Pflegekräfte und Ärzte auf Intensivstationen handeln häufig entgegen ihren persönlichen Überzeugungen. Dies ergab eine Umfrage in Europa und Israel, die im Journal of the American Medical Association (2011; 306: 2694-2703) veröffentlicht wurde (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online 28.12.2011).
Ruth Piers von der Geriatrischen Abteilung der Universitätsklinik Gent/Belgien und Kollegen befragten im Mai 2010 rund 2000 Ärzte und Pflegekräfte. Die Befragten waren an 82 Intensivstationen für Erwachsene in 9 europäischen Ländern und Israel tätig und sollten beantworten, inwieweit sie ihr Handeln sowohl medizinisch als auch ihren persönlichen Überzeugungen entsprechend als angemessen betrachten. Die Rücklaufquote betrug 93 Prozent.
Eine von vier Pflegekräften und einer von drei Intensivmedizinern gaben an, dass sie derzeit wenigstens einen Patienten wider bessere Überzeugung behandelten. Am häufigsten hatten sie den Eindruck einer wenig sinnvollen „Überbehandlung“. Der umgekehrt Falle - dass nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft würden - wurde nur selten angegeben. Der zweithäufigste ethische Vorbehalt betraf die Verteilungsgerechtigkeit und war ein vor allem bei Ärzten verbreitetes Gefühl: Es gebe sicherlich andere Patienten, die das Intensivbett dringender benötigen als ihr aktueller Patient.
Die ethischen Bedenken gegen das eigene Handeln waren mit einer vermehrten Unzufriedenheit am Arbeitsplatz verbunden. Ein Drittel aller Befragten gab an, schon einmal über einen Arbeitsplatzwechsel nachgedacht zu haben. Die Frustration über die unangemessene Behandlung ihrer Patienten war in einer Multivariat-Analyse der stärkste Motivator.
Die Autoren fügen hinzu, dass die Herausforderung für die Intensivmediziner darin bestünde, "auf Intensivstationen die Selbst-Reflexion, das gegenseitige Vertrauen, eine offene Kommunikation und eine gemeinsame Entscheidungsfindung zu fördern, um so das Wohlbefinden des einzelnen Klinikers und die Qualität in Hinblick auf die Patientenversorgung zu verbessern.“