Das Gesetz zum Schutz der Gewissensfreiheit von Ärzten, Pharmazeuten und Gesundheitsfürsorgern ist in Europa geltendes und gutes Recht. In den USA will Präsident Barack Obama dagegen eine kürzlich erst eingeführte Health and Human Services-Richtlinie wieder abschaffen. Sie sieht die Möglichkeit vor, sich aus Gewissensgründen an der Durchführung von Abtreibungen weigern zu können. Die Richtlinie, die nur zwei Tage vor Amtsantritt des jetzigen Präsidenten von dessen Vorgänger George W. Bush unterzeichnet worden war, scheint Obamas Liberalisierungsvorhaben in Fragen der Bioethik ein Dorn im Auge zu sein. Kritiker sprechen von einer drohenden Form von Despotismus, wenn im Gesundheitswesen Beschäftigte gezwungen wären, sich gegen ihr Gewissen an einer Abtreibung oder etwa an Programmen zur Geburtenkontrolle beteiligen zu müssen.
In der Debatte stellt sich nun das New England Journal of Medicine (NEJM) auf die Seite Obamas. In einem aggressiven Editorial (2009; 360: 1484-1485) fordert Julie Cantor, Juristin an der University of California Los Angeles (UCLA) die Abschaffung des Gewissensvorbehalts bei Ärzten bezüglich Abtreibung und Kontrazeptiva. Statt der „Gewissenskriecherei“ in der Bush-Ära müsse ein „selbstloser Professionalismus“ in der medizinischen Praxis wiederhergestellt und „Eigeninteressen hintangestellt“ werden, so Cantor, die vormals als Beraterin der Pro-Abtreibung-NGO International Planned Parenthood Federation tätig war. Nicht jedes Verhalten sei akzeptabel, dem Patienten dürfe man nicht die „Bürde des ärztlichen Gewissens“ aufbinden.
Ärzte hätten sich immerhin freiwillig ihren Job ausgesucht. Als „Türsteher“ zur Medizin hätten sie und im Gesundheitsberuf Tätige die Pflicht, sich beizeiten Betätigungsfelder zu suchen, wo sie nicht in Gewissenskonflikte geraten. Bundesgesetze mögen Spielraum schaffen für die Rechte des Gewissens. Wer aber im Gesundheitssystem mit Patienten zu tun habe, sollte das „Mäntelchen des Gewissens“ flugs abwerfen, wenn es die Bedürfnisse des Patienten verlangten. Cantors Schlussfolgerung entbehrt nicht der Ironie: Wenn jeder nach seinem Gewissen handelte, käme es zur reinen Anarchie. Ob das auch für jene beiden US-Anästhesisten gilt, die sich 2006 weigerten, am Vollzug einer Todesstrafe mitzuwirken?
Der Kommentar dreht den ursprünglichen Grundsatz - das Heil des Kranken ist oberstes Gesetz - um: Nicht das Heil, sondern der Wille des Patienten steht über allem, der Arzt habe sich ihm zu beugen. Diese Argumentation wird von Abtreibungs- und Euthanasielobbyisten verfolgt. Sie stellt allerdings ein grobes Unrecht gegen das Menschenrecht auf Gewissensfreiheit dar, unterstreicht der Jurist José Lopéz Guzmán im Fachjournal Imago Hominis (Gewissensvorbehalt im Gesundheitswesen und die europäischen Gesetzgebungen, 2008; 15(2): 101-119). „Wenn man eine Fachkraft zur Mitarbeit an einer von ihr als Gewissensbelastung empfundenen Handlung zwingt, so stellt das für sie eine Instrumentalisierung seitens eines Sektors der Gesellschaft dar, das heißt, dass die Gemeinschaft von der Person zu ihrem Nutzen Besitz ergreift.“ Die Gewissensfreiheit einer Person zu missachten ist ein Angriff auf ihre Würde. Eine Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen sei nie aggressiv, betonte Guzman. Es handle sich dagegen um eine „zivilisierte und friedliche Art“ zu verlangen, dass man als Person mit einem eigenen Gewissen respektiert werde.