Ein 26-jähriger Niederösterreicher hat einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Er hält das Cannabis-Verbot für den privaten Konsum für verfassungswidrig und fühlt sich im „selbstbestimmten Kiffen“ eingeschränkt (vgl. Standard, 8.2.2022). Der Gesetzgeber würde hier unverhältnismäßig in sein Recht auf Privatleben und Selbstbestimmung eingreifen. Vertreten wird der Antragsteller durch den Wiener Rechtsanwalt Helmut Graupner.
Der VfGH hat die Bundesregierung nun per 31. Jänner aufgefordert, Gründe für das geltende Verbot binnen acht Wochen darzulegen. Konkret geht es dabei um jenen Teil des Suchtmittelgesetzes (SMG), der den privaten Umgang mit Cannabis unter Strafe stellt. Für Suchtmittelkonsumenten gilt in der Rechtspraxis schon heute der Grundsatz Therapie statt Strafe: Wenn jemand Suchtmittel (bis zur Grenzmenge, unter bestimmten Voraussetzungen auch über der Grenzmenge) nur für den eigenen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch von jemand anderem erwirbt (ohne dadurch einen Vorteil zu erzielen), wird von der Strafverfolgung abgesehen, wenn der Betroffene sich untersuchen lässt und sich gegebenenfalls einer Therapie unterzieht.
Würde das Cannabis-Verbot aufgehoben, hätte dies weitreichende Folgen. Darauf haben Ärzte in Österreich und Deutschland wiederholt hingewiesen. Sie warnen vor einer Legalisierung von Cannabis – vor allem aufgrund der Gesundheitsrisiken für Jugendliche und dem Anstieg von Psychosen in Zusammenhang mit Cannabis-Konsum.
So ist Rainer Thomasius, Leiter des Zentrums für Suchtfragen im Kindes- und Jugendalter am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf überzeugt, dass eine Legalisierung von Cannabis zu einem erhöhten Konsum und Missbrauch auch durch Kinder und Jugendliche führen wird. „Jugendschutz ist eine Illusion“, warnt der Psychiater angesichts der Debatte in Deutschland in Hinblick auf eine Legalisierung von Cannabis. Auch bei einer Altersbeschränkung im Verkauf, würden die Cannabisprodukte an Jüngere „durchgereicht“, berichtet das Deutsche Ärzteblatt (Dtsch Arztebl 2021; 118(49): A-2326 / B-1909). Thomasius verwies dabei auf 15 US-amerikanischen Staaten, bei denen nach der Legalisierung der Droge die Konsumquoten um 30 bis 60 Prozent gestiegen sind.
Zudem gehe die Risikowahrnehmung von Cannabis in diesen Staaten seit der Legalisierung deutlich zurück, während cannabisbezogene Störungen wie Angststörungen, Psychosen und Depression zunehmen. Bei den 12- bis 17-Jährigen lägen sie um 25 Prozent höher als in den übrigen US-Bundesstaaten, so der Suchtexperte.
Neueste Zahlen aus Deutschland sind ebenfalls besorgniserregend. Eine aktuelle Studie zeigt, dass zwischen den Jahren 2000 und 2018 in Deutschland stationäre Krankenhausbehandlungen aufgrund psychischer Störungen, die durch den Konsum von Cannabis-Produkten ausgelöst wurden, um das Fünffache gestiegen sind (Faktor 4,8), sagt Studienleiter und Psychiater Maximilian Gahr vom Uniklinikum Ulm (vgl. Pressmitteilung, 27.1.2022). Stationäre Fälle aufgrund schwerer Störungen wie Cannabinoid-Abhängigkeit stiegen hochsignifikant an. Andere substanzinduzierte (etwa durch Alkoholabhängigkeit) oder endogene Psychosen (wie etwa Schizophrenie) verzeichneten im Untersuchungszeitraum keine Zunahme, auch psychiatrische Erkrankungen und Verhaltensstörungen insgesamt wurden nicht mehr.
Die Folgen eines längeren Cannabiskonsums seien laut Forschern für die Entwicklung des jugendlichen Gehirns fatal und manchmal irreversibel. Ärzte müssten daher grundsätzlich vor dem Konsum einer „vermeintlich so harmlosen Freizeitdroge“ warnen, so Gahr. Die Aufhebung des Cannabis-Verbots würde hier ein falsches Signal setzen (vgl. Bioethik aktuell, 18.1.2022; und Bioethik aktuell, 9.9.2021).
In Österreich haben sich seit bereits seit einigen Jahren mehrfach der Linzer Suchtexperte Kurosch Yazdiuch, Vorstand der Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin des Kepler Universitätsklinikums Linz, gegen eine Legalisierung von Cannabis ausgesprochen. Er hält Cannabis für die „unterschätzteste Sucht“. Eine starke Cannabis-Lobby habe dazu beigetragen, die Droge als modisch und vermeintlich harmlos darzustellen. Doch „Kiffen ist viel gefährlicher geworden ist“, betont Yazdiuch.
So wurden die Cannabis-Sorten in den vergangenen Jahrzehnten hochgezüchtet. Aufgrund des mittlerweile vielfach stärkeren THC-Gehalts und proportional geringen Anteils von Cannabinoid habe sich das Risiko einer Psychose nach Cannabis-Konsum um ein vielfaches erhöht, so der Linzer Psychiater und Buchautor in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung (online 28.1.2019). Ebenso ablehnend hatte sich auch der Psychiater Wolfgang Fleischhacker und Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck gezeigt (vgl. Bioethik aktuell, 8.5.2017). Mit der Legalisierung von Hanfprodukten würden man die „Büchse der Pandora öffnen“, betonte Fleischhacker.