Das mediale Echo Anfang August war groß: Dem US-russischen Biologen Shoukhrat Mitalipov und seinem Team von der Oregon Health & Science University sei erstmals eine Genmanipulation an menschlichen Embryonen ohne weitere unerwünschte Mutationen im embryonalen Erbgut gelungen. Die Ergebnisse ihrer Versuche publizierten sie in Nature (548, 413-419, 24 August 2017, doi:10.1038/nature23305).
Die Forscher hätten ein für eine Erbkrankheit verantwortliches defektes Gen - in diesem Fall das Gen MYBPC3, das für eine erbliche Herzschwäche (hypertrophe Kardiomyopathie, HCM) verantwortlich ist - mittels der sog. Genschere (CRISPR/Cas9-Methode) entfernt und nach eigenen Angaben durch den entsprechenden fehlerfreien DNA-Abschnitt ersetzt. Es habe keine negativen oder unbeabsichtigten Mutationen gegeben (Off-Target-Effekte). Medial wurde Mitalipovs Arbeit als Meilenstein für zukünftige Keimbahntherapien am Menschen gefeiert. Sämtliche Änderungen im Erbgut von Embryonen würden auch an die nächsten Generationen weitervererbt werden (vgl. Tagesspiegel, online, 2.8.2017).
Nur knapp vier Wochen nach der Publikation der Mitalipov-Studie melden US-Forscher jedoch massive Zweifel an der Konsistenz der Ergebnisse an - ebenfalls in Nature. In einer Vorab-Veröffentlichung auf bioRxiv (doi: https://doi.org/10.1101/181255) hinterfragen Stammzellforscher Dieter Egli, Columbia University, Maria Jasin, Memorial Sloan Kettering Cancer Center und der Biochemiker George Church, Harvard Medical School, ob Mitalipovs Team tatsächlich die „Gen-Reparatur“ gelungen sei. Die Tatsache, dass das Team das krankheitsverursachende Gen nicht mehr finden konnte, heißt nicht, dass sie einen „direkten Beweis für die Korrektur" gebracht hätten. Will heißen: CRISPR könnte zwar das defekte Gen herausgeschnitten haben, es wurde aber nicht durch ein „gesundes“ ersetzt. Die Embryonen wären demnach schwer geschädigt.
Wissenschaftler publizieren spektakuläre Ergebnisse und versprechen neue Therapien, die Aktienkurse steigen. Doch innerhalb kürzester Zeit müssen die Resultate relativiert oder gar widerrufen werden, beschreibt IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer den neuen Hype. „Das Wettrennen um Zeit, Geld und Patente führt zu einer Wissenschaft, die bewusst keinen offenen ethischen Diskurs zulassen will. Während man vor zwei Jahren noch entsetzt über die chinesischen Keimbahnmanipulationen am Menschen war, geht es jetzt offenbar nur mehr um das Wann und Wie“, ergänzt die Ethikerin. Sicherheitsbedenken spielen angesichts der „Goldgräberstimmung“ offenbar keine Rolle mehr. So kann die CRISPR/Cas9-Methode Mutationen verursachen, die sich möglicherweise erst in der nächsten oder übernächsten Generation niederschlagen werden. Nachkommen müssen dann mit einer genetischen Bürde leben (vgl. Bioethik aktuell, 6.3.2017).
Unter den zahlreichen ethisch brisanten Fragen, die selbstverständlicher Teil der Keimbahntherapie sind, nennt Kummer die Ausnützung von Frauen, die als Lieferantinnen für Hundete von Eizellen für diese Versuche herhalten müssen. Außerdem sei das vorsätzliche Herstellen und Vernichten von Embryonen für reine Forschungszwecke „ethisch unhaltbar“. Die Bioethikerin kritisiert zudem das „Designen von Embryonen“: „Für die US-Studie wurden Embryonen bewusst mit Samenzellen, die Krankheitsträger waren, hergestellt: Auch das ist ein Designer-Baby“, betont Kummer, „in diesem Fall nicht für keine Verbesserung, sondern für die Herstellung eines Embryos mit einer bestimmten Erbkrankheit.“ Designerbabys sind also schon Realität, denn der Grundgedanke sei dieser: „Embryonen herstellen mit der Intention, sie genetisch zu manipulieren.“
Schließlich führt sich die Methode selbst ab absurdum, wenn das Ergebnis - wie in diesem Fall - auch ohne Keimbahnmanipulation erreicht werden könnte. „Mit der vielerorts praktizierten Präimplantationsdiagnostik wäre die Selektion jedenfalls einfacher zu haben“, ergänzt die IMABE-Geschäftsführerin - auch wenn diese Methode ethisch ebenfalls umstritten ist. Hintergrund: Nach Angaben der Autoren um Mitalipov konnte die Mutationsrate bei den Embryonen mit HCM von 50 auf 27,6 Prozent, aber nicht auf Null Prozent gesenkt werden (50% der Kinder sind nicht Träger der Krankheit). In der klinischen Praxis müsste also selbst nach Einsatz der Genschere ohnehin eine PID folgen, um erst wieder nur jene Embryonen auszuwählen, die nicht von der genetisch vererbbaren Muskelschwäche betroffen sind.