Mehr als 750 Ärzte, Hebammen, Krankenschwestern und Psychologen in Belgien haben sich gegen eine geplante Gesetzesänderung zum Schwangerschaftsabbruch gewandt. In einem in der Tageszeitung La Libre veröffentlichten Brief (online, 26.11.2019) riefen sie die belgischen Abgeordneten auf, gegen die neue Regelung zu stimmen. 68 Prozent der Unterzeichnerinnen sind Frauen.
Belgien hat sechs Monate nach der Parlamentswahl noch immer keine Regierung. Liberale, Sozialisten, Grüne, Kommunisten und DéFI wollen diese Zeit des Regierungsvakuums nützen, um eine gesetzliche Lockerung der Bedingungen für den Schwangerschaftsabbruch durchzubringen. Als erstes westeuropäisches Land hat Belgien 2018 den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Die jetzige Gesetzesvorlage, über die in den kommenden Wochen im belgischen Parlament abgestimmt werden soll, sieht drei Ausweitungen vor: Die Frist für einen Schwangerschaftsabbruch soll von drei Monaten auf 4,5 Monate der Schwangerschaft (18. Schwangerschaftswoche bzw. 20 Wochen ohne Regelblutung) ausgeweitet werden. Zweitens soll die erforderliche Bedenkzeit von sechs Tagen auf 48 Stunden verkürzt werden (Österreich sieht keine Bedenkzeit vor). Und drittens sollen Schwangerschaftsabbrüche als reguläre medizinische Leistung der Gesundheitsvorsorge etabliert werden.
Die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen befürchten eine Verschlechterung für Frauen und Angehörige der Gesundheitsberufe. Der Gesetzesvorschlag werde weder der komplexen Situation von Frauen in Not gerecht, noch dem Auftrag der Mitarbeiter im Gesundheitswesens. Abtreibung sei kein „harmloser Vorgang“. Ungewollt schwangere Frauen bestätigen, dass sie sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden und Zeit und Informationen brauchen, um ihre Entscheidung reifen lassen zu können. Sie berichten über dauerhafte negative psychische Folgen nach einer Abtreibung. Ein Angebot von Abtreibung als Teil einer medizinischen Regelversorgung käme einer Verharmlosung gleich, heißt es in dem Brief. Es sei für Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern unzumutbar zu verlangen, die Abtreibung von Kindern, die bereits bis zu 20 cm groß sind, durchzuführen. Zudem bestehe die berechtigte Sorge, dass der „moralische Druck“ auf das Gesundheitspersonal zunehmen wird. Es werde immer schwieriger, sich aus Gewissensgründen gegen eine Beteiligung an einer Abtreibung zu stellen, heißt es in dem offenen Brief.
In Deutschland wurden im November zwei Gynäkologen wegen Totschlags verurteilt, weil sie im Jahr 2010 einen schwer behinderten, aber lebensfähigen Zwilling im Zug der Geburt außerhalb des Mutterleibs mittels einer Kaliumchloridinjektion bewusst getötet hatten. Rechtlich gesehen wäre die Tötung des Kindes während der Schwangerschaft nach Angaben des Landesgerichts Berlin (Az.: 532 Ks 7/16, Pressemitteilung, online, 19.11.2019) zulässig und medizinisch möglich gewesen. Dennoch hätten die Ärzte den Beginn der Geburt abgewartet, um den Eingriff vorzunehmen. Den Angeklagten sei als erfahrenen Gynäkologen bewusst gewesen, dass sie rechtlich nicht mehr befugt gewesen seien, das kranke Kind während des Kaiserschnitts zu töten, weil die Geburt bereits begonnen hatte. Ein derartiges „Aussortieren“ von kranken oder behinderten Säuglingen sei nach dem Willen des Gesetzgebers strafrechtlich aber nicht zulässig, so die Urteilsbegründung.