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Gewissensfreiheit und Freiwilligkeitsgebot im Kontext des Assistierten Suizids in Österreich - eine rechtliche Analyse

Mag. Antonia Busch-Holewik, Stand: Juni 2024

Die Mitwirkung an der Selbsttötung ist in Österreich seit 2022 unter bestimmten, im Strafgesetzbuch (§ 78 StGB) und dem Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) geregelten Voraussetzungen legal. Bei Ärzten, Pflegekräften und in Gesundheitseinrichtungen löst die nun rechtlich geschaffene Möglichkeit der Mitwirkung an Suiziden durch Dritte große Verunsicherung und ethische Konflikte aus.

Die Unsicherheit im praktischen Umgang mit Sterbe- und Suizidwünschen zeigt sich sowohl beim Personal als auch bei den Arbeitgebern. Die Rechtsunsicherheit betrifft das im Sterbeverfügungsgesetz normierte Freiwilligkeitsgebot, das sich auch auf juristische Personen (Institutionen) erstreckt.

§ 2. Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) (1) Keine natürliche oder juristische Person ist verpflichtet, eine Hilfeleistung (§ 3 Z 4) zu erbringen, eine ärztliche Aufklärung (§ 7) durchzuführen oder an der Errichtung einer Sterbeverfügung mitzuwirken. Ein darauf gerichtetes vertragliches Leistungsversprechen kann nicht gerichtlich geltend gemacht werden.

(2) Keine natürliche oder juristische Person darf wegen einer Hilfeleistung (§ 3 Z 4), einer ärztlichen Aufklärung oder der Mitwirkung an der Errichtung einer Sterbeverfügung oder der Weigerung, eine Hilfeleistung zu erbringen, eine ärztliche Aufklärung [2]durchzuführen oder an der Errichtung einer Sterbeverfügung mitzuwirken, in welcher Art immer benachteiligt werden.

Die Erläuterungen [1] zum § 2 StVfG stellen klar, dass die Mitwirkung am Suizid eines anderen durch natürliche und juristische Personen nur „freiwillig“ erfolgen kann. Eine Gesundheitseinrichtung kann gem. den Gesetzesmaterialien daher nicht dazu verhalten werden, eine Hilfeleistung (bspw. Bereitstellung von Räumlichkeiten, das Abgeben oder Abholen des Präparats von der Apotheke) zu erbringen oder diese in ihren Leistungskatalog aufzunehmen, eine ärztliche Aufklärung über eine Sterbeverfügung anzubieten oder an deren Errichtung mitzuwirken. Es besteht rechtlich gesehen ebenfalls keine Verpflichtung über die Möglichkeit des assistierten Suizids aufzuklären.

Die Erläuterungen führen weiter aus, dass das Freiwilligkeitsgebot allerdings nicht dazu führen darf, dass „dem Anspruch der sterbewilligen Person auf Unterlassung von Maßnahmen, die im Ergebnis ihr Recht auf Beendigung ihres Lebens beschneiden, die Durchsetzung vor Gericht verweigert wird“. Ob eine Maßnahme einer Gesundheitseinrichtung die Möglichkeit auf Inanspruchnahme der Suizidassistenz eines Patienten oder Bewohners beschneidet, muss von Fall zu Fall geprüft werden.

In der öffentlichen Debatte wird der Fokus oft einseitig auf die Möglichkeit zum assistierten Suizid gelegt. Kaum Beachtung finden jedoch die ebenso so „gewichtigen“ Rechte Dritter. In der Praxis gilt es jedoch die Rechte aller Beteiligten gegeneinander abzuwägen.

a)    Recht des Suizidwilligen auf selbstbestimmtes Sterben in Würde und auf die Inanspruchnahme der Hilfe eines (dazu bereiten) Dritten

Bei diesem Recht handelt es sich um eine vom Verfassungsgerichtshof aus verschiedenen Grundrechten abgeleitete Befugnis . Es eröffnet die Möglichkeit, dass ein Dritter unter bestimmten Bedingungen straffrei an einem Suizid mitwirken kann. Dem zum Suizid Entschlossenen wird aber kein Anspruchsrecht zugestanden, das er gegenüber Dritten durchsetzen könnte. Die Freiwilligkeit der Mitwirkung wird rechtlich durch das Sterbeverfügungsgesetz abgesichert[2].

