Frühere Fachausbildung, mehr kritisches Denken, mehr Praxisorientierung, mehr emotionale Intelligenz: Diese vier Felder müssen im derzeitigen Medizinstudium reformiert werden. Zu diesem Schluss kommen Johann Steurer, Internist an der Universität Zürich, und Leiter des Horten-Zentrums für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer und Anita Buchli, Leiterin Strategische Hochschulentwicklung der ETH Zürich in einer Analyse in der NZZ (online, 22.3.2018). Auch wenn die beiden Autoren hauptsächlich die Schweiz im Blick haben, dürfte der Befund wohl auch auf Österreich zutreffen.
Studienabgänger hätten nach einer zulangen Facharztausbildung vielfach Probleme, das Gelernte in der Praxis anzuwenden und abstraktes Wissen patientengerecht umzusetzen. Eine frühere Spezialisierung und damit geringere Studentenzahlen pro Disziplin würden es erleichtern, die Studenten bereits im Studium praxisnaher auszubilden. Gerade in Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung der Medizin müsse im Medizinstudium kritisches Denken - das Erlernen von Interpretation, Analyse und Evaluation von Daten, Prozeduren und Meinungen - mehr gefördert werden, statt große Mengen an Details auswendig zu lernen, so die Autoren.
Zudem mangle es den Medizinern an kommunikativer Kompetenz und an Einfühlungsvermögen, die jedoch in den Eignungstests zur Auswahl der Medizinstudenten nicht berücksichtigt würden. „Medizin hat nicht nur mit Wissen zu tun, sondern ebenso mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Die soziale und emotionale Intelligenz des Arztes ist aus Sicht der Patienten ebenso wichtig wie die kognitive Intelligenz“, betonen die Autoren. Für eine spätere Weiterentwicklung emotionaler Kompetenz brauche es die Vorbildfunktion der Dozierenden im Studium und der Vorgesetzten in der Weiterbildung.
Steurer und Buchli halten diese Punkte vor allem auch in Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung der Medizin wichtig. Schon heute kommen Patienten mit computergenerierten Diagnosen und Therapievorschlägen, die sie im Internet finden, zum Arzt. „Mit dem Älterwerden der Digital Natives wird dieses Internet-Doctoring noch zunehmen.“ Mediziner müssten deshalb besonders im kritischen Denken geschult sein, um die Informationen aus dem Internet oder anderen Quellen analysieren und beurteilen zu können - und in den kommunikativen Fähigkeiten, um den Patienten diese Informationen verständlich erklären zu können.