Wann wird es einen Impfstoff gegen COVID-19 geben? Darf man Prüfverfahren abkürzen? An wem soll der Impfstoff vorab getestet werden? Wie lange ist man durch eine Impfung geschützt? Was weiß man über Nebenwirkungen, insbesondere für die COVID-19- Risikogruppe?
Fragen über Fragen begleiten die Forschung, neue ethische Herausforderungen stellen sich - und die Antworten sind alles andere als einfach (vgl. Bioethik aktuell, 4.6.2020).
Optimistische Prognosen wie jene des Robert-Koch-Instituts, wonach es bereits Anfang 2021 einen oder mehrere Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 geben wird, werden von Politikern gerne übernommen. Doch etliche Fachleute mahnen Zurückhaltung an. Noch gäbe es zu wenig Wissen darüber, ob es jemals eine funktionierende und sichere Impfung gegen Sars-CoV-2 geben wird und falls ja, wie effektiv Impfstoffe gegen COVID-19 sein werden: „Wir stehen erst am Anfang das festzustellen. Die reale Schutzwirkung eines Impfstoffes kennen wir erst dann genau, wenn ein Impfstoff im Alltag angewendet wird“, sagt Barbara A. Rath. Vorstandsvorsitzende und Gründerin der Vienna Vaccine Safety Initiative (ViVI) gegenüber ScienceMediaCenter (online 30.8.2020). So müsse etwa auch die Schutzwirkung des Grippeimpfstoffes jedes Jahr neu erfasst werden.
Wissenschaftler kritisieren weltweit die russische Entscheidung, einen Impfstoff ohne ausreichende klinische Prüfungen zuzulassen und breite Bevölkerungsgruppen wie Beschäftigte im Gesundheitswesen und Lehrer damit impfen zu wollen (vgl. Medscape, online 12.8. 2020). „Dass die Russen wichtige Schritte der Prüfungen eventuell überspringen, beunruhigt unsere Gemeinschaft der Impfstoff-Wissenschaftler. Liegen sie falsch, könnte das weltweit die Bemühungen um eine Vakzine unterminieren“, kritisiert Peter Hotez, Impfspezialist am Baylor College of Medicine in Houston/Texas in Nature News (online 11.8.2020).
Gerd Antes fürchtet, dass politische Einflussnahme der Wissenschaft Schaden zufügt. Jeder unqualifizierte Eingriff in die Prüfschritte berge "enorme Gefahren für Probanden in Studien und später für die Patientinnen und Patienten. Sie können aber auch zu sehr zeitraubenden Rückschlägen führen, wenn etwa durch Impfschäden nicht nur die Entwicklung ein Irrweg war, sondern daraus verheerende Auswirkungen auf die Impfbereitschaft folgen", betont der deutsche Medizin-Statistiker und ehemalige Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums im Standard (online 1.9.2020).
Laut einer aktuellen Umfrage unter 501 Personen zwischen 14 und 75 Jahren stehen in Österreich 51 Prozent der Befragten einer Impfung gegen Covid-19 mit Skepsis gegenüber und würde davon eher Abstand nehmen. Hauptgrund ist dabei für knapp zwei Drittel das fehlende Vertrauen in einen Impfstoff, der derartig schnell entwickelt wurde. Auch werden von knapp einem Drittel der Befragten Nebenwirkungen befürchtet (vgl. Medizinische Information live, online 12.8.2020).
Das European Patients Forum (EPF) fordert Priorität für Patientensicherheit bei der SARS-CoV-2-Impstoffentwicklung. Das Bemühen, schnell einen Impfstoff parat zu haben, dürfe nicht dazu führen, dass die Sicherheits- oder Wirksamkeitsstandards gesenkt werden, die unter der strengen Kontrolle der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) bleiben sollten. Die Patienten müssten sich sicher sein können, dass alle SARS-CoV-2-Impfstoffe nach den höchsten Standards entwickelt wurden, betont die EU-Patientenorganisation (vgl. Deutsches Ärzteblatt, 28.8.2020). Darüber hinaus müssten ihre Vorteile und Risiken, aber auch mögliche Grenzen der Wirksamkeit – etwa die Verringerung der Schwere der Erkrankung im Vergleich zur Verhinderung einer Infektion – eines neuen Impfstoffs sowohl öffentlich als auch jedem Patienten klar mitgeteilt werden.
Wie anhaltend eine Vakzine schützt, hängt davon ab, wie effektiv sie das Immunsystem stimuliert. Die meisten Impfstoffe schützen nur teilweise oder mildern den Verlauf der Infektion, wie man es von der Grippeimpfung kennt. Das hält Christine Dahlke, die am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf über neu auftretende Infektionskrankheiten forscht, auch bei einer Impfung gegen das Coronavirus für realistischer. „Wahrscheinlich sollten wir darauf hoffen, dass ein Impfstoff die Krankheit milder verlaufen lässt und die Virusübertragung minimal ist“, so die Forscherin (vgl. Spektrum, online 31.7.2020).
Carlos A. Guzman, Leiter der Abteilung Vakzinologie und Angewandte Mikrobiologie des Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig, kritisiert, dass die meisten verfügbaren Daten aus den laufenden Impfstoffstudien sich auf junge gesunde Erwachsene beziehen. Dies sei jedoch nicht die Gruppe mit dem höchsten Risiko für COVID-19. „Es wäre wichtig zu wissen, wie gut verträglich, sicher und wirksam künftige Impfstoffe vor allem auch bei älteren Menschen und/oder bei Personen mit Vorerkrankungen wie Diabetes sind. Dennoch scheint es, dass in einigen der Studien ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen unterrepräsentiert sein werden“, so Guzman gegenüber ScienceMediaCenter (online 30.8.2020). Außerdem würden nach wie vor robuste Informationen über die Reaktionsfähigkeit, Sicherheit und Effektivität der Impfstoffkandidaten fehlen, nicht nur im Allgemeinen, sondern auch für Personen mit hohem Risiko für schwere COVID-19-Verläufe.
Sollte die Entwicklung eines Impfstoffs gelingen, wartet die nächste Herausforderung: die massenhafte Produktion. Laut der Virologin Marylyn Addo vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf stünden momentan in der Welt nicht genug Herstellungskapazitäten zur Verfügung (vgl. Deutschlandfunk, 16.6.2020). Daher werde es zu einem Ressourcenkampf kommen: „Es ist wichtig, dass man sich damit beschäftigt und dass man versucht, eine faire Verteilung der Herstellungskapazitäten, aber auch später eine faire Verteilung des Impfstoffs zu gewährleisten.“