Die Müttersterblichkeit ist in den Vereinigten Staaten zum Gegenstand einer Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Ebene geworden. Hintergrund ist die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch. In jenen US-Bundesstaaten, in welchen dem Schutz des Ungeborenen gesetzlich ein höherer Stellenwert eingeräumt wird, würde die Müttersterblichkeit aufgrund nicht fachgerecht durchgeführter Abtreibungen ansteigen, lautet die These. Eine kürzlich im Medical Research Archives publizierte Studie (2024, 12:6 https://doi.org/10.18103/mra.v12i6.5506) kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis: Aus qualitativ hochwertigen Studien aus Ländern mit besseren Daten würde hervorgehen, dass die Sterblichkeitsraten nach einer Abtreibung in Wirklichkeit deutlich höher seien als nach einer Geburt. Auch Empfehlungen, wonach Abtreibungen einen hohen medizinischen Nutzen hätten, um Geburtsrisiken zu verringern, könnten sich auf keine evidenzbasierten Daten stützen.
Anstieg der Müttersterblichkeit in den USA – nur ein statistischer Effekt?
Epidemiologische Daten zeigen in aller Regel eine Tendenz an, aus der Hinweise auf die Notwendigkeit von bestimmten Maßnahmen folgen können. Diskutiert wird in den USA seit einiger Zeit der Häufigkeitsanstieg der Müttersterblichkeit. Ein starker Anstieg der Zahlen war in den Vereinigten Staaten in einer Statistik aus dem Jahr 2016 aufgefallen. Es handelte sich um einen 14-Jahres-Abstand mit einem Unterschied von 26 Prozent. In absoluten Zahlen betrug der Anstieg 18,8 Todesfälle auf 100.000 Geburten im Jahr 2000 im Vergleich zu 23,8 Todesfälle im Jahr 2014.
Wie Patrick J. Marmion und Kollegen bereits 2020 feststellten (The Linacre Quarterly. 2020;87(3):302-310. doi:10.1177/0024363920922687), ist dieser Anstieg am ehesten auf einen Effekt der geänderten statistischen Erfassung zurückzuführen. So wurde die Überwachung der Müttersterblichkeit nach dem Jahr 2000 verbessert. Auch wurde die „Internationale Klassifikation von Krankheiten“ (ICD-10 Codes) geändert, so dass auch Fälle von Drogenmissbrauch, Depression und Suizid bei Schwangeren als Müttersterblichkeit erfasst werden konnten. Institutionelle Defizite in der Geburtsmedizin oder eine vermehrte Neigung zur Sterblichkeit der Mütter (etwa durch Infektionen) könne aus diesen Zahlen allerdings nicht herausgelesen werden.
Die Sterblichkeit bei Schwangerschaftsabbrüchen wird nur unzureichend erfasst
Eher sei es umgekehrt: Auch Abbrüche haben ein Sterblichkeitsrisiko, das aber nur selten erfasst wird. Eine Ausnahme bildet Finnland. Dessen Gesundheitsstatistiken haben eine gesetzliche Grundlage. Alle Daten des Gesundheitssystems werden aufgezeichnet und sind deshalb besonders aussagekräftig. Vergleichszahlen können aus der gesamten Bevölkerung ermittelt werden. Es zeigte sich: Die Geburt in einem Krankenhaus ist für Mütter in Finnland sicherer als eine legale Abtreibung in jedweder dafür zugelassenen Einrichtung des nordischen Landes. Insgesamt ist damit in Finnland die Sterblichkeit von Schwangeren bei Abtreibungen und in den Wochen danach höher als die Müttersterblichkeit bei Geburten.
Untererfassung der Sterblichkeit bei Abbrüchen ist interessegeleitet
Gleichzeitig räumen die US-Gesundheitsforscher ein, dass es schwierig ist, aus einem Vergleich der Verhältnisse in den USA und Finnland Schlüsse zu ziehen. Ein Todesfall bei einer legalen Abtreibung wird in den USA häufig als Tod in Verbindung mit einer Schwangerschaft erfasst. Weniger als ein Viertel der US-Bundesstaaten verlangen von den Anbietern von Schwangerschaftsabbrüchen, dass sie die Abtreibungszahlen und Daten über Todesfälle offenlegen. Das führt zu einer systematischen Untererfassung der Sterblichkeit in Verbindung mit Abtreibungen. Auch gibt es keine Daten zur Zahl von Abtreibung in der Anamnese einer Frau nach einer erfolgreichen Geburt.
