Alters- und Pflegeheimen im Schweizer Kanton Graubünden sollen gesetzlich verpflichtet werden, innerhalb ihrer Institutionen Sterbehilfe durch externe Organisationen zuzulassen. Das sieht ein geplanter Gesetzesartikel der kantonalen Regierung vor.
Bisher lag es im eigenen Ermessen der jeweiligen Trägerschaft zusammen mit Heimleitung und der Pflegeleitung, ob sie in ihren Räumlichkeiten Sterbehilfe zulassen oder nicht. Nun sollen alle Heime einheitlich verpflichtet werden, Sterbehilfe-Vereinen Zutritt zu gewähren, berichtet die Südostschweiz (online 4.5.2021). Eine entsprechende von den Jusos eingebrachte Änderung im Gesundheitsgesetz könnte in zwei Jahren umgesetzt werden.
Auch der Kanton Neuenburg verabschiedete 2014 ein Gesetz, das Institutionen, die öffentliche Beiträge beziehen, dazu verpflichtet, Suizide mit Unterstützung von Dritten zuzulassen. Wenn eine Trägerschaft den Zutritt verweigert, kann sie das tun, muss aber mit der Streichung von staatlicher Unterstützung rechnen.
Sterbehilfe-Vereine wie Dignitas und Exit lobbyieren in mehreren Kantonen, dass Alters- und Pflegeheime wie auch Spitäler Suizidhilfe-Vereine zulassen. Eine Weigerung widerspreche der „Selbstbestimmung und „provoziere Ungleichbehandlungen“ (vgl. Luzerner Zeitung, online 2.10.2020). Beide Vereine konnten schon bisher ein beträchtliches Vermögen mit ihren Sterbehilfe-Aktivitäten lukrieren (vgl. NZZ, 7.5.2019), mitunter auch durch nicht unumstrittene Erbschaften ihrer Klienten (vgl. Addendum, 26.11.2018 „Der Fall Struck“ und ORF-Am Schauplatz Gericht, 4.3.2021). Kritiker sprechen inzwischen von einem „Big Business der Sterbehilfe“. Alleine Exit hat inzwischen 135.000 zahlende Mitglieder.
Die Zahl der Assistierten Suizid hat sich in der Schweiz seit 2010 verdreifacht. Während die Zahl der „harten“ Suizide mit rund 1.000 Fällen pro Jahr seit einigen Jahren konstant geblieben ist, kommen inzwischen 1.176 Fälle von assistiertem Suizid (2018) hinzu (vgl. Bioethik aktuell, 17.12.2020).
Besonders hoch ist dabei der Anteil von Frauen. Darauf wies die Ethikerin Susanne Kummer (IMABE) kürzlich beim Symposium „Beihilfe zum Suizid“, veranstaltet vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin (Universität Wien) hin. „Frauen sind für einen assistierten Suizid gefährdeter als Männer, das wissen wir auch aus internationalen Studien“, so Kummer. Frauen überleben häufiger ihre Partner, leben länger alleine und leiden unter Einsamkeit. Ihre soziale Einstellung vergrößert die Sorge, anderen „unnötig“ zur Last zur fallen. Außerdem sind Frauen häufiger von Altersarmut und Depression betroffen. Zahlen aus den Niederlanden und dem US-Bundesstaat Oregon zeigen, dass die Rate der Suizide unter Frauen bei ärztlich assistiertem Suizid viermal so hoch ist als bei „normalen“ Suizid (vgl. Bioethik aktuell, 13.11.2017).
Die aktuellen Zahlen aus den Niederlanden würden, so Kummer, „erschreckend deutlich machen“, wie sich eine Legalisierung von Beihilfe zum Suizid und Töten auf Verlangen gesellschaftlich langsfristig auswirkt. “Mittlerweile sterben in den Niederlanden täglich 19 Menschen durch aktive Sterbehilfe“. Das geht aus dem offiziellem Jahresbericht 2020 der Regionalen Toetsingscommissies Euthanasie (RTE) hervor. Die Zahl der Menschen in den Niederlanden, die auf eigenen Wunsch von Ärzten getötet wurden, erreichte im Jahr 2020 mit 6.938 ein neues Rekordniveau – ein Anstieg von neun Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Die WHO hat kürzlich angemahnt, dass weltweit die Altersdiskriminierung zunimmt. Zielgruppe der Sterbehilfe sind insbesondere Senioren. Vor beiden Entwicklungen dürfen wir nicht die Augen verschließen“, mahnt Kummer. In den Niederlanden war die größte Gruppe der Getöteten 70- bis 80-Jährige (33,4 Prozent), gefolgt von Menschen zwischen 80 bis 90 Jahren (24,8 Prozent).
In 82,4 Prozent der Fälle führten Hausärzte die Tötung durch, in 254 Fällen geschah dies durch einen Facharzt im Krankenhaus. Die Sterbewilligen wurden ganz überwiegend zu Hause (5.676), im Hospiz (475) oder im Pflegeheim getötet (305). 216 Mal erhielt ein Sterbewilliger Hilfe bei der Selbsttötung. Falls das Mittel nicht ausreichend wirkte, half ein Arzt schließlich durch intravenöse Tötungspräparate nach (7% der Fälle) (vgl. Ärztezeitung, online 28.4.2021).
Bei rund 90 Prozent der Sterbewilligen war Krebs als Ursache für den Todeswunsch angegeben. Weitere 458 Menschen wurden getötet, bei denen neurologische Erkrankungen wie Parkinson oder ALS genannt wurden. Zu den auch in den Niederlanden sehr strittigen Fällen von Tötung auf Verlangen gehörten im Vorjahr 170 Menschen, die an Demenz litten. In 235 Fällen wurden verschiedene Altersgebrechlichkeiten als hinreichender Grund zur Rechtfertigung einer Tötung auf Wunsch dokumentiert - auch ohne schwere Erkrankung (vgl. Bioethik aktuell, 12.2.2021).