Rauchen und Prävention
Univ.-Prof. Dr. Friedrich Kummer, Prof. Enrique H. Prat
Stand: Mai 2004 (aktualisiert: Dezember 2019)
Die "Dauerepidemie" Tabakrauchen
Das Rauchen ist ein kulturelles Phänomen, das sich in den letzten drei Jahrhunderten in allen entwickelten Gesellschaften stark verfestigt hat. Tabak war noch im 18. Jahrhundert eine Luxusware. Es wurde daher als eine soziale Errungenschaft empfunden, dass im Laufe des 19. und 20. Jh. der Tabak zur Massenkonsumware geworden ist.
Weltweit sterben jährlich rund 8 Mio. Menschen in Folge des Tabakrauchens rd. 10 Jahre zu früh.
Die gesellschaftliche Akzeptanz des Tabaks steht im krassen Kontrast zu der Tatsache, dass laut WHO jährlich rund 8 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens sterben, davon über eine Million an den Folgen von Passivrauchen (Stand: 2019). Rauchen zählt damit zur größten „Dauerepidemie“ aller Zeiten. In Österreich sterben etwa 14.000 Personen jährlich an den Folgen des Tabakkonsums.
Die kulturgeschichtliche Dimension des Rauchens steht offensichtlich einer nüchternen moralischen Beurteilung des Phänomens im Wege. Denn angesichts des hohen Stellenwertes der Gesundheit, für deren Sicherstellung die Gesellschaft immer mehr Ressourcen mobilisiert und offensichtlich jeden Preis zu zahlen bereit ist, müsste man konsequenterweise das Rauchen global gesehen als irrationales Phänomen und individuell als Fehlverhalten bewerten. Objektiv betrachtet bringt es keinen wirklichen Nutzen.
Die Tatsache, dass es trotz der offensichtlichen Irrationalität nicht an Bedeutung verliert, weist aus kulturkritischer Sicht auf eine starke, kulturell mehrfach gesicherte Verankerung des Rauchverhaltens in unserer Gesellschaft hin. Anthropologische, soziologische, ökonomische und politische Faktoren verankern das Rauchverhalten kulturell fest in unserer Gesellschaft.
Der schwere Schaden des Tabakrauchens ist medizinisch eindeutig belegt
Die Argumentation gegen das Rauchen kann sich mittlerweile auf wissenschaftlich gesicherte Daten stützen. Man kann heute darauf verweisen, dass das Rauchen zu gewissen Krankheiten führt, die eng mit dem vorzeitigen Ableben verquickt sind (siehe Tabelle I). Dazu gehören das Bronchuskarzinom, die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und die koronare Herzkrankheit (KHK). Darüber hinaus ist das aktive Rauchen mit einem evident gesteigerten Risiko für Rachen- und Mundkrebs, Blasenkarzinom, Ösophaguskarzinom, Aortenaneurysma, ferner Nieren-, Magen- und Pankreaskarzinom, aber auch eine Reihe von Krankheiten wie Diabetes, Infektionen, Augenkrankheiten etc. assoziiert, das Passivrauchen u. a. mit Entwicklungsstörungen und Atemwegsdysfunktion. Die COPD ist zu 80% – 90% mit dem Zigarettenrauchen verknüpft. Das Bronchuskarzinom ist überdies dosisabhängig, wobei die Mortalität bei den leichten Rauchern 78fach, bei den mittelschweren 127fach und bei den schweren Rauchern 251fach so hoch ist wie bei Nichtrauchern (siehe Tabelle II).
Signifikante Risikosteigerung für Erkrankungen mit gesteigerter Mortalität (insgesamt: Risiko für Männer etwa 2-fach gegenüber Frauen):
|
n Zigaretten/Tag | Mortalität (pro 100.000/Jahr) |
0 1 - 14 15 - 25 >25 |
10 78 127 251 |
Erschreckend ist die steile Zunahme der Mortalität an Bronchuskarzinom bei Frauen, die laut Berechnungen 2004 spätestens im Jahre 2030 die männliche Mortalität eingeholt haben wird. Dies ist besonders historisch bemerkenswert, da vor 30 Jahren die Männer gegenüber den Frauen noch im Verhältnis 5:1 in der Überzahl waren.
