Die australische Bioethikerin und Juristin Rachael Wong der Notre Dame University Australia sieht in der Legalisierung des assistierten Suizids insbesondere eine Gefahr für Frauen. Frauen seien laut Wong generell gefährdeter als Männer, professionelle Unterstützung bei Suizid zu wählen (vgl. The Conversation, online, 24.10.2017). In der Debatte sollte deshalb auch ein geschlechtsspezifischer Ansatz mitberücksichtigt werden. Wong verweist auf Studien, wonach Frauen häufiger ihre Partner überleben, länger alleine leben und unter Einsamkeit oder der Sorge leiden, anderen zur Last zur fallen. Außerdem sind Frauen häufiger von Altersarmut und Depression betroffen. Zahlen aus den Niederlanden und dem US-Bundesstaat Oregon zeigen, dass die Rate der Suizide unter Frauen bei ärztlich assistiertem Suizid viermal so hoch ist als bei „normalen“ Suizid (vgl. Womens Forum Australia: Gendered Risks of Euthanasia and Assisted Suicide). Eine US-Studie hatte bereits 2015 gezeigt, dass durch die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid die Selbstmordraten insgesamt ansteigen (vgl. Bioethik aktuell, 12.10.2015).
Der Fall von zwei Pensionistinnen, die sich aus Zukunftsängsten mithilfe das Leben genommen hatten, beschäftigt derzeit die deutsche Öffentlichkeit. Die große Strafkammer des Hamburger Landgerichts hat den 75-jährigen Arzt Johann Spittler, der bei dem vom ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründeten Verein Sterbehilfe Deutschland Beihilfe zum Suizid geleistet hat, freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat nun Revision eingelegt. Die zwei Hamburgerinnen im Alter von 81 und 85 Jahren hatten im Beisein des Neurologen und Psychiaters am 10. November 2012 ein tödlich wirkendes Medikament eingenommen (vgl. Bioethik aktuell, 6.9.2017).
Das Gericht hatte den Freispruch damit begründet, dass die beiden Frauen „ernsthaft“ und mit „innerer Festigkeit“ über längere Zeit den Wunsch verfolgt hätten, selbstbestimmt aus dem Leben zu gehen samt entsprechender Patientenverfügung (AZ 3490 Js 76/12). Die Staatsanwaltschaft hingegen hält dem Arzt vor, die alten Damen nicht hinreichend über Alternativen aufgeklärt zu haben. Er hätte Rettungsmaßnahmen einleiten müssen, sobald die Frauen bewusstlos waren. Ihm wurde versuchte Tötung auf Verlangen durch Unterlassen von Hilfeleistung vorgeworfen (vgl. Die Welt, online, 4.11.2017).
Der Freispruch ist für den Präsidenten der Deutschen Bundesärztekammer sowie der Ärztekammer Hamburg nicht nachvollziehbar. Das Geschäft mit der Angst vor dem Leid sei ethisch nicht vertretbar und die Beteiligung eines Arztes daran unwürdig, betonte Frank Ulrich Montgomery. Er hält eine Haftstrafe „für durchaus angemessen“, die beiden Frauen hätten eine ganz andere Form der Hilfe benötigt. (vgl. Hamburger Morgenpost, online, 12.11.2017). Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren gefordert. Organisierte Formen der Suizidbeihilfe sind in Deutschland seit 2015 verboten.