Die Zahl der Alleinlebenden in Österreich steigt an. Im Jahr 2024 lebte fast ein Fünftel der Bevölkerung allein, das sind 1,6 Millionen Menschen oder 17,8 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das geht aus den aktuellen Daten der Statistik Austria herovr. Vor 20 Jahren lag dieser Anteil noch bei 14,6 Prozent, was einen Anstieg um 3,2 Prozentpunkte bedeutet. Besonders betroffen sind ältere Menschen: Ein Drittel der Alleinlebenden ist über 64 Jahre alt, und davon sind mehr als zwei Drittel Frauen. Bei den unter 25-Jährigen hingegen leben nur 2,6 Prozent allein, während bei den 45- bis 54-Jährigen bereits 16 Prozent in Single-Haushalten wohnen. Im europäischen Vergleich liegt Österreich mit diesem Trend über dem EU-Durchschnitt von 16,1 Prozent. Die Gründe für das Alleinleben sind vielfältig: Neben dem Wunsch nach Unabhängigkeit spielen auch gesellschaftliche Veränderungen und die demografische Entwicklung eine Rolle.
Einsamkeit und ihre Folgen für Körper und Psyche
Alleinleben bedeutet nicht automatisch Einsamkeit, doch das Risiko steigt deutlich, insbesondere im Alter. Studien zeigen, dass ältere Menschen, die allein leben, häufiger unter Einsamkeit und depressiven Symptomen leiden als solche mit regelmäßigen sozialen Kontakten. Besonders kritisch wird es, wenn emotionale Bindungen fehlen und das Gefühl entsteht, niemandem wichtig zu sein.
Einsamkeit ist mehr als ein seelisches Problem: Sie wirkt sich direkt auf die Gesundheit aus. Chronische Einsamkeit erhöht das Risiko für Bluthochdruck, Herzinfarkt, Demenz und sogar eine reduzierte Lebenserwartung. Menschen ohne soziale Kontakte haben ein um 77 Prozent erhöhtes Sterberisiko und sind anfälliger für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie neurologische Krankheiten wie Alzheimer (Bioethik aktuell, 5.12.2023).
Soziale Kontakte als Schutzfaktor
Regelmäßige persönliche Besuche wirken wie ein Gegengift zur sozialen Isolation. Schon monatliche Besuche von Freunden, Familie oder Ehrenamtlichen können die Lebensqualität erheblich steigern und depressive Symptome lindern. Während Technologie neue Möglichkeiten bietet, in Kontakt zu bleiben, kann sie manchmal zu oberflächlichen Verbindungen führen, die Betroffen noch isolierter als zuvor zurücklässt. Nähe, Gespräche von Angesicht zu Angesicht und gemeinsame Erfahrungen sind weit effektiver gegen Einsamkeit als Telefonate oder digitale Kommunikation, wie aktuelle Forschungsergebnisse zeigen (Bioethik aktuell, 04.09.2024).
Ein Beispiel aus Deutschland belegt die Wirksamkeit: Im Projek Miteinander – Füreinander (2020-2024) des Malteser Hilfsdienstes besuchten Ehrenamtliche regelmäßig alleinlebende Senioren. Sie gingen mit ihnen spazieren, halfen im Alltag und organisierten Gruppenaktivitäten. Die begleitende Studie mit 3.954 Ehrenamtlichen und 14.674 Senioren zeigte: Schon kleine Gesten können das Sicherheitsgefühl und die Lebensfreude deutlich erhöhen. 85 Prozent der Senioren gaben an, dass sie sich ohne den Begleitdienst einsamer fühlen würden. Auch die Helfer profitierten selbst von ihrem Engagement und fühlten sich besser eingebunden.
Warum bleibt Einsamkeit oft unerkannt?
Viele Betroffene schämen sich für ihre Einsamkeit und sprechen nicht darüber. Angehörige und Freunde sollten deshalb sensibel vorgehen und Unterstützung anbieten, ohne die Betroffenen in Verlegenheit zu bringen. Schon kleine Gesten und regelmäßige Besuche können helfen, Einsamkeit zu lindern.
Einsamkeit verändert das Gehirn
Eine kürzlich in Nature Human Behavior (2025) veröffentlichte Studie belegt, dass Einsamkeit und soziale Isolation mit bestimmten Proteinen im Blut zusammenhängen, die Entzündungen, Immunreaktionen und Stressprozesse beeinflussen. Besonders das Protein Adrenomedullin (ADM) steht im Verdacht, Veränderungen im Gehirn und ein erhöhtes Sterberisiko zu begünstigen. Über die 14-jährige Studiendauer zeigte sich, dass viele dieser Proteine mit Krankheiten wie Herzproblemen, Diabetes und Schlaganfall assoziiert sind. Die Forschung unterstreicht durchwegs, wie wichtig soziale Kontakte für die körperliche Gesundheit sind.
Ist Einsamkeit eine Krankheit, oder Teil der menschlichen Erfahrung?
Der Psychologe und Soziologe Sam Carr von der University of Bath plädiert für einen differenzierten Ansatz: Anstatt Einsamkeit zu pathologisieren, empfiehlt er, sie als natürlichen Teil des Lebens anzuerkennen. Die Antwort auf Einsamkeit könnte sehr wohl darin liegen, zu lernen, mit ihr zu leben, anstatt ihre Existenz „zu leugnen oder zu versuchen, sie auszumerzen“, sagt Carr.
Im Online-Magazin The Conversation (03.07.2024) betont er, dass Einsamkeit ein unvermeidbarer Bestandteil menschlichen Daseins ist und nicht als zu heilende Krankheit betrachtet werden sollte. Anhand verschiedener Fallbeispiele – vom Pflegekind bis zum älteren Ehemann einer Demenzpatientin – zeigt Carr, dass Einsamkeit „nicht so sehr ein 'einzelnes Gefühl', sondern einfach eine Bezeichnung für eine Mischung menschlicher Erfahrungen und unbefriedigter Bedürfnisse“ ist.
Anstatt Einsamkeit zu stigmatisieren oder zu verdrängen, schlägt Carr vor, sie als natürlichen Teil des Lebens anzuerkennen und durch Besuche und das Teilen persönlicher Geschichten Verständnis und Mitgefühl zu fördern. „In Geschichten haben wir die Möglichkeit, unsere Einsamkeit mit anderen zu teilen, uns zu entlasten und sie nicht länger ausschließlich für uns zu behalten“, so der Psychologe.
Single, kinderlos, wenige Verwandte: Immer mehr Menschen haben gar keine Kinder
Die deutsche Bundesregierung hat bereits 2023 eine Strategie gegen Einsamkeit entwickelt. Auch in Österreich setzen sich Initiativen wie die „Plattform gegen Einsamkeit“ für mehr zwischenmenschliche Nähe und gesellschaftliches Bewusstsein ein. Betroffen sind auch junge Menschen: So geben laut dem 2025 präsentierten Report "Demografischer Wandel und Sicherheit in der OSZE-Region" 62 Prozent einsamer junger Menschen an, dass sie „durch das Gefühl der Einsamkeit das Vertrauen in sich selbst verlieren.“ Seit den 1970er Jahren steigt die Zahl der Kinderlosigkeit in den Industrienationen exponentiell an. In Italien war 1975 nur eine von 30 Personen kinderlos, 1990 waren es schon 1 von 3. Heute sind es knapp 40 Prozent. Laut OSZE-Bericht lautet die zentrale Frage daher nicht: „Warum haben die Menschen so wenige Kinder?“, sondern: „Warum haben so wenige Menschen Kinder?“