Müttersterblichkeit bei Schwarzen und Hispano-Frauen ist vor allem sozial determiniert
Bei schwarzen Frauen ist die Müttersterblichkeitsrate um 330 Prozent höher als bei weißen Frauen. Einige argumentieren, dass dies auf impliziten Rassismus zurückzuführen ist - die Versorgung von schwarzen oder armen Frauen sei nicht so gut wie die von weißen Frauen oder wohlhabenden Frauen. „Die Beschränkung der Diskussion auf impliziten Rassismus erweist Farbigen und Frauen mit prekären finanziellem Hintergrund aber einen schlechten Dienst, da andere Faktoren, die zur Müttersterblichkeit beitragen, außer Acht gelassen werden“, betont US-Gesundheitswissenschaftler Marmion von der Washington State University. Soziale Determinanten wie Armut, Gewalterfahrung und der Mangel an sozialer und familiärer Unterstützung seien Ursachen für die ungleich hohe Müttersterblichkeitsquote. Armut ist zudem mit schlechterer Gesundheit verbunden. Fettleibigkeit, Diabetes und Bluthochdruck wiederum führen zu vermehrten Geburtskomplikationen und höherer Müttersterblichkeit. Statt die historisch durch Versklavung und Bevormundung gewachsenen Verhältnisse der Ungleichheit zu verfestigen, sollten hispano- und schwarzen Frauen stabile Familienverhältnisse und eine Wahlfreiheit zum Kind ermöglicht werden. Der einseitige Fokus auf Abtreibungsangebote unter ärmeren sozialen Schichten verfestige hingegen die Kluft zur Welt der reicheren Weißen.
Was Müttersterblichkeit ist, wird unterschiedlich definiert
Hinzu kommt die objektive Schwierigkeit, die Müttersterblichkeit einheitlich zu definieren und die damit in Verbindung stehenden Erkrankungen korrekt zu erheben. Als Beispiel: Die WHO definiert Müttersterblichkeit als Tod bis zu einem Jahr nach der Geburt. Gynäkologische Fachgesellschaften, die eine Statistik führen, tun dies zum Teil mit einer Definition, die den Tod bis 42 Tage nach einer Geburt als Müttersterblichkeit festlegt. Zudem dominieren verzerrende Publikationen, die nur bestimmte Daten zitieren – und anderslautende weglassen, was Kritiker als „inzestuöses Zitieren“ bezeichnen.
Interessegeleitete Statistik: Es geht nicht nur um Ethik und Wissenschaft
Nach Angaben der Forscher stehen hinter der Veröffentlichung dieser Zahlen eine Reihe von Interessen, die nicht nur ethischer oder medizinischer Natur sind. Die Glaubwürdigkeit und damit auch der wirtschaftliche Profit von Abtreibungskliniken ist eng mit der Sicherheit der Prozeduren verbunden, die in diesen Einrichtungen vorgenommen werden. So werden von Interessensvertretern der Betreiber von Abtreibungseinrichtungen in den USA vor allem Publikationen zitiert, die zu dem Schluss kommen, dass eine Abtreibung sicherer sei als eine Geburt, weshalb schwangeren Frauen mit Angst vor den Risiken einer Geburt durchaus die Abtreibung zur Risikominderung empfohlen werden könne.
Aktuelle Studie erhebt Zweifel an der Redlichkeit von Studien zur Abtreibungsfrage
Widersprüche bei den wissenschaftlichen Publikationen in der Frage von Schwangerschaftsabbrüchen haben Forscher inzwischen untersucht – mit dem Ergebnis, dass an der intellektuellen Redlichkeit der Autoren mancher Studien Zweifel angebracht sind. Das geht bis zu der Frage „Is Induced Abortion Evidence Based Medical Practice?“, so der Titel der von James Studnicki und Ingrid Skop vom Charlotte Lazier Institute (USA) im Medical Reasearch Archive (2024, 12:6 doi.org/10.18103/mra.v12i6.5506) publizierten Analyse.
Sie bestreiten, dass medizinische Studien zur Abtreibung die Bedingungen für gute klinische Studien erfüllen. Es gebe zwar einen objektiv strukturierten Prozess, der den Status „evidenzbasiert“ (wissenschaftlich mit Fakten belegt) trägt. Die nach allen Regeln erforderliche Dokumentation der Erkrankung der Patienten sowie eine Beschreibung, wie die Behandlung das Ausgangsproblem verbessert, würde jedoch fehlen. Auch eine Messung der Wirksamkeit der Maßnahme („Wird bei Frauen durch den Schwangerschaftsabbruch die psychische Situation verbessert?") gibt es nicht. Der Abtreibungswunsch als solcher könne daher nicht das Attribut „evidenzbasiert“ erhalten.
Die Forscher schließen, dass selbst hochrangig publizierte Studien zum Schwangerschaftsabbruch nur eine sehr schwache Qualität vorweisen und die vorliegenden Daten nicht für Empfehlungen genutzt werden können.