Damit Patienten optimal betreut und behandelt werden, braucht es eine gute Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitsbereich. Die Theorie ist klar, doch in der Praxis ist dies noch kaum angekommen. Interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ) scheint immer noch die Ausnahme, eine Abweichung vom Normalfall. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie Interprofessionelle Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung: erfolgskritische Dimensionen und Fördermaßnahmen 2020, die die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) initiiert hat. Die qualitative Studie sollte Erfolgsfaktoren für eine gelungene IPZ identifizieren. „Das professionelle Neben-, Mit- und gelegentlich auch Gegeneinander stellt gewissermaßen die etablierte und gewohnte Normalsituation dar“, schreiben die Autoren der Studie. Um diese zu überwinden, müssten sich alle Berufsgruppen vom Plus der IPZ überzeugen - allen voran die Ärzteschaft. Sie habe laut SAMW eine Schlüsselrolle inne - sowohl was die Ermöglichung, als auch die Verhinderung betrifft.
Eine Vielzahl von Studien in den vergangenen 20 Jahren hat detailliert gezeigt, wie IPZ Behandlungsergebnisse verbessern kann: Sie reduziert vermeidbare Arzneimittelwirkungen, verringert Mortalitätsraten und führt zu einer verbesserten Verordnung der Medikamentendosierung. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegenden ist außerdem ein protektiver Faktor für die Gesundheit von Angestellten im Krankenhaus. Eine geringe IPZ ist dagegen eng mit geringer Arbeitszufriedenheit, Berufsaufgabe und Burn-out assoziiert. Pflegende bewerten IPZ häufig geringer als Ärzte, bei denen das Problembewusstsein offenbar noch nicht so vorhanden ist. Besonders Ärzte seien wegen ihrer herausgehobenen Position besonders gefährdet, unter sich zu bleiben.
Für die Forscher der SAMW ist klar: Appelle zu mehr Zusammenarbeit der Professionen alleine genügen nicht. Wenn die Nicht-Zusammenarbeit auf Augenhöhe der Normalfall ist, dann brauche es „gute Gründe“, damit sich eine andere Verhaltensweise behaupten und auch festigen kann. Es braucht also Bindekräfte, die dazu führen, dass sich die IPZ gegenüber dem Normalfall der Arbeitsteilung durchsetzt. Dafür müsse die IPZ für alle Beteiligten im Alltag als sinnhaft und produktiv erlebt werden. Eine rein technische Implementierung, zum Beispiel in Form von gemeinsamen Besprechungen oder Visiten, reiche nicht aus, schreiben sie. Letztlich brauche es „starke Überzeugungen der Beteiligten“, um IPZ einzuführen und dauerhaft zu leben. Und recht nüchtern fügen sie hinzu: Der Satz „weil es Patienten dient“ alleine reicht nicht. Durchsetzen werden sich nur solche IPZ-Formen, in denen die Professionellen den Nutzen auch für sich selbst erkennen.