Spanien ist das vierte Land in Europa nach den Beneluxstaaten, in dem "Euthanasie", wie es dort heißt, erlaubt ist. Das entsprechende Gesetz trat am 25. Juni in Kraft – nur drei Monate, nachdem es vom Parlament im März 2021 beschlossen wurde. Die Spanische Ärztekammer hatte sich gegen das Gesetz gestellt und davor gewarnt, dass es einer Diskriminierung von Ärzten, die sich aus Gewissensgründen an keiner Tötung auf Verlangen beteiligen wollen, Vorschub leiste.
Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid sind nun Teil des spanischen Gesundheitsversorgungssystems, Ärzte werden auf unterschiedlichen Ebenen darin involviert. Menschen mit einer "schweren und unheilbaren" Krankheit oder "chronischen, stark einschränkenden Schmerzen" sollen auf ausdrücklichen eigenen Wunsch Sterbehilfe erhalten können, um "unerträgliches Leid" zu vermeiden. Psychische Erkrankungen sind als Grund laut aktueller Regelung ausgeschlossen. Die Kosten der aktiven Sterbehilfe werden von den staatlichen Krankenkassen getragen.
Die Spanische Ärztekammer sieht die Gewissensfreiheit der im Gesundheitsbereich Tätigen zunehmend unter Druck. Sie übte bereits im Vorfeld scharfe Kritik am Sterbehilfe-Gesetz (ABC, online 3.3.2021). Demnach müssen sich nun alle jene Ärzte, die sich an keiner „Euthanasie“ beteiligen wollen, in einem eigens vom Staat eingerichteten Register eintragen. Die Regierung argumentiert, dass sich nur so die "Versorgung" entsprechend organisieren ließe. Die Ärztekammer argumentiert dagegen mit Artikel 16, Absatz 2 der Verfassung. Darin ist abgesichert, dass niemand gezwungen werde darf, „über seine Ideologie, Religion oder Weltanschauung auszusagen“. Das geltende Sterbehilfe-Gesetz könnte „gegen dieses Verfassungsprinzip verstoßen“. Es widerspreche dem Grundsatz der Vertraulichkeit und verstoße gegen das Prinzip der Nicht-Diskriminierung, so die Standesvertretung der Ärzte (ConSalud, online 1.3.2021).
Die Wiener Ethikerin Susanne Kummer betont angesichts der Entwicklungen in Spanien und in Hinblick auf die Gesetzgebung in Österreich, dass die Ärzteschaft möglichst rausgehalten werden solle (vgl. Kathpress, 30.6.2021). "Es wäre demokratiepolitisch höchst bedenklich, wenn der Staat Ärzte, Pflegende oder Apotheker nun quasi strukturell verpflichten würde, sich am Prozess von Selbsttötungen zu beteiligen - sei es in der Begutachtung, Verschreibung von tödlichen Präparaten oder im Falle der Apotheker des Aushändigens von Giften", betonte die IMABE-Geschäftsführerin. Ein liberaler Rechtsstaat müsse eine freie Berufsgruppe respektieren, "deren Ethos sich dadurch definiert, dass man Menschen im Leben beisteht".
Der Präsident der Palliativgesellschaft der Provinz Asturiens, Juan Santos, betont, dass die "überwältigende Mehrheit der Palliativmediziner" aktive Sterbehilfe aus Gewissensgründen ablehne (vgl. Alfa y Omega, online 21.6.2021). Ärzte stünden im Dienste des Lebens und seien keine "Henker", so Santos. Die Ärztekammer der eine Million Einwohner zählenden Provinz hat sich offen gegen das Euthanasie-Gesetz gestellt (vgl. La Nueva Espana, online 26.6.2021). "Die Autonomie des Patienten, basierend auf seinen eigenen Wertvorstellungen, kann in so heiklen Bereichen wie der Achtung des Lebens mit den Prinzipien von Fachleuten kollidieren“, heißt es in einer Stellungnahme. Ärzte hätten das Recht auf eine Verweigerung aus Gewissensgründen. Es gehe dabei um das individuelle Recht der Angehörigen von Gesundheitsberufen, "jene im Gesetz geregelten Forderungen nach Gesundheitsmaßnahmen nicht umzusetzen, wenn diese mit ihren eigenen Überzeugungen unvereinbar sind".
Auch die Asociación Nacional para la Defensa del Derecho a la Objeción de Conciencia (ANDOC) lehnt ein staatliches Register ab. Eine schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber müsse genügen. Wenn überhaupt, dann sollte eine Liste in der Ärztekammer selbst, nicht aber vom Staat geführt werden.
Für den Präsidenten der Palliativgesellschaft von Asturien sind viele Fragen offen. Der Gewissensvorbehalt gelte laut Gesetz für alle, die nicht direkt an der Tötung eines Patienten beteiligt sind. Um aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können, verlangt das Gesetz allerdings, dass der Patient über Palliativmedizin informiert worden ist sowie ein positives Gutachten eines beratenden Arztes. Genau das führe zu Verunsicherung unter den Palliativärzten. Sie befürchten, die Rolle einer "Freigabe für Suizid" nun übernehmen zu müssen. Die Gewissensfreiheit müsse jedoch "für alle" gelten.
Denjenigen, die Sterbehilfe fordern, könne er selbstverständlich eine palliative Versorgung anbieten. Aber er könne "nicht verpflichtet werden, einen Wunsch auf Tötung zu beurteilen". Das sei "ein anderer als der palliative Weg". Santos weist zudem auf ein Paradoxon hin: Ab nun hätten diejenigen, die einen Antrag auf aktive Sterbehilfe stellen, Recht auf einen Spezialisten in Palliativmedizin - während rund 77.000 Patienten jährlich ohne Palliative Care sterben, obwohl sie diese bräuchten.