Der Weltärztebund (WMA) hat seine Position beibehalten, wonach Ärzte nicht „zur Teilnahme an Euthanasie oder assistiertem Suizid gezwungen werden sollten“, noch sollten sie verpflichtet werden zu diesem Zweck an andere Ärzte weiterzuleiten. Dies ist das Ergebnis des Expertenmeetings der WMA zum International Code of Medical Ethics (vgl. Bioedge, 15.8.2022). Damit schützt der Dachverband die Gewissensfreiheit in Gesundheitsberufen. Ergänzt wurde die WMA-Stellungnahme um den Hinweis, dass Patienten über einen Gewissenskonflikt des Arztes informiert werden müssen.
IMABE: „Nach bestem Wissen und Gewissen“ zu handeln ist mittlerweile ein Störfaktor
Die Gewissensfreiheit im Gesundheitsbereich steht weltweit unter Druck. In Schweden wurde eine Hebamme entlassen, weil sie sich weigerte, an einer Abtreibung mitzuwirken (Bioethik aktuell, 11.4.2016). In Kanada musste ein Hospiz schließen, weil der Trägerverein keine Euthanasie durchführen lassen wollte (Bioethik aktuell, 4.3.2021). In Spanien verlangt der Staat eine Registrierung aller Ärzte, die keine aktive Sterbehilfe durchführen wollen (Bioethik aktuell, 1.7.2021).
„Wir erleben heute eine bedenkliche Entwicklung: Ärzte, Pflegende, Hebammen oder Apotheker, die für sich ausschließen, an Tötungshandlungen wie Sterbehilfe oder Abtreibung mitzuwirken, wird unterstellt, dass sie dadurch andere ‚gefährden‘ – weil sie Leben schützen“, sagt Ethikerin Susanne Kummer. Das Grundrecht, wonach niemand gegen sein Gewissen zu Handlungen gezwungen werden darf – wie im Fall der Kriegsdienstverweigerung – würde zunehmend „nicht als Errungenschaft eines pluralen Staates verteidigt“, sondern als „Störfaktor“ umgedeutet, so die IMABE-Direktorin. „Nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln ist ein wesentlicher Faktor, um die eigene berufliche Integrität zu wahren“.
UN-Menschenrechtscharta gerät unter politischen Druck
Nach Artikel 18 der UN-Menschenrechtserklärung hat jeder Mensch ein Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht gerät zunehmend unter politischen Druck. So betont die WHO in ihren im März 2022 veröffentlichten Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch, dass es „nicht vertretbar“ sei, wenn jemand die Mitwirkung an einer Abtreibung aus Gewissensgründen ablehnt. Auch das Europäische Parlament hatte im Juni 2021 eine Resolution zu sexuellen und reproduktiven Rechten veröffentlicht. Darin wird ein „Recht auf Abtreibung“ formuliert, das höher steht als das Recht von medizinischen Fachkräften, sich auf „persönliche Überzeugungen zu berufen“, derentwegen sie keine Abtreibungen durchführen wollen.
Ärzte kritisierten die geplanten Änderungen am Ethik-Kodex
In diese Kontroverse hineingeraten ist der Weltärztebund (WMA). Er versucht unter der Präsidentschaft des deutschen Radiologen Frank Ulrich Montgomery seine Politik zur ärztlichen Gewissensentscheidung weiterzuentwickeln. Die WMA ist eine internationale Konföderation von Ärzten und Pflegern, in der 115 nationale medizinische Vereinigungen vertreten sind.
WMA-Experten trafen sich im August 2022 in Washington DC, um Änderungen zu erarbeiten. Die geltenden Richtlinien der WMA sehen vor, dass „kein Arzt gezwungen werden sollte, an Euthanasie oder assistiertem Suizid teilzunehmen, noch sollte ein Arzt verpflichtet werden, an Ärzte zu diesem Zweck zu überweisen.“ Ein neuer Entwurf sah eine Änderung vor. Dagegen regte sich Widerstand, wie ein offener Brief zeigte, der vom britischen Anscombe Bioethics Centre veröffentlicht wurde.
Über 200 Ärzte und Medizinethiker unterzeichneten den Brief, darunter mehr als 100 Universitätsprofessoren aus aller Welt. Darin heißt es unter anderem: „Zu verlangen, dass ein Arzt die Durchführung eines Verfahrens erleichtert, gegen das er ernsthafte ethische Einwände hat, ist ein direkter Angriff auf sein Gewissen und seine moralische Integrität.“ Die Unterzeichner betonen, dass ein „Arzt sicherstellen muss, dass die Gewissensfreiheit in einer Weise ausgeübt wird, die seiner Fürsorgepflicht für das Leben und die Gesundheit des Patienten in vollem Umfang Rechnung trägt.“ Ein Arzt sei jedoch „ethisch nicht verpflichtet, einen Patienten für Verfahren zu überweisen, die er aufrichtig und vernünftigerweise für unethisch hält, und er darf nicht dazu gezwungen werden.“
Am Ende stand ein Kompromiss, der dem Arzt Gewissensfreiheit lässt
Der in Washington erzielte Kompromiss der WMA sieht vor, dass Patienten unverzüglich informiert werden müssen, wenn ihr Arzt einen Gewissensvorbehalt hat und dass sie über ihr Recht informiert werden, einen anderen qualifizierten Arzt konsultieren zu können. So sei sichergestellt, dass Patienten eine weitere Konsultation einleiten könnten. Patienten dürften durch Gewissensentscheidungen anderer weder geschädigt oder diskriminiert noch in ihrer Gesundheit gefährdet werden, so die Argumentation. Über diesen Entwurf soll beim nächsten WMA-Treffen in Berlin im Oktober 2022 abgestimmt werden.
Auch für Ärzte, Pflegepersonal und alle anderen beteiligten Gesundheitsberufe gilt das Gebot, dass Menschen nicht aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung benachteiligt werden dürfen. Oder, wie es die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) 2020 formulierte: „Wir wollen niemals in einem Staat leben, der das Recht aushebelt, nach bestem Wissen und Gewissen handeln zu können.“ (Bioethik aktuell 1.8.2020)