Der 104-jährige australische Wissenschaftler David Goodall nahm sich am Christi Himmelfahrtstag in Basel mit Hilfe des Schweizer Vereins lifecircle und der Partnerorganisation Exit International das Leben. In Australien ist Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen verboten, Goodall flog deshalb eigens in die Schweiz. Der Botaniker, der bis vor zwei Jahren noch an der Universität arbeitete, hatte einen gescheiterten Selbstmordversuch hinter sich. Er klagte über Altersschwäche.
Medial wurde Goodall inzwischen als neue „Ikone der Sterbehilfe“ bezeichnet, Schweizer Politiker zeigten sich indes verärgert über das „Live-Drama“ rund um den Tod des 104-Jährigen (vgl. Stuttgarter Zeitung, online, 10.5.2018). Die Schweiz gilt in Europa mittlerweile als Hochburg für den sog. „Sterbetourismus“.
Am Tag vor seinem geplanten Suizid hatte der Wissenschaftler öffentlichkeitswirksam erklärt, dass er sein langsames Vergehen als „ageing disgracefully“, als „schmachvoll alternd“ empfinde, wie auf seinem T-Shirt zu lesen war. Es sei ein Menschenrecht, dass er seinem langen Leben aktiv und bewusst ein Ende setzen könne: „Jeder über 50 oder 60 sollte frei sein zu entscheiden, ob er weiterleben möchte oder nicht“, egal ob krank oder gesund, so Goodall bei seiner letzten Pressekonferenz in Basel vor mehr als 50 nationalen und internationalen Medienschaffenden (vgl. BZ Basel, online, 10.5.2018).
Der internationale Medienrummel war enorm, nur sehr wenige Medien wiesen in Zusammenhang mit Goodalls Suizid auf Hilfsangebote für Menschen mit Suizidgedanken hin, kritisiert die Ethikerin und frühere Journalistin Susanne Kummer. „Der Fall Goodall sollte Medienschaffende dazu bringen, ihre Berichterstattung im Zusammenhang mit Suiziden kritisch zu reflektieren“, betont Kummer (vgl. ORF.at, online, 11.5.2018). Die WHO hat bereits 2008 eigene Richtlinien zur Darstellung von Suizid in Medien (Update: 2017) erlassen. „Medienschaffende werden darin aufgefordert, sowohl eine „Sensationssprache“ als auch eine „normalisierende Darstellung von Selbstmord als Lösung für Probleme“ zu vermeiden, ebenso eine „prominente Platzierung von Geschichten über Selbstmord“ sowie eine „explizite Beschreibung der verwendeten Methode“. Leider wurden diese im Fall Goodall von vielen ignoriert“, kritisiert Kummer. Besondere Zurückhaltung sollte bei der Berichterstattung über Promi-Selbstmorde geübt werden.
Die Ethikerin erinnert daran, dass in den Niederlanden bereits über die "Letzte-Wille-Pille" für ältere, aber noch gesunde Menschen debattiert wird. Medienschaffende würden eine hohe Verantwortung in Sachen Suizidprävention tragen: „Die Hochstilisierung der Selbstbestimmung hat inzwischen zu einer Abwertung des Lebens geführt: Wenn Optionen wie der "Seniorenfreitod" positiv besetzt werden, ist das ein besorgniserregendes Signal.“ Medien sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie - bewusst oder unbewusst - ein Klima schaffen, in dem sich ältere, kranke und vulnerable Menschen immer mehr unter Druck gesetzt fühlen. „Der Gedanke, dass sie eine Last sind und durch ein sozialverträgliches Frühsterben ihren Mitmenschen viel ersparen könnten - auch finanziell - schwingt subtil mit.“
Die Suizidgefährdung bei älteren Menschen sei ein ernstzunehmendes Problem. Erst kürzlich hatte der Schweizer Alterspsychiater Raimund Klesse darauf hingewiesen. „Jeder Mensch, der sich das Leben nehmen will, ist in einer seelischen Notlage. Er leidet unter Ängsten oder signalisiert, dass er unter den gegebenen Umständen nicht mehr weiterleben will. (...) Suizidwillige brauchen Menschen, die ihnen im Leben beistehen - nicht solche, die ihnen den Giftbecher reichen“, so der Psychiater (vgl. BAZ, online, 23.2.2018).
Der Verein lifecircle führte im Fall Goodalls die Beihilfe zum Suizid durch. Deren Präsidentin Erika Preisig kämpft international unter dem Motto „Selbstbestimmt leben - selbstbestimmt sterben“ für die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid, etwa auch für einsame, ältere Menschen, ohne schwerwiegende Erkrankung, und betreibt seit 2012 im Raum Basel eine Wohnung zur Freitodbegleitung. Hier begehen die Mitglieder ihren Suizid - die Kosten sind nicht unerheblich: Ausländer bezahlen 10.000 Franken, Einheimische 3.000 Franken. Gegen Preisig läuft derzeit ein Strafverfahren. Ihr wird vorgeworfen das tödliche Arzneimittel Natrium-Pentobarbital (NaP) für ihre Suizid-Klienten nicht rechtskonform zu beziehen.