Die Verleihung des Chemie-Nobelpreises 2019 für die Genschere an Emmanuele Charpentier und Jennifer A. Doudna hatte der Genschere CRISPR-Cas9 starken Rückenwind verliehen. Sowohl punktuelle Eingriffe am menschlichen Genom in Körperzellen als auch Eingriffe bei Embryonen an frühen Keimbahnzellen standen im Fokus. Erbkrankheiten wie Mukoviszidose oder auch die Anfälligkeit für Malaria oder HIV-Infektionen sollten durch Veränderungen im Erbgut schon im frühesten Stadium verhindert werden. Nun sieht es allerdings nach einer Kehrtwende im gesamten Forschungsbereich aus.
Genom-Eingriffe am ganzen menschlichen Erbgut bleiben inakzeptabel
Am dritten „Summit on Human Genome Editing“ im Londoner Francis-Crick-Institute im März 2023 nahmen 400 Wissenschaftler, Bioethiker sowie Patienten- und Interessenvertreter teil. Ihr Fokus lag auf ethisch eher unbedenklichen Anwendungen der Technik, wie etwa an einzelnen Organen oder Blutzellen bei Erwachsenen.
Angesichts der Debatte der Anwendung von CRISPR-Cas9 sahen sich die Teilnehmer zur Verabschiedung eines Abschlussdokumentes („Bill“) genötigt. Darin heißt es: „Genom-Eingriffe in das menschliche Erbgut sind derzeit nicht zu akzeptieren. Die öffentliche Diskussion und die politische Debatte darüber hält an. Sie sind wichtig, um zu entscheiden, ob diese Technologie überhaupt zum Einsatz kommen soll. Es gibt keine Regulierung und keine akzeptierten ethischen Prinzipien für einen verantwortlichen Umgang mit dem Genom-Editing des menschlichen Erbguts. Die notwendige Sicherheit und Standards für die Beurteilung der Wirksamkeit liegen noch nicht vor.“
Chinesischer Biophysiker He Jiankiu hatte das Genom von menschlichen Embryonen verändert
Das zweite Summit zur Genschere CRISPR-Cas9 in Hong Kong im Jahr 2018 war geprägt vom Skandal um den Chinesen He Jiankiu. Der Biophysiker hatte im November 2018 via Youtube die Geburt von genmanipulierten Zwillingsmädchen verkündet. Nach eigenen Angaben habe er die DNA der Embryonen mit der Genschere CRISPR/Cas9 im Zuge des IVF-Verfahrens so verändert, dass die Kinder nun lebenslang vor einer HIV-Infektion geschützt wären (Bioethik aktuell 4.12.2018). Jiankui wurde für seine Genexperimente an Menschen zu drei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von drei Millionen Yuan (rund 385.000 Euro) verurteilt. Das umstrittene Experiment hatte international scharfe Kritik ausgelöst und wurde von Wissenschaftlern als ethisch unvertretbar verurteilt (Bioethik aktuell 13.1.2020). Mittlerweile ist Jiankui wieder auf freiem Fuß - und rekrutiert diesmal erwachsene Patienten für weitere Experimente.
Auch die WHO hatte die ethische Bremse angezogen und vor Kontrollverlust gewarnt
Zu einer vorsichtigen Gangart beigetragen hatte nicht unerheblich die Weltgesundheitsorganisation WHO mit der Stellungnahme eines Ausschusses im Jahr 2019, der die weitere Richtung vorgegeben und vor unkontrollierter Forschung gewarnt hatte (Bioethik aktuell vom 6.8.2019). Die in Großbritannien angestrebten Liberalisierungsversuche von interessierter Seite hatte es wohl gegeben (Bioethik aktuell vom 3.10.2022) – ohne aber offenbar die Forscher selbst nachhaltig zu beeindrucken. Das Forschungsgebiet und dessen Akzeptanz in der Gesellschaft bleibt weiter umkämpft.
Die Gründe sind wohl am ehesten der große gesellschaftliche Druck
In einem Kommentar zum Londoner Summit verweist die Soziologin Katie Hassen darauf, dass in den Vorjahren noch klinische Studien gefordert wurden – ohne Rücksicht auf ethische Bedenken (Center of Genetics and Society, 10.3.2023). Diese wurden als Forschungshindernis angegriffen.
Die Stellungnahme von 2023 stellt Genom-Editing-Studien nun generell in Frage. Trotzdem enthält die Abschluss-Erklärung Widersprüchliches und ist noch nicht der endgültige Abgesang des humanen Genom-Editings an frühen menschlichen Embryonen – es ist eher eine Reaktion auf den großen gesellschaftlichen Druck, auf den die Vertreter dieses Forschungszweiges reagieren, so Hasson. Auch die Entwicklung in der Landwirtschaft, 'grüne' Gentechnologie einzudämmen, scheint nicht spurlos an der 'roten' Gentechnik am Menschen vorbeizugehen.
Verschiedene Fachgruppen durften sich zum Genom-Editing äußern
Letztendlich schienen viele Sprecher auf dem Londoner Kongress nur noch wenig Interesse daran zu haben, über das Genom-Editing von Keimbahnzellen überhaupt sprechen zu wollen. Stattdessen konnten Teilnehmer wie Sarojini Nadimpally, Sheila Jasanoff und Kaushik Sunder Rajan kritische Punkte zum Thema Genschere und Fragen zur Inklusion von behinderten Menschen auf dem Kongress vorbringen.
Wie die Forschungen einzuordnen sind
Seit der Entdeckung der Genschere CRISPR-Cas9 im Jahr 2012 befassen sich Forscher mit der Veränderung des Genoms einzelner Bausteine der Erbsubstanz, um die Ursache von Erkrankungen wie Sichelzellenanämie oder Immundefekten zu beheben. Die Sinnhaftigkeit, Änderungen in der Keimbahn des Menschen vorzunehmen, wurde im Jahr 2019 auch von einigen Mitgliedern des Deutschen Ethikrats bereits hinterfragt, weil kein „ausreichend hochrangiger Nutzen“ zu erkennen sei und die „hinreichende Sicherheit und Wirksamkeit“ fehlt. Was in der Keimbahn verändert wird, wo der lebendige Mensch nur aus einer einzige Zelle besteht, wirkt sich in der späteren Entwicklung auf jede einzelne Körperzelle aus und wird an die nächste Generation weitergegeben. Ebenso ungelöst ist, dass nicht erwünschte Nebenwirkungen (sog. Off-Target-Effekte) aufgrund des Genome-Editing-Verfahrens auftreten können. (Bioethik aktuell 19.03.2019) Außerdem ist die embryonale Forschung an sich ethisch umstritten, da zahlreiche menschliche Embryonen im Zuge des Verfahrens vernichtet werden müssen.