Nach der mutmaßlichen Genmanipulation an Babys in China dürfen die beteiligten Wissenschaftler ihre Arbeit vorerst nicht fortsetzen. Das Wissenschaftsministerium sei strikt gegen die Gen-Manipulation bei Babys und habe bereits verlangt, „dass die betroffene Organisation die wissenschaftlichen Aktivitäten des betreffenden Personals aussetzt“, sagte ein Vertreter dem Staatssender CCTV (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online, 29.11.2018).
Nach Angaben des Biotechnologen He Jiankui auf dem internationalen Genomforscher-Kongress in Hongkong (vgl. ORF, online, 28.11.2018) soll derzeit noch eine weitere Frau mit einem genmanipulierten Kind schwanger sein. Während Wissenschaftler weltweit empört auf die Nachricht der Geburt von genveränderten Zwillingen reagierten, sagte Jiankui, er sei „stolz“ auf seinen Versuch und bereit, die „Kritik auf sich zu nehmen“ (vgl. Tagesspiegel, online, 26.11.2018).
Jiankui soll es nach eigenen Angaben gelungen sein, mittels der Genschere CRISPR/Cas9 das Erbgut im frühsten Teilungsstadium der Embryonen so manipuliert zu haben, dass diese gegen HIV/Aids-Viren resistent seien. Durch die Entfernung eines Gens für den Rezeptor CCR5 habe er den Viren jene „molekulare Eintrittspforte“ entfernt, durch die sie in Zellen gelangen können. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung über das Gelingen des Experiments existiert aber bisher nicht.
Die Southern University of Science and Technology in Shenzhen distanzierte sich von Jiankui und zeigte sich „schockiert“. Sie sei nicht informiert gewesen, der Biotechnologe wurde mit sofortiger Wirkung freigestellt. Dass der Versuch in China stattfand, überrascht allerdings nicht. Staats- und Parteichef Xi Jinping hat CRISPR/Cas9-Forschungzu einem der 5-Jahres-Ziele des Landes erklärt. Um weltweit führend zu werden, fließen jährlich milliardenhohe Investitionen in die Genforschung.
Als „Schlag ins Gesicht“ für alle, die sich um einen verantwortungsvollen Umgang mit Forschung bemühen, bezeichnet die Wiener Ethikerin Susanne Kummer die Keimbahnveränderung bei menschlichen Embryonen. Der betreffende chinesische Wissenschaftler habe sich „über alle Maßstäbe der klinischen Forschung hinweggesetzt“ und einen „Menschenversuch mit nicht vorhersehbaren Folgen durchgeführt“, so die Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) im Interview mit Kathpress (online, 27.11.2018).
Das chinesische Experiment sei „erschreckend“, weil jegliche Vorsichtsgebote, die sonst in der klinischen Praxis geboten sind, missachtet wurden, betont Kummer. „Kein Medikament etwa für Parkinson darf am Menschen angewendet werden, wenn es gleichzeitig das Risiko für das Auftreten eines Gehirntumors signifikant erhöht“, verdeutlichte die Expertin das ungelöste Problem von unerwünschten Nebenwirkungen (sog. Off-Target-Effekte) des Genome Editing-Verfahrens.
Eine Veränderung der Keimbahn bedeutet zweitens, dass die Manipulation auch an zukünftige Generationen vererbt wird. Daher brauche es eine besondere sorgfältige und bedächtige Risikofolgenabschätzung, betont Kummer. Drittens sei die embryonale Forschung auch per se ethisch umstritten, aufgrund der vielen Embryonen, die zur Erreichung eines Ergebnisses vernichtet werden.
He Jinkui erntete aus eigenen Reihen scharfe Kritik, unter anderem von 122 Fachkollegen aus China, die in einem gemeinsamen Protestbrief von einem „Öffnen der Büchse der Pandora“ sprechen. IMABE-Geschäftsführerin Kummer bedauerte, dass trotz internationaler Proteststürme die Forschungsgemeinschaft dennoch nicht mit einer Stimme spreche. Grund dafür seien die vielfältigen Interessen, vor allem auch finanzielle, die im Hintergrund mitspielten. In Großbritannien etwa hatte erst kürzlich der Britische Ethikrat eine Empfehlung für Eingriffe in die menschliche Keimbahn abgegeben (vgl. Bioethik aktuell, 7.8.2018).