Fallbericht: Operation Ja – Nein?
Im April 1999 erfolgte die Aufnahme eines 68jährigen Patienten wegen eines Oesophaguscarcinoms. Er wird aus dem Ausland zugewiesen: „In Wien könne man helfen, hätte die nötigen technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten, die im Heimatland nicht gegeben sind.“
Die übrige Anamnese ist bis auf Röteln, AE, TE, Prostataoperation (1998) lediglich im Sinne einer Hepatitis auf alkoholischer Basis unauffällig. Trotz dieser Krankheit habe er weiterhin beträchtliche Alkoholmengen konsumiert. Nach einer Hämatemesis wurden die Ösophagusvarizen behandelt, seit 1996 habe der Betreffende Alkoholabstinenz eingehalten. Im April 1999 sei wegen Schmerzen im Epigastrium eine Endoskopie durchgeführt worden, das Carcinom gesehen und histologisch bestätigt worden. Die Coloskopie ergibt Polypen, die abgetragen werden.
Derzeitige Beschwerden werden eher mitigiert bzw. dissimuliert wiedergegeben, außer leichtem Husten, geringer Müdigkeit, Einschlafstörungen sind keine subjektiven Angaben zu erkennen.
Beruflich habe er eine wesentliche Arbeit abgeschlossen, neuere Arbeiten seien zwar geplant, aber noch nicht begonnen. Die familiäre Situation habe er ebenfalls bereinigt, auch habe er gebeichtet. Er strebe jedenfalls eine radikale Lösung für seine Krankheit an.
Die physikalische Untersuchung ergibt Übergewicht, unauffälligen Herz- und Lungenbefund, ein Abdomen geringer Aszites, eine 3 QF vergrößerte kleinhöckrige Leber, die Milz ist nicht palpabel.
Befunde: Bskg 8/26, Hep-A-Ak pos., Bil 0,8, Cholinesterase 4.53, GOT 21, GPT 19, gammaGT 41, LDH 302, BB o.B, NT 70%, GesEW 8,1, Harnbefund o.B.
Tho Rö.; Streifenatelektasen, CT; fragliche Sek im Cardiabereich, sonst neg.
Endosono: 34 cm ab Zahnreihe TU (T2, N0, MX) Leberzirrhose, portale Hypertension, kleine Ösophagusvarizen.
Lungenfunktion normal, EKG unauffällig.
Histologie: Mittelweit ausreifendes gering verhornendes Plattenepithelcarcinom. Keine gesicherte Metastasierung.
Operationsindikation? – Entfernung des Tumors, Vermeidung von Komplikationen durch Ösophagusstenose, Möglichkeit der Entfernung eventueller Lymphome. Der Röntgenbefund und die Endosono lassen eine Radikalsanierung erwarten, soweit nicht intraoperativ eine weitere Metastasierung festgestellt wird.
„Müssen wir besser sein?“ und alles riskieren? – Das Operationsrisiko ist groß, doch vom Chirurgen wird nach Abwägung der Befunde ein positiver Ausgang angenommen. Unterschätzen wir die bestehende Leberzirrhose? (Prostataoperation gut überstanden)
Alternative: konservativ, warten, eventuell Stent-Einlage und Metastasierung abwarten? Haben wir den Mut, auch nicht aggressiv zu therapieren?
Nach wiederholtem Gespräch mit Patienten und Angehörigen samt Darstellung der möglichen Komplikationen beider Vorgangsweisen willigt er in die vorgeschlagene Operation ein.
Operationsdauer 9½ Stunden: Operation nach Akijama, Lymphadenektomie. Exploration Leberzirrhose, Milzthrombose, kleiner Knoten an der Cardia. Lösung der Verwachsungen des Magens, Milzresektion, Entfernung des distalen Oesophagus nach gesamter Präparation von colar, Hochziehen des Magens retrosternal, Anastomose, Witzelfistel. Reposition des Dünndarmes.
Postoperativ stabil auf Intensivstation übernommen, am nächsten Tag extubiert. Am übernächsten Tag respiratorische Insuffienz, Reintubation, Pneumonie, Sepsis, Nierenversagen, Hämofiltration, 14 Tage später an therapieresistentem Multiorganversagen verstorben.
Pathologie: St.p.Akijama, Leberzirrhose, Sepsis, Lungenödem, Dilatation des gesamten Herzens, peripankreatische Lymphknotenmetastasen.
War der Optimismus vor der Operation unberechtigt? Haben wir etwas übersehen? Wurde die Schwere der Leberzirrhose nicht genügend berücksichtigt? Hätte der Chirurg früher abbrechen sollen?
Da der postoperative Situs keinen Hinweis auf Dehiszenz, o.ä. ergab, muss die bestehende Lebererkrankung bzw. der chronische Alkoholismus als wesentliche Teilursache des negativen Ausganges angesehen werden.