Das Spektrum von vorgeburtlichen Untersuchungen, die nicht auf Therapie, sondern auf Selektion abzielen, nimmt zu. Dies wirkt sich auf die sinkende Geburtenrate von Kindern mit Trisomie 21 aus: In 54% der Fälle, in denen bei einem ungeborenen Kind Down-Syndrom festgestellt wurde, wurde die Schwangerschaft frühzeitig abgebrochen. Dies geht aus einer kürzlich im European Journal of Human Genetics publizierten Studie (https://doi.org/10.1038/s41431-020-00748-y) hervor.
Die Pränataldiagnostik ermöglicht die Diagnose eines Down-Syndroms vor der Geburt. Die beiden invasiven Methoden sind die Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) und die Entnahme von Gewebe aus dem Mutterkuchen (Chorionzottenbiopsie). In den letzten Jahren werden vermehrt sog. Nichtinvasive Pränataltests (NIPT) verwendet.
Nichtinvasive Pränataltests (NIPT) wie der sog. Trisomie-Bluttest für Schwangere, könnten in Europa diese Entwicklung verstärken. In Deutschland etwa gilt nach einem Beschluss von September 2019 der sog. Trisomie-Bluttest unter bestimmten Voraussetzungen als Krankenkassenleistung (vgl. Bioethik aktuell, 10.2.2020). Um die Auswirkungen valide beurteilen zu können, müsste der Status quo bekannt sein, was nicht überall der Fall ist.
Die Analyse des Forscherteams um Brian Skotko vom Massachusetts General Hospital in Boston zeigt, dass in Europa jährlich durchschnittlich 8.031 Kinder mit Trisomie 21 geboren werden, was einer Prävalenz von 10,1 auf 10.000 Lebendgeburten entspricht. Ohne elektive Schwangerschaftsabbrüche würden jährlich 17.331 Kinder mit Trisomie 21 zur Welt kommen oder 21,7 auf 10.000 Lebendgeburten. Die Zahl der Lebendgeburten mit Trisomie 21 wird daher um mehr als die Hälfte (54%) reduziert.
Die Zahlen sind allerdings von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Malta, wo ein Schwangerschaftsabbruch strikt verboten ist, beträgt die Reduktion 0%, in Irland sind es trotz Restriktionen 8%. In Spanien mit einer sehr liberalen Gesetzgebung werden 83% der Kinder mit Trisomie 21 nicht geboren.
Generell werden in Südeuropa mehr Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen (71%) als in Westeuropa (59%), Nordeuropa (51%) und in Osteuropa (38%). In Westeuropa gibt es Unterschiede zwischen Ländern mit vergleichbarem Wohlstand. In Dänemark, wo die Pränataldiagnostik zur Regelversorgung gehört, beträgt die Abtreibungsrate bei Kindern mit Down-Syndrom 42%, in den Niederlanden, wo die Frauen zunächst nach ihren Präferenzen gefragt werden, nur 20%, in Deutschland 26%.
Für Österreich liegen keinerlei Zahlen vor, da hierzulande im Gegensatz zu fast allen europäischen Ländern keine anonymen Statistiken geführt werden. Die Bürgerinitiative Fakten helfen! fordert deshalb seit 2014 eine bundesweite, anonyme Statistik zu Schwangerschaftsabbrüchen und deren Motiven.
In Deutschland hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zwei Flyer zur Information über Pränataldiagnose allgemein und NIPT für werdende Eltern und Ärzte erstellt, die zukünftig verpflichtend eingesetzt werden sollen (vgl. IQWiG-Abschlussbericht mit Versicherteninformation). Der NIPT soll nur in begründeten Fällen zum Einsatz kommen, Eltern sollten seine Grenzen realistisch einschätzen können. „Damit eine Schwangere ihre Entscheidungen treffen kann, ist es wichtig, gut zu vermitteln, welche Fragen der Test beantworten kann und welche nicht“, sagt Klaus Koch, Leiter des IQWiG-Ressorts Gesundheitsinformation (vgl. Deutsches Ärzteblatt, 4.1.2021). Der Flyer informiert auch über Aussagekraft des NIPT, weist auf die Möglichkeit einer psychosozialen Beratung sowie Hilfen hin und stellt in den Raum, dass ein Leben mit einem Kind mit Behinderung auch eine Bereicherung sein kann.
Das Angebot für pränatale Diagnostik wächst, für viele Schwangere und Paare entstehen daraus Entscheidungskonflikte, auf die sie kaum vorbereitet sind. Screenings beruhen auf dem Berechnen von Wahrscheinlichkeiten, sie bieten keine exakte Diagnose, verunsichern und stellen bei vermuteter Behinderung wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) vor die Entscheidung für oder gegen das Kind (vgl. Bioethik online, 14.10.2014). "Es ist sehr wichtig, dass werdende Mütter klarer über Vor-und Nachteile der zahlreichen - und kostspieligen - pränatalen Tests informiert werden", betont IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. "Wir wissen aus Studien, dass besser informierte Frauen eher auf Pränataltests verzichten. Pränataldiagnostik ist nicht für jeden geeignet; der Verzicht auf Tests kann eine selbstbestimmte und sehr vernünftige Wahl sein."