Sollen an Universitätskliniken nur noch solche Ärzte eingestellt werden, die auch dazu bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen? In einer Stellungnahme zur Bereitschaft zu Abtreibungen als Einstellungsvoraussetzung (21.7.2020) plädiert die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) klar für die Gewissensfreiheit: Ärzten und Ärztinnen den Zugang zu einer Karriere an einer Universitätsklinik verwehren zu wollen, „weil ihre Gewissensentscheidung die Teilnahme an einem solchen Eingriff nicht zulässt, ist unerhört“.
Das Recht, entsprechend der eigenen Werthaltungen eine Entscheidung zu treffen, könne nicht als Voraussetzung für einen Arbeitsvertrag herangezogen werden. Das Verbot, Menschen aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung zu benachteiligen, gelte für Ärzte genauso wie für das Pflegepersonal oder alle anderen Beteiligten. „Wir wollen niemals in einem Staat leben, der das Recht aushebelt, nach bestem Wissen und Gewissen handeln zu können.“ Jedes Individuum werde nach Abwägung zu einer persönlichen Entscheidung kommen, die Abwägung müsse aber „jedem einzelnen Menschen in freier Entscheidung möglich sein“.
Das Ziel, jeder Frau, die wegen einer ungewollten Schwangerschaft in Not ist, den Zugang zu Hilfe zu ermöglichen, sei nicht nur legitim, sondern eine Verpflichtung, der unsere Gesellschaft gerecht werden müsse. Laut DGGG-Erklärung schließe das nicht nur die "Option eines Schwangerschaftsabbruchs" ein, sondern auch das Recht auf alternative Hilfsangebote. Der ungehinderte und diskriminierungsfreie Zugang zu Beratungsstellen muss daher ebenso garantiert werden wie der Zugang zu Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen“, heißt es in der .
Anlass für die Stellungnahme war eine Aussage der baden-württembergische Sozialstaatssekretärin Bärbl Mielich (Grüne). Sie wolle prüfen, ob Neueinstellungen an Unikliniken davon abhängig gemacht werden könnten, „dass Ärzte und Ärztinnen bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen“, so Mielich in einem Interview mit der taz (online 6.7.2020). Beobachtungen zufolge nehme die Zahl von Arztpraxen und Kliniken, die Abtreibungen vornehmen, bundesweit ab.
Mielich zog sich mit ihrer Aussage heftige Kritik zu – auch in den eigenen Reihen. Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellte klar, dass „Ärztinnen und Ärzte selbstverständlich nicht“ dazu verpflichtet werden könnten, „Abtreibungen vorzunehmen – und das sollte auch kein Einstellungskriterium sein.“ Mielich ruderte in einer Mitteilung des Sozialministeriums (online, 13.7.2020) zurück. Sie habe nicht auf einzelne Ärztinnen oder Ärzte Druck ausüben wollen.
Für die DGGG ist ein Schwangerschaftsabbruch keine Option erster Wahl. Er „ist leider in manchen Fällen die nötige Lösungsmöglichkeit für einen bestehenden Schwangerschaftskonflikt, aber er wird nie etwas anderes sein als eine von mehreren schlechten Optionen.“ Viele betroffene Frauen würden dafür oft lebenslang einen hohen psychischen und in Einzelfällen auch physischen Preis zahlen. Deshalb sei es vordringlich, alles zu tun, die Notlage zu lösen, um einen Schwangerschaftsabbruch zu verhindern. Das sei nicht mit Verboten möglich, sondern „nur mit verständnisvollen, empathischen und nachhaltigen Hilfsangeboten, welche der teilweise als existentiell empfundenen Bedrohung der Frauen gerecht werden“, betont die DGGG.
In Deutschland gab es laut offizieller Statistik im Jahr 2019 fast 101.000 Abtreibungen. Knapp drei Viertel (72 %) der Frauen waren zwischen 18 und 34 Jahren alt, rund 18 % zwischen 35 und 39 Jahren. Rund 40 % der Frauen hatten vor dem Schwangerschaftsabbruch noch kein Kind zur Welt gebracht.