Es wird geschätzt, dass in Österreich Passivrauchen mit etwa 1.400 zusätzlichen Todesfällen jährlich assoziiert ist, wenn nur auf das Rauchen am Arbeitsplatz Bezug genommen wird. Unter diesen führen die Herzinfarkte (530) und Schlaganfälle (760), gefolgt von Bronchuskarzinom (90) und Asthma bzw. COPD (25). Hier bestehen gegenseitige Abhängigkeiten der Tabakindustrie und der Politik; weiters ist auf die ungenügende Gesetzgebung zur Schadstoffkontrolle am Arbeitsplatz hinzuweisen, die das Passivrauchen nicht ausreichend berücksichtigt (siehe Schulordnungen und Gastgewerbe). Ein empfindliches Problem ist die Schadstoffbelastung für Kleinkinder durch Passivrauchen (vor allem bei rauchender Mutter) in der Familie. Rauchende Schwangere riskieren eine gehäufte Rate von Früh- und Totgeburten sowie eine gestörte Lungenfunktion bei Neugeborenen.
Die Bezeichnung „light“ bei Zigaretten ist eine gefährliche Irreführung der Konsumenten. Diese Art von Zigaretten, die eine verringerte Konzentration von Teerstoffen und Nikotin enthalten, führen nämlich zu einem geänderten Rauchverhalten. Es werden mehr Zigaretten pro Tag konsumiert, der Rauch wird länger in der Lunge behalten, der Filter wird komprimiert und die Zigarette bis an den Filter heruntergeraucht. Dies alles bringt neue Gefährdungen mit sich wie den Anstieg kardiovaskulärer Erkrankungen und von Bronchuskarzinomen gerade bei Frauen (siehe oben), nebst einer Änderung des histologischen Typs (Prävalenz des Adeno- über das Plattenepithelkarzinom).
Wer wissen müsste, dass er durch wiederholte Raucherhandlungen zum Gewohnheitsraucher wird, entscheidet sich bei jeder einzelnen Zigarette dafür, Raucher zu sein oder zu bleiben.
Nichtraucherschutz
In vielen Ländern wird nach und nach der Nichtraucherschutz gesetzlich verankert. Österreich ist im internationalen Vergleich in der Frage des Nichtraucherschutzes sehr zögerlich vorgegangen. Der Weg zu einem ausreichenden Nichtraucherschutz war in Österreich lange und mühsam. Zunächst war mit 1. 1. 2002 ein Gesetz wirksam, das ein Rauchverbot verfügte, wenn Raucher und Nichtraucher im gemeinsamen Büroraum arbeiteten, in gemeinsamen Schlafräumen bzw. Hafträumen untergebracht werden müssen. Andrerseits regelte das Arbeitszeitgesetz (§ 11) ein „Menschenrecht auf Rauchen“, wobei aber eigenmächtige Rauchpausen als Entlassungsgrund herangezogen werden können. Dann einigte sich die Regierung und legte dem Parlament am 10. Juni 2015 einen Entwurf für eine Änderung des Tabakgesetzes vor, indem ein absolutes Rauchverbot verankert war, inklusive in Gastronomiebetrieben. Doch erst mit 1. November 2019 gilt tatsächlich ein absolutes Rauchverbot in Österreichs Gastronomiebetrieben. Das Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetzes (TNRSG) sieht umfassende Regelungen zum Schutz vor dem Passivrauchen bzw. -dampfen vor. Dazu zählen Rauchverbote in öffentlich zugänglichen Gebäuden und Räumen. Zu beachten ist, dass die Rauchverbote nicht nur für „klassische Tabakerzeugnisse“, sondern auch für alle Arten von E-Zigaretten, pflanzlichen Raucherzeugnissen, Wasserpfeifen und Tabakerhitzern gelten.
