der Georgetown University (er war von 2010 bis 2017 Mitglied der von Präsident Barack Obama eingesetzten Bioethik-Kommission), Margaret Somerville, Bioethikerin an der University of Notre Dame Australia, sowie der deutsche Palliativmediziner Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.
Die fünf Hauptargumente der Autoren gegen eine Legalisierung von Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid lauten:
1. „Schiefe Ebene“: Die Daten aus Belgien und den Niederlanden zeigen, dass gesetzliche Schutzmaßnahmen letztlich wirkungslos sind und verletzt werden. Es würden auch ohne deren Zustimmung Patienten tödliche Medikamente verabreicht. Der jüngste Fall, der in den Niederlanden publik wurde, war eine Ärztin, die eine 80-jährige, an Demenz erkrankte Patientin gegen deren Willen getötet hat (vgl. Bioethik aktuell, 6.2.2017). Für ihr Verhalten wurde sie von der Haager Ärztekammer „gerügt“ (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online, 25.7.2018). Ob es auch zu einem strafrechtlichen Verfahren kommen wird, ist immer noch offen.
2. „Fehlende Selbstbestimmung“: Die Autoren halten fest, dass der explizite Wunsch zu sterben, nicht mit einem Tötungswunsch gleichzusetzen sei. Bei dem Wunsch nach Beihilfe zum Suizid oder Euthanasie würden psychologische und soziale Motive mehr im Vordergrund stehen als körperliche Symptome oder rationale Entscheidungen. Die Bitte um Tötung würde deshalb nach verbesserter Symptomkontrolle und psychologischer Unterstützung meist verschwinden.
3. „Unzureichende palliative Versorgung“: Es brauche ein „ganzheitliches Wissen um die Palliativpflege“, wobei Schmerzen, Depression und existentielle Nöte umfassend behandelt werden müssen.
4. „Medizinische Professionalität“: Ärzte, die Beihilfe zum Suizid leisten oder Tötung auf Verlangen durchführen, stellen eine Bedrohung für die moralische Integrität der Ärzteschaft dar, argumentieren die Autoren. Zu den unantastbaren Regeln zähle, dass Ärzte Leiden heilen und lindern, aber niemals absichtlich den Tod herbeiführen sollen. Wird diese Grenze überschritten, schädigt dies das Vertrauen im Arzt-Patient-Verhältnis nachhaltig.
5. „Unterschied zwischen Mittel und Ziel“: Befürworter von Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen rechtfertigen mit dem Ziel „Tod als Ende von Leiden“ die Tötung von Patienten. Doch der Zweck heiligt nicht die Mittel. Ärzte hätten die Pflicht, Schmerz und Leid zu beseitigen, nicht aber, die leidende Person zu töten. „Die Lösungen für die Linderung des Leidens liegen in der Verbesserung der Palliativversorgung und der sozialen Rahmenbedingungen sowie darin, die eigentlichen Gründe für Todeswünsche anzusprechen.“
Eine ausführliche Kritik an der Auslegung des Begriffs „Autonomie“ vonseiten der Sterbehilfe-Befürworter üben auch die beiden US-Psychiater Cynthia Geppert und Ronald W. Pies (vgl. Psychatric Times, online, 18.7.2018). Angesichts der von Staaten auferlegten prozeduralen gesetzlichen Vorgaben, die Todeswünsche in legitime und nicht-legitime hinsichtlich einer Tötung auf Verlangen oder Beihilfe zum Suizid einzuteilen, sprechen die Psychiater von einer „Pseudoautonomie“, die bestenfalls „kosmetischer Natur“ sei. Zwang, Ängste oder unbewusste Motivationen bei Patienten wie Ärzten würden dabei völlig außer Acht gelassen. Oft sei der Todeswunsch ein Hilferuf des Patienten, seine existentielle Krise ernster zu nehmen. Selbstbestimmung sei nur einer der vier Eckpfeiler der Medizinethik, erinnern die Autoren - ebenso wichtig seien die anderen drei: Fürsorge, Nicht-Schaden und Gerechtigkeit.