Die Proponenten der Neuregelung gehen davon aus, dass fünf bis zehn Kinder pro Jahr von der neuen Regelung, die seit 1.2.2024 in Kraft ist, betroffen sein werden, berichtet das Deutsche Ärzteblatt (online, 29.1.2024). Voraussetzung für eine straflose Lebensbeendigung ist, dass die betroffenen Kinder an einer unheilbaren und unerträglichen Krankheit leiden, die voraussichtlich in absehbarer Zeit zum Tod führen wird. Beide Eltern müssen der Tötung zustimmen, wobei die Meinung des Kindes seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechend berücksichtigt werden soll.
Niederlande als Paradebeispiel für die „schiefe Ebene“
Mit der neuen Verordnung gehen die Niederlande einen weiteren Schritt in Richtung Normalisierung der „Sterbehilfe“. Es wird auch zum wiederholten Male seit der Legalisierung der Tötung auf Verlangen im Jahr 2002 der Kreis jener, die Tötung auf Verlangen beantragen können, erweitert. Mittlerweile gehen 5,1 Prozent der Sterbefälle auf Tötung auf Verlangen zurück, im Jahr 2022 waren das 8.720 Menschen (Regionale Toetingscommissies Euthanasie 2022), das entspricht 24 Euthanasie-Fälle täglich.
Ausgeweitet wurden im Laufe der Jahre auch die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der „Sterbehilfe“. Während zu Beginn nur Menschen mit einer schweren, unheilbaren und unerträglichen Krankheit für die Tötung auf Verlangen zugelassen waren, genügt inzwischen häufig „Lebensmüdigkeit“ und altersbedingte Einschränkungen (Bioethik aktuell, 12.2.2021).
Ethiker Boer: Heute sind es Kinder, morgen sind es Demenzkranke
Der niederländische Ethiker und frühere Verfechter der „Sterbehilfe“, Theo Boer (Bioethik aktuell, 20.1.2022), beobachtet diese Entwicklungen mit Sorge. Er sieht mit der neunen Verordnung den Grundsatz der Selbstbestimmung durchbrochen, der nun in Fremdbestimmung kippt (Das Erste/ARD, 10.12.2023). Musste bislang der Wunsch nach Tötung auf Verlangen von der schwerkranken Person selbst ausgehen, können nun Eltern über die Tötung ihres Kindes entscheiden.
Boer befürchtet, dass diese Entmündigung kranker und leidender Personen auch auf Erwachsene ausgeweitet werden könnte – beispielsweise auf Personen, die an Demenz erkrankt sind und einen Wunsch nach Tötung ebenfalls nicht mehr rechtswirksam äußern können. Damit käme man aber in eine Lage, in der andere darüber entscheiden würden, ob das Leben eines Menschen noch „lebenswert“ sei oder nicht – was an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern würde.
Unheilbar kranke Kinder brauchen umfassende Versorgung, nicht Tötung
Scharfe Kritik an der Zulassung der Tötung auf Verlangen von unheilbar kranken Kindern in den Niederlanden übt auch der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e. V. (DHPV) und bezeichnet den Schritt als „Entscheidung gegen die Schwächsten in der Gesellschaft“.
„Gerade Kinder brauchen einen besonderen Schutz, wenn sie krank sind. Die Tötung eines Kindes kann hier niemals die Lösung sein, sondern eine den Bedürfnissen entsprechende umfassende Versorgung und Begleitung der betroffenen Kinder und ihrer Familien“, betont Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des DHPV. Er sieht in der Verordnung einen „weiteren Tabubruch“ zumal die Hauptvoraussetzung einer selbstbestimmten „Sterbehilfe“, nämlich die Einwilligungsfähigkeit, bei Kindern nicht gegeben sei.
Die Beihilfe zum Suizid ist das Einstiegstor zur Tötung auf Verlangen
Die Neuregelung in den Niederlanden würde zudem das bekannte Phänomen der „schiefen Ebene“ bestätigen: Der Zugang zur „Sterbehilfe“ werde stetig ausgeweitet. Das sollte als Warnung für Deutschland dienen, wo das Verbot der „geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe“ im Jahr 2020 vom Bundesverfassungsgerichtshof aufgehoben wurde. Im Moment diskutieren wir hier noch die Beihilfe zum Suizid, aber die Rufe nach der Legalisierung aktiver Sterbehilfe bzw. Tötung auf Verlangen werden lauter werden“, so Hardinghaus.