Indikation „Mädchen“, Therapie „Abtreibung“: Der Genderzid (Abtreibung bloß aufgrund des „falschen Geschlechts“) hat auch Kanada erreicht. Jüngste Erhebungen zeigen, dass Immigrantinnen aus Indien, China und Korea unverhältnismäßig mehr Buben gebären, auch wenn sie in Kanada finanziell abgesichert und integriert waren.
Im Editorial des Canadian Medical Association Journal (DOI:10.1503/cmaj.120021) zeigt sich Chefredakteur Rajendra Kale, gebürtiger Inder, alarmiert: „Soll man etwa den Fetozid weiblicher Föten in Kanada einfach als unbedeutend abtun, weil es sich nur um ein kleines Problem innerhalb einer ethnischen Minorität handelt? Nein. Auch einige Wenige können nicht ignoriert werden, wenn es sich um eine Diskriminierung der Frau in ihrer extremen Ausformung handelt.“ Die Autoren im CMAJ fordern Maßnahmen zur Begrenzung geschlechtsselektiver Abtreibung. Ein Vorschlag lautet, die Information über das Geschlecht des Babys - soweit medizinisch irrelevant - bis zur 30.Schwangerschaftswoche zurückzuhalten. Dies stieß prompt auf Kritik: Tests zur Bestimmung des Geschlechts des Ungeborenen seien längst im Handel erhältlich und könnten zu Hause durchgeführt werden. Und außerdem: Wie könne nach geltender Rechtslage ein Arzt eine Abtreibung verweigern, selbst wenn er die wahren Beweggründe der Mutter ahnt, ohne sich dabei rechtlich die Finger zu verbrennen?
Lauren Vogel bringt in ihrem Beitrag (DOI:10.1503/cmaj.109-4091) die zahlreichen Widersprüche zwischen einer laxen Abtreibungspraxis, dem Recht auf Leben, der Achtung von kultureller Diversität, der Autonomie der Frau und der Forderung des vorgeburtlichen Lebensschutzes für Mädchen im embryonalen Stadium auf den Punkt: Die Selektion nach Geschlecht sei eigentlich nur die Spitze des Eisberges.
Beide Seiten, Pro Life- und Pro Choice-Unterstützer, bezeichnen den kanadischen Vorschlag als unlogisch: Warum sollten Ärzte von der Tötung eines weiblichen Babys abraten, zugleich aber die Abtreibung von Down-Syndrom-Föten hinnehmen? Sind nun alle Föten gleich - oder einige “gleicher“? (vgl. National Post, 17.1.2012) Der Genderzid ist weltweit als Problem erkannt worden (vgl. Parlamentarischer Ausschuss im Europarat und WHO-Bericht 2011). Auch in Europa, etwa in Norwegen und Großbritannien, gibt es bei Einwanderern aus asiatischen Kulturkreisen vor allem beim zweiten oder dritten Kind eine erkennbar bubenlastige Geburtenquote, was als typisches Indiz für eine vorgeburtliche Geschlechtsauswahl gilt. Selbst Schweden hatte 2009 entschieden (vgl. Imabe-Newsletter Juni 2009), dass die geschlechtsselektive Abtreibung erlaubt sei.