Betroffene können gegenüber anderen Personen und Institutionen lediglich geltend machen, dass sie Maßnahmen unterlassen, die ihnen im Ergebnis alle Optionen der Beendigung des Lebens unter Mithilfe eines Dritten nehmen.

b)    Gewissensfreiheit von Ärzten und Pflegepersonal

Der im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit verfassungsrechtlich abgesicherten Gewissensfreiheit von Ärzten und Pflegepersonal wird ausdrücklich durch das Freiwilligkeitsgebot des §2 StVfG Rechnung getragen. Ärzte und Pflegepersonal dürfen weder vom Suizidwilligen noch vom Arbeitgeber verpflichtet werden, an assistierten Suiziden in jeglicher Form mitzuwirken noch einen Nachteil erfahren, wenn sie nicht mitwirken.

c)    Privatautonomie und Vertragsfreiheit der Gesundheitseinrichtungen

Das im StVfG verankerte Freiwilligkeitsgebot umfasst ausdrücklich auch juristische Personen. Im Rahmen der Privatautonomie dürfen private Einrichtungen vertraglich festhalten, dass sie auf Grund ihrer Grundausrichtung für den Lebensschutz und damit für eine Sterbebegleitung im Rahmen von Palliativ- und Hospizversorgung einstehen und die Suizidassistenz ablehnen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass bereits vor Abschluss des Vertrages bei der Konsensbildung geklärt wird, wie mit der Frage des assistierten Suizids umgegangen werden soll [3].

Einrichtung, die assistierte Suizide ablehnt, muss sich nicht rechtfertigen
Aufgrund des verfassungsrechtlich im Rahmen der Erwerbsfreiheit und des Eigentumsrechts geschützten Rechts zur Prägung des Unternehmens muss sich eine Gesundheitseinrichtung als Dienstgeber gegenüber den Dienstnehmern nicht für ihre ablehnende Position zum assistierten Suizid rechtfertigen [4]. Sie kann Mitarbeitern im Dienstvertrag und durch Weisung untersagen, Suizidhilfe in ihren Einrichtungen und während der Dienstzeit zu leisten.

Konfessionelle Gesundheitseinrichtungen haben einen besonderen Auftrag zum Schutz des Lebens
Soweit in der Außenwahrnehmung eine Zurechnung vom Träger der Gesundheitseinrichtung möglich ist, dürfen konfessionelle Gesundheitseinrichtungen überdies dem bei ihnen tätigen Angehörigen der Gesundheitsberufe die Mitwirkung an Suiziden auch in der Nebenbeschäftigung vertraglich verbieten, wenn die Suizidassistenz dieser Mitarbeiter im Widerspruch zu ihrer Tätigkeit in der konfessionellen Einrichtung steht, die vom Dienst am Nächsten und dem Schutz des menschlichen Lebens gekennzeichnet ist[5] .

Staat darf wegen Ablehnung von assistiertem Suizid finanzielle Förderung nicht kippen
An Gesundheitseinrichtungen gerichtete Förderungsverträge dürfen keine Verpflichtung zur Vornahme des assistierten Suizids enthalten. Eine derartige Voraussetzung wäre unter Zugrundelegung der erwähnten verfassungsrechtlichen Wertungen, die gem. § 879 ABGB ins Privatrecht einfließen, sittenwidrig[6] .

Menschen, die nach assistiertem Suizid verlangen, brauchen eine besondere Zuwendung
Ob ein „selbst organisierter“ assistierter Suizid in einer Gesundheitseinrichtung geduldet werden muss, hängt von mehreren Faktoren ab. Es gibt einen engsten privaten Bereich, der trotz Vertragsfreiheit grundrechtlich geschützt ist und in den von Seiten der Gesundheitseinrichtung und ihrer Mitarbeiter nicht eingegriffen werden darf. Daher wäre die Entlassung eines Patienten allein aufgrund der Tatsache, dass dieser einen Wunsch nach assistiertem Suizid äußert[7], vom Schutz der Position des Trägers einer Einrichtung nicht gedeckt. Im Gegenteil verlangt gerade der Wunsch nach einer vorzeitigen Beendigung des Lebens einer besonderen Zuwendung seitens der Einrichtung.
d)    Unterschiede zwischen Krankenanstalt, Pflegeeinrichtung und konfessioneller Einrichtung
In Bezug auf die Durchführung des assistierten Suizids in einer Gesundheitseinrichtung gilt es zu unterscheiden:

-    Krankenanstalt
Zum Aufgabenbereich einer Krankenanstalt gehört insbesondre die Vorbeugung, Besserung und Heilung von Krankheiten durch Behandlung [8] . Die Aufnahme oder das Behalten eines Patienten ausschließlich für den assistierten Suizid ist daher gesetzlich nicht gedeckt[9] .

