Bioethik aktuell: In Diskussionen hört man immer wieder, dass Marihuana eine natürliche Substanz sei, die nebenwirkungsarm ist und nicht abhängig macht…
Kurosch Yazdi-Zorn: Dass das im Marihuana enthaltene THC süchtig macht, wurde in unzähligen Studien nachgewiesen, das sind Fakten. Und wer behauptet, dass alle Pflanzen gesund sind, nur weil sie „natürlich“ sind, sitzt einem Irrglauben auf. Das im Marihuana enthaltene THC ist für einer Reihe schädlicher Nebenwirkungen verantwortlich – von ganz milden, wie Müdigkeit und gesteigertem Appetit bis hin zu Konzentrations- und Gedächtnisproblemen oder sogar Psychosen. Und auch da gibt es verschiedene Abstufungen, angefangen von ganz milden Psychosen in Form von Realitätsverzerrungen nach dem Motto: „Ich verschmelze mit der Welt und nehme alles intensiver wahr“ bis hin zu einer Paranoia in Form von Wahnvorstellungen oder Halluzinationen. Durch Marihuana ausgelöste Psychosen können vergehen, sie können aber auch dauerhaft bleiben bzw. chronisch werden, vor allem bei fortgesetztem Konsum. In diesem Fall spricht man dann von Schizophrenie – also einer Psychose, die sich irgendwann unabhängig vom Marihuana-Konsum manifestiert.
Bioethik aktuell: Und wie schlägt sich die Form des Konsums auf die Gesundheit nieder?
Kurosch Yazdi-Zorn: Die meisten Menschen, die Cannabis konsumieren, rauchen Marihuana. Da dieses bei einer höheren Temperatur verbrennt als herkömmlicher Tabak, werden beim „Kiffen“ vielmehr krebserregende Stoffe inhaliert als bei einer Zigarette. Außerdem verwenden die meisten Kiffer keine Zigarettenfilter, weil diese den Großteil des THC nicht durchlassen, was die erwünschte Rauschwirkung vermindern würde. Durch das Kiffen sind also Lungenprobleme vorprogrammiert. Cannabis kann auch in Form von Edibles gegessen werden. Das schadet zwar weniger der Lunge, aber es ist viel schwieriger einzuschätzen, wieviel THC der Körper über den Darm tatsächlich aufnimmt und wann dieses wirkt. Bei dieser Einnahmeform kommt es deshalb häufig zu Überdosierungen.
Bioethik aktuell: Macht es einen Unterschied, in welchem Alter man mit dem Cannabis-Konsum beginnt? Wie reagieren Jugendliche auf Marihuana?
Kurosch Yazdi-Zorn: Alle süchtig machenden Substanzen, wie Marihuana, führen schneller zu einer Abhängigkeit, je jünger das Einstiegsalter. Das hat damit zu tun, dass bei jungen Menschen das dopaminerge Belohnungssystem aktiver ist und die Abhängigkeit überwiegend über die Ausschüttung von Dopamin funktioniert. Hinzu kommt, dass Cannabis die Gehirnreifung verhindert. Beim Menschen dauert die anatomische Gehirnentwicklung und -reifung etwa bis zum 25 Lebensjahr. Zahlreiche Studien zeigen, dass regelmäßiges - das heißt mehr als zwei Mal pro Woche - Kiffen den IQ von Jugendlichen über die Jahre um 10 Prozent verringert – und das unwiederbringlich. Das klingt vielleicht harmlos, diese 10 Prozent sind jedoch dramatisch und können ausschlaggebend dafür sein, ob jemand später eine sinnvolle Ausbildung absolvieren oder Karriere beruflich machen kann oder nicht.
Ein junges Gehirn ist ebenfalls anfälliger für die Entwicklung von Psychosen. Eine zunehmende Zahl von jungen Menschen, die wegen chronischen Psychosen ins Krankenhaus kommen, hat bereits sehr viel Cannabis-Erfahrung. Mittlerweile wissen wir auch, dass bestimmte Menschen aufgrund ihrer genetischen Veranlagungen sehr schnell durch THC psychotisch werden und bei anhaltendem Konsum Schizophrenie entwickeln können.
Bioethik aktuell: In Deutschland wurde kürzlich der Besitz und Anbau von Cannabis ab 18 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen legalisiert. Es gab eine breite Front von Kritikern, die vor diesem Schritt gewarnt haben. Welche Erfahrungen gibt es aus Ländern, die Marihuana bereits zugelassen haben?
