Mifegyne
Edel M. Cech
Stand: Oktober 1999 (aktualisiert: Juli 2020)
Die Entstehungsgeschichte von Mifegyne1
Die Abtreibungspille RU 486 hieß zunächst "Mifepristone" und wurde 1998 auf Mifegyne® umbenannt. Die ersten Forschungsbemühungen, die zur Entwicklung von Mifegyne führten, waren ursprünglich nicht auf die Herstellung eines Abtreibungsmittels ausgerichtet. 1975 hatte Roussel-Uclaf, die französische Tochter des Hoechst-Konzerns, eine Methode zur künstlichen Erzeugung bestimmter Hormone (Kortisonpräparate) entwickelt. Auf diesem Wissen aufbauend wurde eine Reihe von Substanzen hergestellt. Auf eine davon, auf Mifegyne® (damals RU 486), reagierten insbesondere jene Zellteile (Rezeptoren), die auch auf Kortison ansprechen. Außerdem verband sich diese Substanz sehr eng mit dem Rezeptor, auf den auch das Schwangerschaftshormon wirkte.
Dabei zeigte sich jedoch, dass die von Mifegyne® an den Rezeptoren ausgelöste Wirkung dem des Kortisons entgegengesetzt war. Als dies offensichtlich geworden war, wollte die Firma Roussel-Uclaf die Forschung an dieser Substanz einstellen.
Etienne Baulieu, wissenschaftlicher Berater von Roussel-Uclaf, machte die Firma jedoch darauf aufmerksam, dass das Präparat möglicherweise abtreibend wirken könnte. Er veranlasste, dass neue Testserien unternommen wurden. Im Tierversuch bei Ratten und bei Affen konnte die abtreibende Wirkung des Präparates tatsächlich nachgewiesen werden. Nur 17 Monate nach Beginn der Tierversuche, im Oktober 1981, wurde Mifegyne erstmals auch am Menschen getestet. Walter Herrmann, Professor für Gynäkologie an der Universität Genf, erklärte sich - nach Zustimmung einer Ethikkommission - zu einem Experiment mit dem Präparat bereit. Das Ergebnis: Von 11 ungeborenen Kindern überlebten nur zwei den Einsatz von Mifegyne (diese beiden wurden anschließend chirurgisch abgetrieben). Daraufhin löste eine Abtreibungsstudie die andere ab, bis schließlich das französische Gesundheitsministerium am 23.9.1988 den Einsatz von Mifegyne in den rund 800 Abtreibungskliniken des Landes bewilligte.
Es folgte ein eigenartiges Zwischenspiel: Edouard Sakiz, damaliger Vorsitzender von Roussel-Uclaf, zog das Präparat wieder zurück, brachte es aber zwei Tage später auf Druck des Ministeriums "gezwungen" doch wieder auf den Markt (36,25% der Roussel-Uclaf-Aktien standen im staatlichen Besitz).
Seit Juli 1991 ist Mifegyne® (RU 486) in Großbritannien und seit September 1992 in Schweden auf dem Markt. Auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern sowie den USA und in China wurden Abtreibungen mit dem Präparat durchgeführt und publiziert. Inzwischen ist es in mehr als 30 Ländern zugelassen.
In Deutschland weigerte sich die Hoechst AG zunächst beharrlich, eine Zulassung ihres Wirkstoffes zu beantragen und trug u. a. vor, dass sie einen Boykott ihrer Produkte befürchte. In Deutschland wurde Mifegyne Ende 1999 zugelassen, in Österreich bereits seit Anfang 1999 angewendet. Ab dann fand die Markteinführung in den meisten europäischen Ländern und USA (2005) statt, im Jahr 2007 auch in Italien. In den EU Ländern wurde die Anwendung des Präparates 2007 bis 63 Tage (9 Wochen) ab dem 1. Tag der letzten Regel zugelassen.
Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, kurz BASG, hat den Antrag auf Zulassung der "Abtreibungspille" Mifegyne durch niedergelassene Gynäkologen im Juli 2020 genehmigt. Bisher war Mifegyne nur in Krankenhäusern verabreicht worden. Kritiker fürchten, dass es nun zu einem verstärkten Druck auf Frauen kommen wird, da der Abbruch nun auch im eigenen Zuhause vorgenommen werden kann, ohne ärztliches Gespräch und ärztliche Überwachung.
