Medizinisches Personal ist in Schweden gezwungen, an Schwangerschaftsabbrüchen mitzuwirken, auch gegen das eigene Gewissen. Wer sich weigert und sich dabei auf die Gewissensfreiheit beruft, kann vom Krankenhaus entlassen oder erst gar nicht angestellt werden. Das entschied kürzlich das schwedische Arbeitsgericht, berichtet Foxnews (online, 24.4.2017). Anlass war der Fall der schwedischen Hebamme Ellinor Grimmark. Sie hatte sich aus Gewissensgründen geweigert, an Abtreibungen mitzuwirken und wurde entlassen. Trotz ihrer fachlichen Kompetenz wurde eine Anstellung als Hebamme von drei weiteren schwedischen Krankenhäusern abgelehnt. Laut Krankenhausmanagement hätte sie akzeptieren müssen, dass die Teilnahme an Abtreibungen Teil ihrer Arbeit sei.
Grimmark, die inzwischen nach Norwegen emigriert ist, um arbeiten zu können, klagte auf Diskriminierung. Die Klage wurde 2015 zunächst vom Bezirksgericht abgelehnt - und nun auch in zweiter Instanz vom schwedischen Arbeitsgericht. Der Arbeitgeber habe das Recht, zu verlangen, dass alle Hebammen alle ihre Pflichten erfüllen, einschließlich Abtreibungen, so die Begründung der Richter. Grimmark will sich nun an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden, da das Urteil (Grimmark vs Landstinget i Jönköpings Län) dem Völkerrecht widerspreche. Laut Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die auch in Schweden gilt, müssen Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit für jedermann gewährleistet sein. Das Europäische Parlament hatte 2010 eigens in einer Resolution die Garantie auf Gewissensfreiheit im medizinischen Sektor festgehalten.
„Die Pflicht, an Abtreibungen teilzunehmen, kann kein Lackmustest für die Anstellung einer Hebamme oder eines Krankenpflegers sein. Eine Hebamme ist verantwortlich für die Pflege der Mutter und des Kindes vor, während und nach der Geburt“, betont Grimmarks Anwältin Ruth Nordström. Zudem schreibe das schwedische Anti-Diskriminierungsgesetz Arbeitgebern vor, die Rechte und Chancen ihrer Angestellten im Berufsleben zu wahren, unabhängig von deren Religion oder Weltanschauung, betont die Präsidentin der Scandinavian Human Rights Lawyers.
„Die jüngsten Tendenzen, den Gewissensvorbehalt am Gesundheitssektor einzuschränken, sind bedenklich. In diesem Kontext wird die mit so viel Anstrengung im Rahmen der Menschenrechtsdebatte erkämpfte Anerkennung der Gewissensfreiheit nun quasi als Bedrohung für den Rechtsstaat dargestellt“, erklärt die Bioethikerin Susanne Kummer. „Wenn Töten als medizinische Versorgungsleistung umdefiniert wird, darf man sich nicht wundern, dass es beim Personal zu Gewissenskonflikten kommt“, so die IMABE-Geschäftsführerin. Ein liberal-demokratischer Staat tue gut daran, die Menschenrechte zu achten und seinen Bürgern in diesen Fällen eine Opt-Out-Möglichkeit aus Gewissensgründen zu gewährleisten - ohne Bevormundung oder nachträgliche Bestrafung durch ein Berufsverbot, wie dies nun in Schweden passiert ist, betont Kummer.
Die Aushöhlung des Gewissensvorbehalts spielt auch bei Fragen am Lebensende eine Rolle: In der 14 Millionen Einwohner zählende Provinz Ontario/Kanada etwa sollen Ärzte verpflichtet werden, Suizidwillige an Kollegen weiterzuvermitteln, wenn sie selbst aus Gewissensgründen keine Tötung auf Verlangen oder assistierten Suizid durchführen wollen. So lautet die Weisung des College of Physicians and Surgeons of Ontario (CPSO). Dagegen wehrt sich nun die Plattform Coalition for HealthCARE and Conscience, die für 5.000 kanadische Ärzte und 110 medizinische Einrichtungen steht: Sie will das CPSO klagen: Die Weisung sei nicht verfassungskonform und untergrabe die Gewissensfreiheit der Ärzte. Auch in Belgien und Großbritannien mehren sich Fälle von Protest gegen die Einschränkung der Gewissensfreiheit (vgl. Susanne Kummer: Aktuelle Fragen zur Gewissensfreiheit im Gesundheitsbereich in: Imago Hominis, 2016; 23(2/3): 079-081).