Angesichts der neuen Gesetzeslage zur Beihilfe zum Suizid stellen sich Ärzte, Pflegende und Mitarbeiter in Hospiz- und Palliativeinrichtungen die Frage, wie sie mit Anfragen zur Suizidbeihilfe von Patienten umgehen sollen. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) hat dazu nun eigene Empfehlungen zum Wunsch nach assistiertem Suizid (Sept.2021) veröffentlicht. Neben Hintergrundinformationen zur Suizidalität und Todeswünschen angesichts schwerer Erkrankungen finden Gesundheitsfachkräfte hier Empfehlungen für die Praxis, was in Gesprächen zu beachten ist und wie mit Anfragen verantwortungsvoll umgegangen werden kann. Konkret rät die wissenschaftliche Fachgesellschaft Arbeitgebern und Mitarbeitern, sich verstärkt zum Thema Suizid und Suizidprävention fortzubilden.
So würden Patienten mit schweren Erkrankungen häufig gar nicht die aktuelle Belastung durch die Symptome als Auslöser eines Suizidwunsches angeben, „sondern die Angst vor dem Leid, das noch kommt (nicht die Atemnot heute, sondern die Angst vor dem Ersticken, wenn die Atemnot in Zukunft noch stärker wird)". Patienten sollten daher rechtzeitig über die Möglichkeiten der Symptomlinderung in der Palliativversorgung und über psychosoziale Unterstützungsangebote und Hilfestellungen wie ambulante Hospizarbeit, Seelsorge und psychologische Unterstützung informiert und beraten werden. Auch die Option der gezielten Palliativen Sedierung (in ihren verschiedenen Formen, z.B. auch vorübergehend leicht) sollte besprochen werden. Das Wissen um diese „Letztversicherung“ biete auch Patienten „mit Ängsten vor zukünftig befürchteten Symptombelastungen die wichtige Sicherheit einer Linderungsperspektive“, heißt es in den Empfehlungen.
„Suizidwünschen sollte immer mit Professionalität und Mitgefühl begegnet werden“, betont die Münchner Palliativmedizinerin und DGP-Präsidentin Claudia Bausewein anlässlich der Präsentation des 19-seitigen Dokuments (vgl. Deutsches Ärzteblatt online, 29.9.2021). Sie seien komplex und ambivalent. „Nicht jeder Mensch, der einen Sterbewunsch, welcher Art und Intensität auch immer, äußert oder anders signalisiert, will auch wirklich sterben“, ein Suizidwunsch dürfe nicht als „pure Handlungsaufforderung“ verstanden werden, betont das DGP-Papier. Jeder Todeswunsch müsse daher "sorgfältig auf dahinterliegende Motive hin exploriert werden, um Ideen für eine adäquate Begleitung und ggf. Behandlung überhaupt erst anbieten zu können".
So herrsche immer noch die falsche Vorstellung, dass das Zulassen des Sterbens mit stark belastenden Symptomen verbunden sei – diese Fehleinschätzung unter Patienten und Ärzten müsse korrigiert werden. Außerdem sollten Patienten klar über ihr Recht informiert werden, Behandlungen abzulehnen. Vielen Patienten, die einen Todeswunsch äußern, sei nicht bekannt, dass jede medizinische und pflegerische Maßnahme nur bei entsprechender Indikation und mit ihrem Einverständnis begonnen und weitergeführt werden darf. Es sei ethisch geboten, Maßnahmen zu unterlassen, wenn diese nicht mehr medizinisch indiziert sind.
Sorge bereitet der DGP, dass Mitarbeiter in Zukunft unter einen Handlungsdruck geraten könnten. Palliativ- und Hospizeinrichtungen könnten künftig als „prädestinierte Suizidstätten“ wahrgenommen werden. „Die Assistenz beim Suizid, also die direkte Hilfe bei der Durchführung, ist grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe oder Aufgabe der Hospiz- und Palliativversorgung“, stellt die DGP klar. Beratung, Begutachtung und die eigentliche Suizidassistenz sollten daher nicht von den Mitarbeitern der eigenen Einrichtung erfolgen. Außerdem sollten Einrichtungen ihre Haltung zum Themenfeld der Suizidhilfe öffentlich machen, um Mitarbeitenden wie Betroffenen klare Orientierung zu geben und ethische Konflikte offen zu besprechen. Es sollte klargestellt werden, dass es keinen Anspruch auf Suizidhilfe in Einrichtungen der Hospiz- und Palliativversorgung gibt und kein Mitarbeiter zur Suizidassistenz verpflichtet ist.
Der Arbeitgeberverband Pflege argumentiert in eine ähnliche Richtung. „Die Pflegeeinrichtungen haben in der Regel eigene Hausordnungen und seien nicht verpflichtet, assistierten Suizid oder Suizidbeihilfe darin aufzunehmen“, antwortete der Verband auf Anfrage der Ärzte Zeitung (online, 29.9.2021). Die Begleitung von Bewohnerinnen und Bewohnern bis zum Tod gehöre dagegen zum Grundverständnis der Altenpflege.
17 deutsche katholische Trägerschaften haben bereits eine gemeinsame Erklärung zur Assistierten Suizidbeihilfe abgegeben (An der Seite des Lebens. Positionierung katholischer Träger von Krankenhäusern, Senioreneinrichtungen und Behinderteneinrichtungen in Deutschland zur Frage des assistierten Suizids, Juni 2020). Menschen, die sich in kritischen Lebenslage befinden und den Wunsch nach einem assistierten Suizid äußern, werden in ihrer Not- und Leidenssituation nicht alleine gelassen, sondern erfahren Aufmerksamkeit, Fürsorge und Zuwendung. "Im gemeinsamen Gespräch suchen wir nach Möglichkeiten, körperliches und seelisches Leid zu lindern", heißt es in der Erklärung. Gleichzeitig lehnt das Bündnis ab, dass "Ärztinnen und Ärzte oder andere Personen, die in einer professionellen pflegenden, betreuenden oder begleitenden Beziehung zu Menschen stehen, Beihilfe zum Suizid leisten oder sie bei der Vorbereitung eines Suizids unterstützen." Das Bündnis vertritt insgesamt 634 Krankenhäuser und Sozialeinrichtungen in Deutschland, in denen jährlich mehr als 1,8 Millionen Menschen ambulant und stationär von über 90.000 Mitarbeitenden versorgt werden.