-    Pflegeeinrichtung
Bewohner einer Pflegeeinrichtung verfügen oft über keinen weiteren privaten Wohnraum, weshalb sie nicht ohne weiteres zur Durchführung des assistierten Suizids auf einen anderen privaten Bereich verwiesen werden können. Manchmal lässt auch der Gesundheitszustand des Suizidenten die Überstellung an einen anderen Ort nicht zu. Trotzdem ist auch in diesen Fällen auf einen Ausgleich zwischen den Rechten aller Beteiligten zu achten.

So haben andere Bewohner oder Mitarbeiter in Einrichtungen, die Suizidassistenz ablehnen, und die selbst nicht mit der Beihilfe zur Selbsttötung in Berührung kommen wollen, ein Recht davor geschützt werden. Gerade bei anderen Bewohnern könnte die Konfrontation mit derartigen Situationen wieder eine verpönte Druck- oder Zwangssituation schaffen[10] .

Im Ergebnis ist daher ein assistierter Suizid in einer derart „letzten privaten Situation“ zu dulden, wenn er möglichst still und privat ohne direkte oder indirekte Involvierung des Trägers der Einrichtung oder dessen Mitarbeitern (ohne deren ausdrückliche Zustimmung) erfolgt.

-    Kirchenautonomie bei konfessionellen Gesundheitseinrichtungen
Kirchlichen Institutionen haben gem. Art 15 StGG ein Grundrecht auf Ordnen und Verwalten ihrer inneren Angelegenheiten. Ihrem Sendungsauftrag entsprechend sind sie dem Schutz des Lebens verpflichtet, weshalb sie in der Begleitung von kranken und sterbenden Personen in ihren Einrichtungen auf Hospiz und Palliative Care unter Ausschluss der Mitwirkung an der Selbsttötung eines Menschen setzen können[11].

Während es zum Recht und zur Pflicht einer Gesundheitseinrichtung gehört, ihre Grundausrichtung, ihre Prinzipien und Handlungsmaximen klar nach außen – vor allem gegenüber den von ihr betreuten Personen und Mitarbeitern – zu kommunizieren, stellt sich die Frage, wie im Falle von Übertretungen Seitens der Mitarbeiter und der Betreuten vorzugehen ist.

Bei Mitarbeitern, die an assistierten Suiziden mitwirken, ist an Verwarnungen und im äußersten Fall an eine Kündigung zu denken. Bei Bewohnern und Patienten könnte mit Vertragsstrafen gedroht werden, die bei vollendeten Suiziden jedoch ins Leere greifen würden.

Recht anderer Patienten und Bewohner sowie Mitarbeiter nicht durch Suizidassistenz unter Druck gesetzt zu werden

Bewohner und Patienten sowie Mitarbeiter von Gesundheitseinrichtungen, die bewusst den assistierten Suizid ablehnen, dürfen sich nicht in einer Drucksituation wiederfinden. Auch sie haben ein Recht darauf, nicht durch andere dazu gedrängt zu werden oder sich auch nur dazu gedrängt zu fühlen (auch eine Information kann als Bedrängung erlebt werden – Optionen schaffen sozialen Druck!)[12].

Möglichkeit, nicht Anspruch

Im Dezember 2020 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass es ein Recht auf „selbstbestimmtes Sterben in Würde“ und auf die „Inanspruchnahme der Hilfe eines dazu bereiten Dritten“ gibt. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine individuell wahrnehmbare Möglichkeit und keinen Anspruch, der gegenüber anderen Personen geltend gemacht werden kann.

Ablehnung ist in Einklang mit dem Gesetz

Der zum Suizid Entschlossene darf daher von keiner Person oder Institution verlangen, dass sie ihn bei seinem Vorhaben unterstützt. Personen und Einrichtungen, die assistierten Suizid ablehnen, handeln daher im Einklang mit dem Gesetz.

Bestehende Rechte Dritter bleiben bestehen: Ärzte, Mitbewohner, Gesundheitspersonal

Durch die Entscheidung das Verbot der Mitwirkung an der Selbsttötung aufzuheben, wurden zudem bestehende Rechte anderer Personen und Einrichtungen nicht aufgehoben.
Ärzte und Pflegepersonal haben weiterhin das Recht, nach ihrem Gewissen zu handeln. Gesundheitseinrichtungen müssen nicht die eigenen Prinzipien über Bord werfen.
Auch Patienten und Bewohner in Pflegeheimen und Krankenhäusern haben das Recht, nicht etwa durch ungebetene Information gedrängt zu werden oder mit der Organisation und Durchführung eines assistierten Suizids in Berührung zu kommen.

