Unter Pädiatern und Kinder- und Jugendpsychiatern wird derzeit diskutiert, ob und wie sehr das pharmakologische Stoppen der pubertären Entwicklung durch sogenannte Pubertätsblocker angesichts der wachsenden Zahl der Kinder, die dies wünschen, einen medizinisch sicheren und geeigneten Therapieansatz darstellt.
Genderdysphorie und Pubertätsblocker – ein unerklärter Anstieg der Häufigkeit
Einen Überblick über den Stand der Wissenschaft dazu hat Martina Lenzen-Schulte nun im Deutschen Ärzteblatt (Dtsch Arztebl 2022; 119(48): A-2134 / B-1766) veröffentlicht. Auffallend ist der sprunghafte Anstieg bei Störungen der geschlechtlichen Identität (Anstiege von mehr als 1.000 Prozent in vielen europäischen und angloamerikanischen Ländern innerhalb von zehn Jahren). Hinzukommt, dass es zu 80 Prozent Mädchen sind, die sich in einen Burschen „umwandeln“ lassen möchten. Allein die Zahl der Brustamputationen zum Angleich der äußeren Erscheinung ist bei Mädchen im Alter ab 12 (bis 17) Jahren einer jüngsten US-Studie zufolge zwischen 2013 und 2020 um das 13-fache angestiegen.
Experten zweifeln an der Sicherheit und Verträglichkeit der Hormontherapie
Mit einer medikamentösen Blockade der umwälzenden hormonellen, neuronalen, mentalen und psychischen Entwicklungen, wie sie die Pubertät mit sich bringt, beginnt inzwischen in vielen Fällen der Weg in die angestrebte Angleichung. Unter Pädiatern sowie Kinder- und Jugendpsychiatern sind jedoch Zweifel an der Sicherheit und der Verträglichkeit der Hormontherapie im Zuge einer Genderdysphorie aufgekommen. Beschränkungen des Zugangs zur Behandlung sind bereits von einigen Gremien besprochen worden. So hat Schweden Pubertätsblocker für Minderjährige mittlerweile verboten (Bioethik online, 1.10.2021).
Die Datenlage der Studien ist unzureichend, da die Qualität fehlt
Der Kinder- und Jugendpsychiater Florian Zepf (Universitätsklinikum Jena) weist auf die völlig unzureichende Datenlage aus medizinischen Studien in puncto Chancen und Risiken der genutzten Medikamente bei Genderdysphorie hin. Klare Handlungsanweisungen seien deshalb kaum möglich. Die wichtigste Quelle ist derzeit der NICE-Report (Bioethik online, 10.8.2022). In dieser Meta-Analyse wurden von 525 Studien nur neun überhaupt für eine Auswertung als geeignet angesehen.
Wichtigste Erkenntnis: Positive Effekte waren selten. Ein Einfluss der Behandlung auf die Genderdysphorie ließ sich nicht erkennen. In Sachen psychischer Gesundheit wurde die Depressivität der Jugendlichen reduziert, nicht aber deren Angst oder Wut. Auch die Lebensqualität wurde nicht beeinflusst. Im Einzelnen ließ sich aus den Studien auch kein Einfluss auf das Körperbild oder die Zufriedenheit mit späteren operativen Eingriffen feststellen.
Jugendliche hoffen auf Instantlösungen
Zudem machten die Forderungen der Betroffenen es den Behandlerteams mitunter nicht leicht, berichtet Zepf. Manchen Jugendlichen ginge es erkennbar darum, schnellstmöglich ein Gutachten zu erhalten, um die Transition umgehend einleiten zu können. „Was fällt Ihnen eigentlich ein, meinen Wunsch zu hinterfragen?“ – so äußerten sie in der Sprechstunde ihr Unverständnis etwa gegenüber einer Abklärung von psychiatrischen Komorbiditäten oder Differenzialdiagnosen. Das Transsein soll ihnen rasch und umstandslos Erleichterung von ihren Beschwerden verschaffen – was sich in der Realität aber kaum nachweisen lässt.
Risiken liegen auch im Bereich der reproduktiven Fähigkeiten
In Sachen Sicherheit der geschlechtsangleichenden Therapien führte Alexander Korte von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der LMU München aus, dass der Einfluss einer Pubertätsblockade auf die Knochengesundheit genauer unter die Lupe genommen werden müsse. Nach 12-monatiger Therapie hatten Kinder mit Hormontherapie im Durchschnittsalter von 10,9 Jahren eine verringerte Knochenmasse im Vergleich zu Kindern in der Kontrollgruppe ohne Therapie (Durchschnittsalter: 11,7 Jahre). Auch die Fettmasse im Knochenmark war bei den therapierten Kindern erhöht. Wenn einer Gabe von Analoga des Gonadotropin-releasing-Hormons (GnRH) die Therapie mit steroidalen Sexualhormonen folge, um gegengeschlechtliche Merkmale zu induzieren, gehe dies mit einem dauerhaften Verlust der reproduktiven Fähigkeiten einher.