In Großbritannien hat der Oberste Gerichtshof in London den Antrag eines Mannes abgewiesen, der eine erneute gerichtliche Überprüfung des Verbots der Beihilfe zum Suizid gefordert hatte (vgl. BBC, online, 19.12.2019). Der 63-jährige Paul Lamb argumentierte, dass das derzeitige Gesetz, das für Beihilfe zum Selbstmord eine Freiheitsstrafe von bis zu 14 Jahren vorsieht, seine Menschenrechte verletzt, darunter Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Schutz vor Diskriminierung und Artikel 8 zum Schutz der Menschenrechte auf Privatsphäre und Familienleben. Lamb ist seit einem Autounfall 1990 querschnittsgelähmt und auf 24-Stunden-Hilfe angewiesen.
Sein Anwalt argumentierte, dass Lamb „noch viele Jahre unerträglichen Leidens“ bevorstünden. Schuld daran seien die geltenden Gesetze. Menschen mit schweren Behinderungen würden diskriminiert, so sein Argument. Ein nicht schwerbehinderter Mensch könne sein Leben selbst beenden, wenn er dies wünscht. Gesetze, die die Beihilfe zum Selbstmord unter Strafe stellen, würden es jedoch Schwerbehinderten verunmöglichen, einen Suizid zu begehen.
Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens hatte bereits 2014 in mehreren Fällen entschieden, dass ein Verbot der Beihilfe zum assistierten Suizid gerechtfertigt sei. Eine Änderung der Sterbehilfe sei Sache des Parlaments und nicht der Gerichte. Das Britische Parlament hatte daraufhin debattiert und sich im Herbst 2015 mit überwältigender Mehrheit gegen eine Legalisierung der Beihilfe zum Suizid und für den Schutz vulnerabler Personen ausgesprochen (vgl. Bioethik aktuell, 14.9.2015). Höchstrichterin Elizabeth Laing argumentierte nun eben auf dieser Linie: Eine Genehmigung von Ausnahmefällen würde den Schutz „höchst schutzbedürftiger Personen“ aufheben. Die Mehrheit wolle sich nicht das Leben nehmen, wäre aber möglicherweise einem „Druck“ ausgesetzt, dies zu tun.
In jenen Ländern, in denen die Tötung auf Verlangen oder die Mitwirkung an einer Selbsttötung straffrei ist, steigt der Druck, sich der Option zu stellen, anderen durch einen rechtzeitigen? Suizid nicht zur Last zu fallen, betont die Wiener Bioethikerin Susanne Kummer. Doch nicht nur Patienten, auch Ärzte fühlen sich bei Sterbehilfe-Anträgen unter Druck, sagt Kummer. „Wir haben Daten aus den Niederlanden, wo Hausärzte von emotionaler Erpressung durch die Patienten und Angehörigen berichten, damit sie den Sterbehilfeanträgen zustimmen.“ Erst kürzlich hatte eine im Journal of Medical Ethics publizierte Studie (http://dx.doi.org/10.1136/medethics-2018-105120) 36 Todesfälle durch Sterbehilfe in den Niederlanden analysiert, bei denen sich Allgemeinmediziner unter Druck gesetzt fühlten.
Die Ärzte berichteten von Patienten, die mit Selbstmord drohten, wenn dem Antrag auf Sterbehilfe nicht stattgegeben werde. In einigen Fällen drohte auch die Familie damit, die Patientin zu töten: „Muss ich es also selbst tun, muss ich ein Kissen auf ihren Kopf legen? Und dann wirst du der Schuldige sein!“ Es gab auch Fälle, in denen die Hausärzte unter Zeitdruck standen, sich nicht sicher waren, ob die gesetzlichen Kriterien erfüllt seien, und dann die Patienten selbst die Kontrolle über den Prozess übernahmen. Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung sind in den Niederlanden seit 2002 legal.
In Österreich hatte der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, aktiver Sterbehilfe und der Beihilfe zum Suizid zuletzt eine klare Absage erteilt (Bioethik aktuell, 16.12.2019). In Österreich haben im Juni 2019 vier Personen beim Verfassungsgerichtshof eine Klage gegen das Verbot der Beihilfe zum Suizid eingereicht. Ein Urteil des VfGH wird im Frühjahr 2020 erwartet.