Im Schnitt rund 18 Prozent der US-amerikanischen Teenager geben an, sich zumindest einmal absichtlich verletzt zu haben. In manchen US-Bundesstaaten lag die Prävalenz sogar bei 30 Prozent. Mädchen sind vom sog. nicht-suizidalen selbstverletzenden Verhalten (NSSV) signifikant häufiger betroffen als Buben. Das geht aus einer aktuellen Studie des American Journal of Public Health (108: 8 (1. August 2018): 1042-1048) hervor. Etwa ein Viertel der heranwachsenden Mädchen fügte sich im Zeitraum von einem Jahr selbst Verletzungen zu, oft durch Ritzen oder Verbrennen, bei den Buben war es im Vergleich dazu einer von zehn.
Martin A. Monto, Soziologe an der University of Portland und Kollegen analysierten die Daten von fast 65.000 Schülern in elf Bundesstaaten aus dem Jahr 2015. Die Faktoren, die Selbstverletzung begünstigen, sind nicht eindeutig: Bei Mädchen dürfte die Zugehörigkeit zur LGBT-Community eine Rolle spielen, auch sexueller Missbrauch oder Online-Mobbing. Burschen berichteten häufiger über Rauchen und Drogenkonsum. All diese Faktoren waren zumindest in gewissem Maße mit einer absichtlichen Verletzung verbunden.
Die Ergebnisse variierten je nach Ethnie. Mehr als 20 Prozent der Jugendlichen, die sich als amerikanische Ureinwohner identifizierten, berichteten von Selbstverletzungen, gefolgt von hispanischen, weißen nicht-amerikanischen und asiatischen Schülern. Nur 12 Prozent der afroamerikanischen Schüler berichteten von Selbstverletzung. Andere Studien hatten bereits gezeigt, dass die Pubertät ein besonders gefährdetes Alter ist, wenn Kinder bzw. Jugendliche erstmals nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten aufweisen: Die meisten beginnen mit 13 Jahren (25 Prozent), gefolgt von 14 Jahren (37,5 Prozent) und 15 Jahren (12,5 Prozent). Ritzen ist mit 64 Prozent die häufigste Form von NSSV. Das Verhalten ging mit zunehmendem Alter zurück, von 19,4 Prozent bei 14-Jährigen auf 14,7 Prozent bei 18-Jährigen.
Laut dem Wiener Kinderpsychiater Christian Kienbacher sei der Auslöser für NSSV bei Jugendlichen vor allem „Enttäuschung in Beziehungen, Kränkung und Zurückweisung, soziale Isolation, Scheitern im Selbstständigwerden, Aufnahme sexueller Beziehungen und Ansteckung durch eine Peer Group“ (vgl. APA Science, online, 30.5.2018). Eltern sind häufig überfordert, wenn sie entdecken, dass ihr Kind sich selbst verletzt. Wichtig sei es deshalb, das Problem offen anzusprechen und zu enttabuisieren.
In Österreich haben sich ca. 20 Prozent der Minderjährigen schon einmal selbst Verletzungen zugefügt. An der Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Innsbruck wird bereits seit 2016 eine eigene Sprechstunde für Selbstverletzungen angeboten (vgl. Pressemitteilung 2016). Laut Kathrin Sevecke, Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, würde es sich in den meisten Fällen nur um kurze Phasen handeln, in denen sich die Kinder und Jugendlichen - aufgrund akuter seelischer Belastungen, wie Scheidung der Eltern, Trennung vom Freund oder schulischer Probleme - selbst verletzten. Bei rund vier Prozent der Jugendlichen würde die Diagnose aber NSSV lauten. Für die betroffenen Patienten würden die Selbstverletzungen eine Erleichterung von einem negativen Gefühl oder einen Ausweg aus persönlichen Schwierigkeiten bedeuten. Diese subjektive Erleichterung habe aber auch zur Folge, dass sich eine Art Abhängigkeit entwickeln könne. Im Rahmen einer Behandlung werde deshalb vor allem versucht, einen anderen Umgang mit Druck und negativen Gefühlen zu finden.