Mitwirkung an Suiziden ist keine gleichrangige Option neben Suizidprävention

Weiterhin gültig bleibt außerdem das Recht auf Schutz des Lebens und damit auch die Anliegen der Suizidprävention. Im Hinblick darauf darf der assistierte Suizid nicht einfach als gleichrangige Option unter anderen behandelt werden.

Unterschiedliche juristische Positionen zur Frage der Duldung

Wie bei jedem neuen Gesetz gibt es im Zusammenhang mit dem Sterbeverfügungsgesetz Grauzonen, die von den Gerichten und den Rechtsanwendern konkretisiert werden müssen. Dazu gehört auch die Frage, ob ein stiller, selbstorganisierter assistierter Suizid in einer Gesundheitseinrichtung, die dies ablehnt, geduldet werden muss.

Die Meinungen der Rechtsexperten gehen hier auseinander. Einige vertreten die Meinung, dass eine Duldungspflicht besteht. Andere sehen keine grundsätzliche Duldungspflicht v.a. privater, konfessioneller Einrichtungen, unter ihnen der ehemalige Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs, Matthias Neumayer, Reinhard Resch[13]  oder Gerhard Huber[14] .

Stimme der Gesundheitsberufe und gelebte Praxis sind wichtige Grundlage für Gerichte

Es liegt also in erster Linie an Ärzten, Pflegekräften und Gesundheitseinrichtungen, wie sie mit Sterbewünschen und dem Begehren nach assistiertem Suizid umgehen. Sollten Gerichte in Zukunft über die konkrete Auslegung des Freiwilligkeitsgebots entscheiden müssen, werden sie auch auf die gelebte Praxis schauen und daraus Argumente für und wider eine bestimmte Auslegung schöpfen.

Wunsch nach einem assistierten Suizid ist ein Hilferuf und braucht Zuwendung

Rein rechtlich gesehen, ist daher zu betonen, dass niemand in vorauseilendem Gehorsam und aus Angst vor einem potenziellen Gerichtsverfahren einem Wunsch nach assistiertem Suizid Folge leisten muss. Vielmehr sollten man sich vor Augen führen, dass der Wunsch nach assistiertem Suizid oft ein Hilferuf ist. Es ist eine Einladung, mit der betroffenen Person ins Gespräch zu kommen und gemeinsam nach Antworten zu suchen, warum sie „so“ nicht mehr weiterleben möchte und Lösungen und Abhilfen anzubieten. „Der Mensch, der um assistierten Suizid ansucht, ist ein Mensch in der Krise. Er hat das Recht, als Mensch in seinem körperlichen, psychischen und existentiellen Leiden wahrgenommen zu werden. Die rein normative Beurteilung des Begehrens nach Suizidassistenz als „Recht“ wird der Leidensrealität nicht gerecht. (…) Wie grundsätzlich bei suizidalen Menschen muss auch bei Verlangen nach assistiertem Suizid vorrangig eine von Personen und Institutionen der Suizidassistenz unabhängige fachliche Beratung und je nach Situation auch Therapie ermöglicht werden[15].“

Autorin: Mag. Antonia Busch-Holewik, IMABE
Stand: 26.06.2024

Referenzen

1 ErläutRV 1177 BlgNR 27. GP 7: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/I/1177/fname_1012538.pdf
2 VfGH 11. 12. 2020, G 139/2019
3 Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal, Expertengespräch IMABE „Assistierter Suizid und Institutionen“, 23.04.2024
4 Mazal ebd.
5 Mazal ebd.
6 Mazal ebd.
7 Mazal ebd.
8 Krankenanstalten – und Kuranstaltengesetz (KAKuG)
9 Huber, Gerhard W. in Garber, Festschrift Matthias Neumayr (Band 2)/ Sign.: F. Neumayr (Seite 2233)
10 MMag. Dr. Stefan Huber LL.M., Rechtsgutachten „Rechtsfragen der Sterbehilfe in Palliativ- und Pflegeheimen“
11 Huber, Gerhard W. in Garber, Festschrift Matthias Neumayr (Band 2)/ Sign.: F. Neumayr (Seite 2233)
12 S. Huber, Rechtsgutachten „Rechtsfragen der Sterbehilfe in Palliativ- und Pflegeheimen“
13 Neumayr/Resch in Neumayr/Resch/Wallner, GmundKomm § 2 SVfG
14  Huber, Gerhard W. in Garber, Festschrift Matthias Neumayr (Band 2)/ Sign.: F. Neumayr (Seite 2233)
15 Münchner Erklärung des D-A-CH Forums „Suizidprävention und assistierter Suizid“, 9.6.2024 (www.d-a-ch-forum.org)

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