Moralische Bewertung des Rauchens
Das nachhaltige, aktive, schwere Rauchen, aber auch das leichte und ebenso das passive sind schädlich. Jede einzelne Zigarette eines Kettenrauchers steht aber in einem biographischen Zusammenhang mit seiner Sucht und muss kausal und daher auch moralisch mit jener Haltung in Beziehung gesetzt werden, durch die schwere Schäden bewirkt werden. Das heißt also, dass die Entscheidung „Eine-Zigarette-rauchen“ nicht richtig moralisch qualifiziert werden kann ohne den Rekurs auf die allgemeine Entscheidung, regelmäßig zu rauchen. Die Entscheidung „Eine-Zigarette-rauchen“ ist nur eine Folge und gleichzeitig Bestandteil der allgemeinen Entscheidung, regelmäßig zu rauchen. Das heißt konkret: Wer wissen müsste, dass er durch wiederholte Raucherhandlungen zum Gewohnheitsraucher und daher süchtig wird und dass nur durch Unterlassung von Raucherhandlungen eine Entwöhnung zu erreichen ist und er wieder zum Nichtraucher werden kann, entscheidet sich bewusst oder unbewusst auch bei jeder einzelnen Zigarette dafür, Raucher zu sein oder zu bleiben.
Rauchen stellt in vielen Fällen eine Missachtung der Selbstbestimmung von Drittpersonen dar und bewirkt eine Verletzung von deren körperlichen Integrität.
Bekanntlich ist die sittliche Tugend ein Habitus des Wählens gemäß der Vernunft. Die moralische Qualität der Handlung ergibt sich aus ihrer Übereinstimmung mit der Tugend, die also das Vernunftgemäße angibt. Wenn es um das Tabakrauchen geht, muss man überprüfen, wie das Raucherverhalten mit den Tugenden des Maßes und der Gerechtigkeit in Übereinstimmung zu bringen ist. Anhand dieser zwei Kardinaltugenden kann geklärt werden, wann Rauchen eine vernunftgemäße Tätigkeit ist und wann nicht.
Die Tugend des Maßes2 ist jene, die das sinnliche Begehren moderiert, das wiederum auf das gemäß der Wertung der Sinne als lustvoll Erscheinende aus ist. Sie unterwirft also das Begehren dem Urteil der Vernunft. Der Raucher begehrt das Tabakrauchen. Nun ist die Frage: Welches Maß an Tabakkonsum ist noch vernünftig? Wann wird zu viel geraucht? Wie kann die Vernunft beim Rauchen das Maß bestimmen? Auf Grund von gesicherten medizinischen Erkenntnissen über das schwere und leichte Zigarettenrauchen und über das Passivrauchen kann man vernünftigerweise nur sagen, dass das von der Vernunft dosierte Maß in den meisten Fällen (jedenfalls für den tabakabhängigen Raucher) mit null Zigaretten anzusetzen wäre.
Verstößt also jede Zigarette gegen die Tugend des Maßes? Ja und nein. Ja, wenn es sich um einen nachhaltigen oder einen angehenden oder einen abgewöhnungswilligen Raucher handelt. Die allerletzte Zigarette des Rauchers, der bereits entschieden hat, damit sofort aufzuhören, würde nicht unmäßig sein, ebenso wenig wie jene andere, die gelegentlich konsumiert wird, ohne jede Absicht, weiter zu rauchen. Für den werdenden Raucher oder für den Gewohnheitsraucher hingegen ist jede zusätzliche Zigarette eine Zigarette zuviel. Wenn jemandem nur mit Mühe eine Entwöhnung gelungen ist, wäre dieser wahrscheinlich schon unmäßig, wenn er nur eine Zigarette rauchte, auch dann, wenn er nicht die Absicht hätte, wieder zu rauchen, zumal das Rückfallrisiko bekanntlich sehr groß ist. Rückfälle werden meistens nicht beabsichtigt, sie passieren einfach.
Anhand dieses letzten Falles lässt sich auch aufzeigen, dass nicht alle Verstöße gegen die Mäßigung das gleiche moralische Gewicht haben. So verstößt die eine Zigarette, die den Entwöhnungsprozess unwirksam macht, in größerem Ausmaß gegen die Tugend der Maßhaltung als viele vom abhängigen Raucher mit Routine gerauchte Zigaretten.
Prinzipiell kann eine einzelne Zigarette mit der Tugend des Maßes durchaus in Einklang stehen. Dies wird z. B. der Fall sein, wenn es sich um einen Gelegenheitsraucher handelt, der ab und zu daran Spaß hat, eine Zigarette zu rauchen, ohne sich dadurch in die Gefahr der Sucht zu begeben.