Edouard Sakiz ist aus dem Hoechst-Forscherteam ausgestiegen, um seine eigene Firma zur Mifegyne-Produktion, mit Namen "Exelgyn" zu gründen. Seit 1997 ist die Firma Exelgyn mit Sitz in Paris im Besitz der Rechte für diesen Wirkstoff.
Mit der Einnahme von Mifegyne® wird der Prozess einer chemischen Abtreibung in Gang gesetzt, die in der Regel bis zum 49. Tag nach der letzten Menstruation erfolgt. Dies geschieht in mehreren Schritten.
1. Tag: Nachdem mittels Ultraschall oder chemischer Analyse durch einen Gynäkologen das Vorliegen einer Schwangerschaft sichergestellt worden ist, werden bestimmte Begleitmaßnahmen vorgenommen: Die Blutgruppe wird wegen eventuell notwendiger Bluttransfusionen festgestellt (es kann nämlich zu hohen Blutverlusten kommen); Frauen mit Infektionen im urogenitalen Bereich werden antibiotisch behandelt.
Danach bekommt die Schwangere am ersten Tag 3 Tabletten (insgesamt 600 mg) Mifegyne. Mindestens zwei Stunden nach Verabreichung des Mittels wird die Frau beobachtet. Sollte sie in dieser Zeit erbrechen, wird eine andere Methode der Abtreibung angewendet. Nach dieser Beobachtungsphase erfolgt die Entlassung nach Hause.
Einigen Studien zufolge treten nach Einnahme von Mifegyne bei rund 50 Prozent der Schwangeren innerhalb von 48 Stunden Blutungen auf. Bei 2 Prozent der Betroffenen ist diese Blutung schwer und von Krämpfen begleitet. Allerdings werden trotzdem bis zum dritten Tag nur 3 Prozent der Kinder ausgestoßen.
3. Tag: 36 – 48 Stunden nach der Einnahme der Mifegyne-Tabletten muss das wehenauslösende Mittel Prostaglandin eingenommen werden (als Tablette oder Zäpfchen). Früher waren noch Injektionen nötig, jetzt sind Abtreibungen mit Mifegyne, was ihre Durchführung anbelangt, nicht mehr an eine Klinik gebunden, sie ist trotz Risiken in den eigenen vier Wänden möglich.
Während der nächsten 6 Stunden müssen die Frauen sorgfältig überwacht werden. Innerhalb von 2 Stunden nach Verabreichung des Wehenmittels werden nämlich meist Blutungen einsetzen. Während dieser findet die Ausstoßung des Kindes statt. Je höher die Dosis des Wehenmittels, umso früher findet der Abort statt: Von 4,5 Stunden (im Durchschnitt bei der höchsten Dosis) bis zu 22,7 Stunden danach (im Durchschnitt bei niedriger Dosis) reicht die mittlere Spannweite. Die Blutungen sind zunächst stark (während der ersten Tage danach) und werden erst allmählich schwächer. In einigen Untersuchungen wurden Blutungsdauern zwischen 1 und 35 Tagen festgestellt (Mittelwert 8,9 Tage). Diese Werte waren abhängig vom Alter des Kindes sowie von der Dosierung des Wehenmittels. Bei höchster Dosierung (0,5 mg Sulprostone) war die durchschnittliche Blutungsdauer 11,8 Tage.
14. bis 21. Tag: nach der Einnahme von Mifegyne muss die Frau nochmals in das Behandlungszentrum kommen. Dabei wird untersucht, ob die Schwangerschaft tatsächlich beendet und vollständig abgegangen ist. Mittels Ultraschall oder chemischer Methoden wird festgestellt, ob die Schwangerschaft beendet und das Kind daher auch tatsächlich getötet worden ist.
