Patientenschützer haben anlässlich der jüngsten Debatte im Deutschen Bundestag davor gewarnt, den Suizid als unabwendbaren persönlichen Wunsch zu betrachten. Aufgabe der Gesellschaft dürfe es nicht sein, Suizidwünsche stillschweigend hinzunehmen, sagte Eugen Brysch, Vorsitzender der Stiftung Patientenschutz. Selbsttötung sei nicht die höchste Stufe der Selbstbestimmung. Wo „sogenannte Sterbehelfer den Tod in den Gelben Seiten“ anböten, entstünde ein „Sog, der Alte, Schwerstkranke und Depressive mit sich reißt“, warnt der Patientenschützer in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (online, 2.7.2015). Brysch forderte einen Wechsel im Gesundheitssystem, das bislang allein auf Heilung setze. Der Gesetzgeber müsse dringend die Prioritäten ändern: „Lindern und Pflegen kosten Geld. Viel Geld würde frei, wenn Menschen nicht in Therapien und Operationen gedrängt würden, die keine Lebensqualität bringen.“
Gerade in der Sterbehilfe-Debatte sehen wir, wie sich der Graben einer Doppelmoral öffnet“, sagt die Medizinethikerin Susanne Kummer. In dem jüngst im Springer-Verlag erschienen Buch Was heißt in Würde sterben? Wider die Normalisierung des Tötens (Springer 2015, hg. Hoffmann, Knaup) untersucht Kummer anhand von zwei prominenten Selbsttötungen im Jahr 2014 die zwei „medialen Gesichter“ des Suizids: „Wir predigen Suizidprävention und fordern gleichzeitig die Bereitstellung tödlicher Medikamentencocktails für Suizidwillige“. Einerseits werde ein „guter“, weil „selbstbestimmter“ Suizid propagiert, anderseits mit Betroffenheit vom tragischen, vermeidbaren Suizid berichtet.
Die Tendenz, Suizidwillige und vulnerable Personengruppen wie Ältere, Einsame oder Kranke für eine Debatte rund um ein würdiges Sterben zu instrumentalisieren, hält Kummer, Geschäftsführerin von IMABE in Wien, für einen gefährlichen Trend: „Wenn wir als Gesellschaft menschenwürdig, solidarisch und mit Respekt vor einer richtig verstandenen Autonomie leben wollen, dann muss der Schutz von besonders verwundbaren Personen vor Tötung oder Beihilfe zur Selbsttötung ein Fundament der Rechtsordnung bleiben.“ Am Beispiel Belgiens zeigt sich, wie rasch strenge Regelungen mit einem Mal aufgeweicht werden können: Einer 24-jährigen Frau, die an Depressionen leidet, wurde nach ärztlichem Gutachten Euthanasie bewilligt, berichtet De Morgen (online, 19.6.2015).
Am 2. Juli 2015 hatte der Deutsche Bundestag in erster Lesung über vier Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Sterbehilfe debattiert (Plenarprotokoll 18/115, vgl. FAZ, online, 2.7.2015). Alle vier Vorschläge entstanden von Abgeordneten, die fraktionsübergreifend zusammenarbeiteten: Sie reichen von liberalen Regelungen (Entwurf 18/5375: „Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“ sowie 18/5374: „Suizidhilfe-Gesetz“) bis hin zu einem Verbot des assistierten Suizids („Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung“ vgl. 18/5376). Dass das Geschäft von professionellen Sterbehelfern, die über Vereine mit ihrer Dienstleistung Geld verdienen, unterbunden werden soll, darüber herrscht weitgehend Einigkeit (18/5373: „Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“). Dieser Gesetzesentwurf erhielt bislang die meiste Unterstützung. Eine Entscheidung ist für den Herbst geplant.
In Deutschland ist die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar - im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie Österreich, Italien, Finnland, Spanien, Polen und England. Allerdings verbietet die Mehrheit der Ärztekammern in Deutschland ihren Mitgliedern, Patienten bei der Selbsttötung zu assistieren. Tun sie es doch, können sie ihre ärztliche Zulassung verlieren. Inzwischen bieten auch kommerzielle Organisationen „Sterbehilfe“ an und nutzen die Tatsache aus, dass die Beihilfe zum Suizid, etwa durch die Beschaffung eines tödlichen Medikaments, nicht strafbar ist.
Der Präsident der Bundesdeutschen Ärztekammer Frank Ulrich Montgomery bekräftigte sein Nein zum sog. ärztlich begleiteten Suizid. Es gehöre nicht zu den Aufgaben eines Arztes, seinen Patienten bei der Selbsttötung zu helfen. „Unsere Aufgabe ist es, die Menschen beim Sterben zu begleiten und nicht sie umzubringen“, sagt Montgomery (vgl. Schwäbische Zeitung, online, 2.7.2015). Er sieht in dieser Frage einen breiten Konsens innerhalb der Ärzteschaft. „Der Deutsche Ärztetag, also das Parlament der Ärzte, hat sich mit 75 Prozent der Delegiertenstimmen bei wenigen Gegenstimmen gegen die aktive Sterbehilfe ausgesprochen“, so der BÄK-Präsident.
Für Hubert J. Bardenheuer, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Schmerztherapie und Palliativmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg, verstelle die „missionarische politische Diskussion den Blick darauf, was Menschen am Ende ihres Lebens wirklich brauchen, nämlich Zuwendung und qualifizierte medizinische Hilfe“. Menschen mit Suizidwünschen oder in Schmerz und Leid müsse und könne man ihre Ängste nehmen, so Bardenheuer (vgl. Rhein-Neckar, online, 2.7.2015). Dass Ärzte rein strafrechtlich schon jetzt in Deutschland Patienten einen tödlichen Giftbecher hinstellen können, hält er für „heuchlerisch“. Denn: „Danach muss ich aber aus dem Zimmer gehen. Würde ich dableiben, wäre ich verpflichtet zu helfen. Dabei muss in bis zu 30 Prozent der Fälle nachdosiert werden, weil es beispielsweise zu Erbrechen kommt. Das ist keine beruhigende Vorstellung.“ Er hält die aktuelle Regelung des standesrechtlichen Verbots aktiver Sterbehilfe für gut. Individuelle Entscheidungen am Lebensende könne man nicht „gesetzlich geregelt haben wie einen Autokauf“, betont der Mediziner.