Demenz zählt aufgrund der steigenden Lebenserwartung seit Jahren zu den gesundheitspolitischen Top-Themen. Im Jahr 2050 sollen laut bisheriger Prognosen global etwa 135 Millionen Menschen von Alzheimer und anderen Formen der Demenz betroffen sein. Ängste vor der Explosion einer sozialen und finanziellen Krankheitslast stützen sich auf diese Zahlen. Doch Szenarien, wonach Westeuropa und die USA mit einer dramatischen Demenz-Epidemie zu rechnen haben, halten den Fakten offenbar nicht stand. Eine aktuelle Metaanalyse von Wissenschaftlern der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig belegt einen Trend zu sinkenden Neuerkrankungsraten bei Demenz in westlichen Industrieländern.
Die Sozialmediziner haben Studien über sehr alte Demenzpatienten in Industrienationen aus sieben verschiedene Studien - aus den USA, Frankreich, Großbritannien und Japan - analysiert, berichtet Die Welt (online, 30.10.2018): Das Ergebnis ihrer in Clinical Epidemiology publizierten Studie (2018, 10: 1233-1247): Menschen, die heute 85 Jahre alt sind, erkranken seltener an Demenz als diejenigen, die eine Generation früher ihr 85. Lebensjahr erreichten. Wer heute geboren wird, für den ist eine Demenz unwahrscheinlicher als für seine Eltern. Die absolute Anzahl an Betroffenen steigt vor allem durch die höhere Lebenserwartung weiter an. Das Risiko hingegen sinkt. Und: Das Risiko, an Demenz zu erkranken, scheint beeinflussbar.
Als mögliche Erklärung gibt das Team um Susanne Röhr vom Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) an der Universität Leipzig an, dass ein gutes Lebensumfeld den Abbau der Hirnsubstanz verhindern kann - beispielsweise Bildung, gute Ernährung, ein gutes Gesundheitssystem.
Die Studie zeige allerdings auch, dass der Trend nicht für alle Industrienationen gelte. In Japan steigt die Rate der Demenzpatienten im hohen Alter weiter. „Selbst in Industrieländern können die Lebensumstände und Erfahrungen im Lebensverlauf stark variieren und damit Entwicklungstrends von Demenz unterschiedlich beeinflussen. Und das trotz der insgesamt sehr günstigen Lebensbedingungen, die einkommensstarke Länder in der Regel auszeichnen“, sagt Studienleiterin Röhr (vgl. Pressemitteilung online, 25.10.2018). Japaner würden sich heute weniger gesund ernähren und sich weniger bewegen als vor einigen Jahren, was zu einem Ansteigen von Diabetes und Adipositas führe. Beide Erkrankungen aber fördern die Demenz.
Die Schlussfolgerungen der Autoren lauten, dass es weiterer Studien aus entwickelten Ländern aber auch weniger entwickelten Ländern brauche. Zumindest für mitteleuropäische oder nordamerikanische Länder sei auszuschließen, dass dabei gewaltige Zunahmen des Demenzrisikos entdeckt werden (vgl. Forum Gesundheitspolitik, online, 9.11.2018).