Wissenschaftlern aus China ist es gelungen, aus Stammzellen von Javaner-Affen sogenannte „synthetische Embryonen“ zu züchten und sie in die Gebärmutter von acht Affenweibchen zu transplantieren. Bei drei der acht Affenweibchen konnten die Forscher hormonelle Anzeichen einer frühen Schwangerschaft nachweisen. Zu einem wissenschaftlichen Durchbruch reichte es aber nicht, da sich die Embryonen nicht in der Gebärmutter weiterentwickelten. Sie starben ab, die Zellen wurden vermutlich von der Plazenta absorbiert. In Zellkulturen außerhalb des Körpers entwickelten sich einzelne künstliche Embryonen hingegen bis zum 18. Tag weiter. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Cell Stem Cell“ veröffentlicht. Bislang waren ähnliche Ergebnisse bei Mäuse-Embryonen durchgeführt worden, wie Science Media Center (SMC) (6.4.2023) berichtet.
Embryonen ohne Eizelle und ohne Sperma
Künstliche (synthetische) Embryonen werden im Gegensatz zu natürlichen, aus der Verschmelzung einer Ei- und Samenzelle entstandenen Embryonen als „Embryoide“ bezeichnet. Die Affenembryonen sind ohne Befruchtung aus im Labor kultivierbaren pluripotenten Stammzellen hervorgegangen.
Der „rasante Fortschritt in der Embryonen- und Embryoid-Forschung lässt es möglich erscheinen, dass sich Embryoide zukünftig auch zu lebensfähigen Organismen entwickeln könnten“, sagt Rüdiger Behr, Leiter der Abteilung Degenerative Erkrankungen, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) in Göttingen. Sollte es gelingen, dass sich künstliche Affenembryonen zu vollständigen Organismen entwickeln, würde das mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf künstliche menschliche Embryonen zutreffen.
Erster Monitoring-Bericht im Auftrag des österreichischen Parlaments erschienen
Im Mai 2023 hat das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Auftrag des österreichischen Parlaments dazu einen ersten Monitoring-Bericht unter dem Titel „Künstliche Gebärmuttersystem und synthetische Embryonen“ (Mai 2023).vorgelegt. Sogenannte „synthetische Embryonen bzw. Embryomodelle“ seien „natürlichen Embryonen“ „extrem ähnlich“, halten die Autoren fest. Die Möglichkeit der Erzeugung und Kultivierung von synthetischen Embryonen werde „eine gesellschaftliche Diskussion der Chancen sowie ethischer Herausforderungen mit sich bringen, um neues Wissen und mögliche biomedizinische Anwendungen verantwortungsvoll entwickeln und nutzen zu können“, heißt es darin.
Derzeit wird an synthetischen Embryonen in Österreich bereits geforscht (vgl. Österreichische Akademie der Wissenschaften 2.12.2021). Wissenschaftler erhoffen sich, an künstlichen Embryonen biochemische oder genetische Untersuchungen durchführen zu können, um neue Verhütungsmethoden zu entwickeln, die Ursache von Fehlgeburten zu erforschen, die Erfolgsrate der künstlichen Befruchtung zu erhöhen sowie Gifte, Viren und Medikamente in dieser frühen Entwicklungsstufe zu testen.
Rechtliche und ethische Fragen in Österreich ungeklärt
Völlig ungeklärt ist allerdings, welchen rechtlichen und moralischen Status synthetische im Vergleich zu natürlichen, aus Ei- und Samenzellen erzeugten Embryonen haben. Die ITA-Autoren empfehlen daher, einen Diskussionsprozess in Gang zu bringen. Darin sollten „möglichst viele relevante Akteure aus Bereichen wie Wissenschaft, Medizin und Ethik, Behörden und Politik sowie zivile Organisationen und die allgemeine Öffentlichkeit“ einbezogen werden, um rechtliche und ethische Fragen zu klären.
Arzneistoffe können über die Plazenta den Embryo erreichen
Die Wiener Toxikologin und Bioethikerin Margit Spatzenegger kritisiert im IMABE-Gespräch Begrifflichkeiten wie „Embryomodell“. Es handle sich bei synthetischen Embryonen nicht bloß um Attrappen, sondern „um einen lebendigen Organismus“. Als Toxikologin, die seit mehr 20 Jahren in der Arzneimittelforschung arbeitet, hält sie den Erkenntnisgewinn durch Versuche an künstlichen Embryonen für begrenzt. „Wir werden weiterhin Tierversuche in der nicht-klinischen Forschung brauchen, denn nur dann können wir das Risiko abschätzen, inwiefern sich Arzneimittel, die Schwangere einnehmen, möglicherweise gesundheitsschädigend auf das Ungeborene auswirken.“
Die Plazenta spiele dabei eine entscheidende Rolle. Sie wirke zwar für viele Schadstoffe wie ein Filter, aber viele Arzneistoffe können über die Plazenta den Embryo erreichen, erklärt Spatzenegger. Seit dem Contergan-Skandal in den 1960er Jahren muss die Embryotoxizität geprüft werden und die Prüfung der Plazentagängigkeit ist ein Teil davon.
Tierversuche können nicht ersetzt werden
„Es muss also überprüft werden, ob und in welchem Ausmaß der Arzneistoff über die Plazenta auf das Kind übergehen kann.“ An einem isolierten Embryo im Reagenzglas sei dies jedoch laut Spatzenegger unmöglich. Für eine Risikoabschätzung fehle ihm die Verbindung zum mütterlichen Blutkreislauf: „Künstliche Embryonen weisen Mängel auf, die die Forscher auf das Fehlen des Kontaktes mit der mütterlichen Umgebung zurückführen“, so die Arzneimittelforscherin. Tierversuche würden daher auch in Zukunft nötig sein.
Ethik: Soll man ‚künstliche‘ menschliche Embryonen wie ‚natürliche‘ behandeln?
Spatzenegger sieht gerade in ethischer Hinsicht großen Diskussionsbedarf. Aus philosophischer Perspektive gäbe es gute Gründe dafür, „dass einem menschlichen Embryo, der auf diesem Weg entstanden ist, derselbe Schutz zukommen sollte wie jedem anderen menschlichen Embryo.“ Ihrer Ansicht nach sollte daher eine „Verzweckung menschlicher synthetischer Embryonen für die Forschung" durch ethische Regularien verhindert werden.
Hinweis: In der kommenden Ausgabe Schwerpunkt-Ausgabe „Transhumanismus“ IMAGO HOMINIS (02/2023, Erscheinungsdatum Juli 2023) publiziert Margit Spatzenegger unter dem Titel „Synthetische Mausembryonen: Modelle als Herausforderung der Sachlichkeit“ zur Frage des Status der synthetischen Embryonen.