Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat neue Richtlinien zur ärztlichen Suizidbeihilfe vorgelegt. Demnach dürfen Ärzte auch Beihilfe zum Suizid leisten, wenn jemand keine tödliche Krankheit hat, sondern z. B. aufgrund seines Alters „unerträgliches Leiden“ empfindet. Die geltenden ärztlichen Standesregeln hingegen besagen, dass für das Aushändigen eines tödlichen Medikaments eine schwere tödliche Krankheit vorliegen muss, die nicht behandelbar ist.
Die Foederatio Medicorum Helveticorum (FMH), der Dachverband von über 70 Ärzteorganisationen und Vertreter von mehr als 40.000 Ärzten kritisiert die neuen Richtlinien scharf. „Wir sind der Meinung, dass Suizidbeihilfe nicht zur Aufgabe des Arztes gehört“, betont der Zürcher Ärztepräsident Josef Widler (Basler Zeitung, online, 8.6.2018). Die Ärzteverbindung FMH habe sich gegen diese neue Regelung gewehrt, die SAMW habe sie nun den Ärzten gegen deren Willen aufdrückt, so Widler. Stattdessen sollte die Regelung von 2004 beibehalten werden, wonach Beihilfe zum Suizid nicht als Teil ärztlicher Tätigkeit zu sehen sei, fordert die wichtigste Standesvertretung Schweizer Ärzte.
Das am 6. Juni in Bern veröffentlichte Dokument Umgang mit Sterben und Tod wurde auch für das federführende Mitwirken von Funktionären der Sterbehilfeorganisation Exit kritisiert. Widler hält die SAMW-Richtlinie für „ziemlich beliebig“, er sehe nicht ein, warum Ärzte bestimmen sollten, was „unerträgliches Leiden“ sei, da dies nur sehr subjektiv zu beurteilen sei. „Wir haben in unserer Gesellschaft ein grundsätzliches Problem mit dem Sterben.“ Es fehle eine normale Sterbekultur, viele würden das Sterben als etwas „Exotisches“ empfinden, so der Ärztekammer-Präsident.
Die Staatsanwaltschaft ficht nun den Freispruch von Ludwig Minelli (85), Gründer des Vereins Dignitas an (vgl. Limmattaler Zeitung, online, 10.6.2018). Minelli war angeklagt, Beihilfe zum Suizid aus „selbstsüchtigen Beweggründen“ zu leisten und sich des Wuchers schuldig gemacht zu haben. Der jahrelange Prozess hatte Anfang Juni vorerst mit einem Freispruch (vgl. Aargauer Zeitung, online, 2.6.2018) geendet. Die Verteidigung verwies auf die hohen Kosten im Zusammenhang mit Arzt- und Behördenkosten, das Jahressalär Minellis in der Höhe von 160.000 CHF entspreche Gehältern der höheren Managementebene. Dass der Dignitas-Gründer eine Kundin genötigt hätte, dem Verein 100.000 CHF zu spenden, konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Minelli lukriert zusätzliche Einnahmen durch Vermietung seiner Liegenschaften an Dignitas (vgl. NZZ, online, 18.5.2018). Im Gegensatz zu Vereinen wie Exit oder Eternal Spirit legt Minelli seine Finanzen nicht offen.
Die Staatsanwaltschaft hofft mit der Neuaufrollung des Urteils auch die Frage zu klären, welcher Betrag für eine Suizidbegleitung angemessen ist, und ab welcher Grenze Wucher betrieben wird.
In der Schweiz ist Beihilfe zum Suizid erlaubt, sofern die „Sterbehelfer“ nicht aus selbstsüchtigen Motiven handeln - sprich: das Preis-Leistungsverhältnis muss stimmen, um persönliche Bereicherungen auszuschließen. Insgesamt wächst in der Schweiz das Geschäft mit dem Suizid. Schätzungen zu Folge kommen die drei Schweizer Organisationen Dignitas, Exit und Eternal Spirit mit ihrem Angebot zur „Freitodbegleitung“ mittlerweile auf einen Jahresumsatz von 8,6 Millionen Euro (10 Millionen CHF). Vor 15 Jahren waren es weniger als 1,7 Millionen Euro. Wer die Leistungen der Vereine in Anspruch nehmen will, muss einen Mitgliedsbeitrag zahlen - der assistierte Suizid inklusive Bereitstellung des tödlichen Medikaments wird extra verrechnet, ein Zuschlag bei Regelung der Bestattung verlangt.