Kurosch Yazdi-Zorn: Aus Kanada und einigen US-Bundesstaaten wissen wir, dass man durch die Legalisierung von Marihuana zwar die Abgabe besser kontrollieren kann, dass dadurch aber auch die Verfügbarkeit der Droge in der Gesellschaft steigt. Das führt dazu, dass mehr Menschen diese auch konsumieren, was wiederum bedeutet, dass mehr Probleme, wie Abhängigkeiten, Konzentrationsschwierigkeiten, Psychosen oder etwa Verkehrsunfälle auftreten und mehr Menschen professionelle Hilfe benötigen.
Bei einem legalen Marihuana-Vertrieb haben Konsumenten zwar die Möglichkeit, Cannabis in lizenzierten Shops mit Qualitätskontrolle zu kaufen, der Schwarzmarkt wird dadurch jedoch nicht abgeschafft. Will jemand stärkeren „Stoff“ oder synthetische Cannabinoide erwerben, wird er sich weiterhin an einen Drogendealer wenden. Die Mafia, die den Schwarzmarkt kontrolliert, verschwindet durch die Legalisierung von Marihuana auch nicht einfach, sondern verlagert meist nur ihre Aktivität. In den USA etwa, wo der Markt vor allem von der mexikanischen Mafia mit Marihuana versorgt wurde, hat diese nach der Legalisierung von Cannabis einfach auf den Mohnanbau umgesattelt. Das trug schließlich zur Opioidkrise bei. Das Fentanyl, das so viele Menschen in den USA tötet, stammt fast ausschließlich aus Mexiko und wird von denselben Leuten vertrieben, die vormals Cannabis verkauften.
Bioethik aktuell: Cannabis ist ein Suchtmittel wie Alkohol oder Tabak. Sollte man sie rechtlich nicht gleich behandeln?
Kurosch Yazdi-Zorn: Der direkte Vergleich unter den Drogen, also etwa zwischen Alkohol und Marihuana oder Heroin und Tabak hinkt. Es ist sinnlos zu fragen, was gefährlicher und was weniger gesund ist. Das machen wir bei anderen Übeln, wie etwa Krankheiten auch nicht.
Worüber wir uns einig sein sollten, ist, dass THC eine Droge ist, die süchtig machen und andere Probleme verursachen kann. Über die Gefährlichkeit einer Droge entscheidet jedoch nicht primär das Suchtpotenzial, sondern die Tatsache wie viele Menschen sie konsumieren. Hinzu kommt, dass wenn eine Droge überall in der Gesellschaft verfügbar ist, wie etwa Alkohol und Nikotin, dann werden auch Kinder und Jugendliche sie konsumieren. Denn Kinder und Jugendliche wollen erwachsen wirken und ahmen das Verhalten der Erwachsenen nach.
Bioethik aktuell: Cannabis gehört laut dem Europäischen Drogenbericht 2024 zu den am häufigsten konsumierten illegalen Drogen. Wie kann man Menschen, die abhängig geworden sind, helfen und eine effektive Prävention leisten, damit es gar nicht so weit kommt?
Kurosch Yazdi-Zorn: Die Gesellschaft braucht mehr Informationen und Aufklärung zum Thema Cannabis. Dabei meine ich sinnvolle und sachliche Information. Es braucht eine staatlich gelenkte Aufklärung beispielsweise über das Bildungssystem oder über seriöse, staatliche Medien. Davon haben wir im Moment viel zu wenig.
Bei uns sowie in anderen Suchteinrichtungen wird Betroffenen Beratung und Behandlung angeboten, und zwar unabhängig davon, ob eine Person bereits süchtig ist oder aus einem anderen Grund unter einer Psychose, Gewichtszunahme, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit, etc. aufgrund von Cannabis leidet. Zu uns kommen Menschen, die sagen: ich möchte nicht mehr konsumieren oder ich möchte weniger konsumieren. Das unterstützen wir. Vor fünf Jahren haben wir eine eigene Cannabis-Ambulanz an meiner Abteilung eingerichtet. Die Anfragen hatten so zugenommen, dass wir sie nicht mehr in Einzelberatungen entgegennehmen konnten.
Das Gespräch führte Bioethik aktuell-Redakteurin Antonia Busch-Holewik.