Jährlich werden 2.000 bis 2.500 Kinder von ukrainischen Frauen gegen Bezahlung für Dritte ausgetragen, 90 Prozent sind von ausländischen Paaren bestellt. Mit mindestens 33 privaten und 5 staatlichen Leihmutterschaftskliniken ist die Ukraine eine beliebte und kostengünstige Destination des Reproduktionstourismus. Seit Beginn des Krieges fokussieren sich Medien auf Wunscheltern, die um die Sicherheit ihrer Säuglinge am Kriegsschauplatz besorgt sind. „Das Schicksal der ukrainischen Leihmütter interessiert hingegen niemanden“, kritisiert IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer.
Zwei erschreckende Medienberichte richten nun erstmals ihr Augenmerk auf die Situation „jener Frauen, deren Arbeitsplatz ihr Körper ist und die zwischen Krieg und Fremdinteressen zerrieben werden“, so Kummer. So berichtet The Guardian (online 10.3.2022), dass Leihmütter von den Agenturen angehalten wurden, ihr Kind abtreiben zu lassen. Andere erleiden aufgrund der dramatischen Kriegssituation Fehlgeburten. „Wer sich in den zerbombten Häusern und Spitälern um die medizinische Versorgung dieser jungen Frau kümmert, fragt niemand“, so Kummer. De facto haben die Frauen keinen Anspruch auf Bezahlung oder Entschädigung. Diese erfolgt durch die Agenturen erst, wenn ein gesundes Baby abgeliefert wird, wie es der Vertrag vorsieht. Viele berichten, dass sie wie „Tiere“ behandelt werden.
Die Agentur BioTexCom mit Sitz in Kiew hält derzeit 25 Prozent am globalen Markt für Leihmutterschaft (vgl. Princeton University - Journal of Public and International Affairs. Accessed December 4, 2020). Ein Kind kostet zwischen 40.000 und 65.000 Euro. Ukrainerinnen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren, die meist aus prekären sozialen Verhältnissen stammen, werden angeheuert, ihren Körper zur Verfügung zu stellen. Sobald sie mit dem fremden Embryo schwanger sind, werden sie weit weg von ihren Heimatstädten in einer Wohnung versammelt und von einem Vorgesetzten beaufsichtigt, der sie zwingt, strenge Zeitpläne einzuhalten (vgl. Die Tagespost 2.10.2021). Auch zu möglichen Abtreibungen können sie vertraglich verpflichtet werden. Mit 8.000 bis 10.000 Euro Honorar werden sie mit dem Dreifachen eines ukrainischen Jahresgehalts gelockt, das Gros der Einnahmen geht jedoch an die Agenturen. Die Menschenrechtsgruppe La Strada erhält pro Jahr 100 Anrufe von ukrainischen Leihmüttern, die misshandelt werden, manche berichten, dass sie letztlich nur wenige Hundert Euro von der Agentur als Entlohnung erhalten haben.
Laut einem Bericht von Le Figaro (online 1.3.2022) erklärte die Marketingabteilung von BioTexCom noch vor kurzem, dass „viele Kunden, deren Vertrag noch läuft, sagen, dass sie die In-vitro-Fertilisationsprogramme um jeden Preis fortsetzen wollen.“ Mittlerweile beantworten etliche Agenturen keine Emails mehr und sind für Frauen telefonisch praktisch nicht mehr erreichbar. Noch vor wenigen Tagen hatte BioTexCom ein Youtube veröffentlicht, indem ein Bunker mit Nahrung und Schlafplätzen für die Leihmütter gezeigt wurde, um ausländische Eltern zu beruhigen. Nach eigenen Angaben sollen allein bei BioTexCom 200 bis 300 Leihmütter in den kommenden drei Monaten ihre Säuglinge gebären. Bereits während Pandemie konnten 1.000 Säuglinge in der Ukraine nicht abgeholt werden (vgl. Bioethik aktuell, 4.6.2020).
Eine weitere Wunschbabyklinik – IVMED – hat bereits 17 Tiefkühltanks mit 12.000 gelagerten Embryonen und Eizellen aus dem Kriegsgebiet in Nachbarländer transportiert (vgl. TMZ, online, 5.3.2022). „Embryonen werden verfrachtet, Leihmütter sollen auch verfrachtet werden. Sie stehen vor einem schrecklichen Dilemma: Entweder ihre eigenen Familien, Partner und Kinder zurückzulassen, um vielleicht doch noch das fremde Kind zur Welt zu bringen und ihr Gehalt zu bekommen – oder im bombardierten Land zurückzubleiben“, sagt Kummer.
Noch ein Dilemma tut sich auf. Das ukrainische Gesetz verlangt, dass beide zahlenden Elternteile nach der Geburt des Kindes durch die Leihmutter physisch anwesend sind, um die notwendigen Formalitäten zu erledigen, damit das Paar als rechtmäßige Eltern des Kindes anerkannt wird. Behördengänge sind derzeit jedoch unmöglich. Eltern pochen darauf, dass ihnen das Kind trotzdem übergeben wird und verstehen nicht, warum sie ihre Babys nicht ohne Papiere nach Hause fliegen können. „Sie sind aggressiv“, sagt Olga Danchenko, Anwältin für Leihmutterschaft aus Kiew. „Sie weinen. Sie sagen: ‚Gib mir mein Baby.' Ich frage nach ihren Dokumenten und es ist ihnen egal. Ich bin Anwältin. Was soll ich ohne Dokumente tun? Das ist Menschenhandel“, so Danchenko gegenüber The Guardian.
Viele Wunscheltern wünschen sich, dass die Leihmütter ins Ausland kommen und dort das Kind gebären. Doch die Agenturen warnen davor. „Die Herausgabe des Kindes gegen Geld wird zurecht in vielen Staaten als Menschenhandel geahndet. Es gibt keinen Kinderhandel für einen guten Zweck“, erinnert Kummer an die UN-Kinderrechtskonvention. „Und Frauen sind keine Sklavinnen.“ Das scheint auch einem argentinischem Anwalt klar geworden zu sein, den The Guardian zitiert. Ihm wäre es zwar lieber, wenn die schwangere Leihmutter nicht im Krieg leben, sondern nach Argentinien kommen würde. „Aber ich kann nicht für sie entscheiden. Sie ist frei. Sie ist keine Sklavin.“ Willkommen im 21. Jahrhundert.
„Die Schattenseiten des Baby-Business sind durch den Krieg in der Ukraine auf tragische Weise nochmals sichtbar geworden“, sagt Ethikerin Kummer. „Leihmutterschaft ist ein profitabler Geschäftszweig, der nach einem internationalen Verbot ruft. Wir erleben hier quasi eine neue Spielart von Leibeigenschaft. Leihmutterschaft verstößt eklatant gegen Menschen- und Kinderrechte, sie ist frauenverachtend und bedeutet Kinderhandel.“