Zur moralischen Qualifikation muss das Rauchen auch in Hinblick auf die Gerechtigkeit geprüft werden. Diese Tugend ordnet die Beziehungen zu Gott3 und zu den Mitmenschen gemäß der Vernunft. Die schweren Verstöße gegen das Leben, auch gegen das eigene, sind deshalb Verstöße gegen die Gerechtigkeit, weil weder das fremde menschliche noch das eigene Leben zur uneingeschränkt freien Disposition stehen. Die durch die medizinischen Befunde gestützte Sterbestatistik besagt, dass der Langzeitraucher eine um ca. 7 bis 11 Jahre geringere Lebenserwartung hat, d. h. der Raucher muss je nach Alter und Raucherjahren mit einem vorzeitigen Tod rechnen. Die Entscheidung für eine Lebensverkürzung von solchem Ausmaß würde wider die Vernunft sein, die durch die Tugend der Gerechtigkeit gewahrt wird.
Was besonders schwer mit der Gerechtigkeit und mit der Nächstenliebe in Einklang zu bringen ist, sind die Gesundheitsschäden, die das Rauchen bei Dritten ohne deren Zustimmung bewirkt. Rauchen stellt in vielen Fällen eine Missachtung der Selbstbestimmung von Drittpersonen dar und bewirkt eine Verletzung von deren körperlichen Integrität bis hin zur unfreiwilligen Verkürzung des Lebens. Dies betrifft z. B. das Rauchen am Arbeitsplatz. Es gibt auch ausreichende wissenschaftliche Beweise dafür, dass die Wirkungen des Passivrauchens in der Familie nicht unerheblich sind. Das Rauchen ist in vielen Fällen also auch eine Verfehlung gegen die Gerechtigkeit und gegen die Nächstenliebe, wo gegenüber den Kindern (ganz besonders den ungeborenen Kindern in der Schwangerschaft) oder dem Ehepartner diese Tugenden besonders angezeigt wären.
Man kann also zusammenfassend sagen,
a) dass das nachhaltige Rauchen prinzipiell gegen die Mäßigkeit und gegen die Gerechtigkeit verstößt und daher moralisch nicht legitimiert werden kann, und
b) dass das Gelegenheitsrauchen des nicht süchtigen Tabakgenießers per se nicht gegen diese Tugenden verstößt und daher nicht prinzipiell unsittlich ist.
Tabakrauchen aus kultur- und sozialethischer Perspektive
Ein Phänomen, das jährlich rd. 8 Mio. Menschen im Durchschnitt um 10 Jahre bringt, ist einfach indiskutabel. Es handelt sich nicht um eine unabwendbare Naturkatastrophe, die einfach hinzunehmen ist, sondern letztlich um Menschenwerk. Auf Naturkatastrophen reagiert man mit Maßnahmen zur Prävention. Man sollte annehmen, dass es noch viel leichter ist, schädliche Menschenwerke abzustellen, schließlich ist der Mensch ein Vernunftwesen.
Die Politiker sind Träger der politisch-ethischen Verantwortung. Die Haltung der Politik gegenüber Tabak muss sich ändern und eindeutiger werden: Jede direkte oder indirekte Förderung der Tabakindustrie oder -landwirtschaft sollte abgestellt werden; die Schaffung neuer alternativer Arbeitsplätze für all jene, die in der Tabakwirtschaft beschäftigt sind, muss politisch gefördert werden, z. B. durch Begünstigungen für Betriebsgründungen in der Nähe von Zigaretten-Produktionsstätten. Natürlich sollten auch strengere Auflagen bei der Tabakproduktion und beim Handel gesetzlich festgelegt werden, ähnlich den Auflagen bzgl. krebserregender Nahrungsmittel.
Referenzen
- https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Drogen-und-Sucht/Nichtraucherschutz-und-Rauchverbote.html
- World Health Organisation, Tobacco, 26.7.2019
- https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/nikotinsucht/nichtraucherschutz
- Das Konzept der Kardinaltugenden besteht darin, jedem menschlichen Strebevermögen jeweils die Tugend zuzuordnen, die den Vollzug dieses Vermögens vervollkommnet, d. h. es auf das Vernunftgemäße ausrichtet. (Rhonheimer M., Die Perspektive der Moral. Philosophische Grundlagen der Tugendethik, Akademie Verlag, Berlin (2001), S. 192ff
- Prat, Enrique H., E-Zigarette und Nichtraucherschutz in Österreich, in: Imago Hominis (2015); 22(2): 86-91