Das Auftreten von Nebenwirkungen hängt von der Dosierung des Wehenmittels ab. Bereits kurz nach Einführung des Präparats wurde beobachtet, dass bei starker Dosierung etwa 33% der Frauen innerhalb der ersten 4 Stunden nach der Anwendung des Mittels Symptome im Magen- und Darmtrakt aufwies: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall. Bei der letzten Untersuchung in der Klinik 8 bis 12 Tage nach Verabreichung von Mifegyne klagten noch ca. 10% der Frauen über Nebenwirkungen (alle Erscheinungen zusammengenommen). Weitere Untersuchungen ergaben, dass 15% der Frauen unter schweren Blutungen litten. Die Firma Exelgyn selbst (Website vom September 1998) gibt alle diese Nebenwirkungen an, und besagt weiters, dass bei 5% der Fälle eine Metrorrhagie (länger als 7 Tage andauernde Uterusblutung) beobachtet wird.
Am 9. April 1991 gab der französische Gesundheitsminister bekannt, dass eine 31jährige Mutter während der Abtreibung einer Frühschwangerschaft mittels RU 486 gestorben sei. Laut Bericht von Roussel-Uclaf war der Tod eindeutig durch einen kardiovaskulären Schock nach Injektion des Prostagladins Sulprostone eingetreten.
Bei derselben Kombination (RU 486 und Sulprostone) erlitt eine 35jährige Frau bei der Abtreibung ein reversibles Kammerflimmern.
Frauen sagen nach Anwendung der Abtreibungspille, dass diese Methode (chemische Abtreibung) "annehmbar" und "diskreter" sei als eine Saugkürettage (mechanische Abtreibung). Andererseits wird Mifegyne keinesfalls als "sicher" bewertet. Diese Methode sei ganz und gar nicht "schmerzarm und einfach". Frauen stehen unter starker psychischer Belastung, warten sie doch tagelang auf die Ausstoßung ihres Kindes, die sie jederzeit überraschen kann: zu Hause, auf der Straße...
Darüber hinaus weiß man - trotz umfangreicher Forschungen - noch nicht über alle Wirkungen und Nebenwirkungen der Pille Bescheid. Auch die Folgen für die Fruchtbarkeit sind noch lange nicht zur Gänze bekannt.
Auf der Ebene der Zelle tritt Mifegyne als Konkurrent des Schwangerschaftshormons (Progesteron) auf. Die von diesem Hormon angesteuerten Zellen werden durch das Präparat so beeinflusst, dass sie die Botschaft des Progesterons nicht mehr aufnehmen bzw. verwerten. Über die genaue Wirkungsweise gibt es verschiedene Theorien. Jedenfalls verhindert Mifegyne, dass das Progesteron in der Zelle jene Mechanismen in Gang hält, die für die Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft notwendig sind.
Das Schwangerschaftshormon wird im Zyklus der Frau ab jenem Zeitpunkt, in dem der Eisprung stattfindet (und ab dem eine Befruchtung möglich wird), in größeren Mengen ausgeschüttet. Die Aufgabe dieses Hormons ist es, die Gebärmutter für eine mögliche Einnistung und Ernährung des Kindes vorzubereiten. Insbesondere wird die Gebärmutterschleimhaut aufgebaut. Weiters wird dafür gesorgt, dass die Kontraktionstätigkeit der Gebärmuttermuskulatur abnimmt und dass der Gebärmutterhals geschlossen wird (damit das Kind nicht ausgestoßen wird).
Durch den Einsatz von Mifegyne wird all das verhindert und ins Gegenteil verwandelt. Die Schleimhaut wird abgebaut, die Kontraktionstätigkeit der Muskulatur erhöht und der Gebärmutterausgang erweicht und geöffnet.
Es wird erstaunlich viel mit diesem Präparat getestet, wohl auch, um ihm das Odium zu nehmen, nur der Tötung zu dienen. Arbeiten, die den Versuch unternahmen herauszufinden, ob Mifegyne den Eisprung verhindere, kamen zu keinen eindeutigen Ergebnissen. Auch als once-a-month Pille (nicht täglich einzunehmen, sondern nur am Tag der erwarteten Menstruation und 8 Tage danach) hat sich das Produkt nicht "bewährt". Bei der Untersuchung von 137 Zyklen von 12 Frauen wurden insgesamt 22 Kinder empfangen, und 4 von ihnen überlebten auch die zweite Dosis.
Hingegen scheint sich Mifegyne als Mittel zu Verhinderung der Einnistung zu eignen, wenn es 72 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr genommen wird. Diese Methode kann man jedoch nicht monatlich anwenden. Ergänzend sei noch erwähnt, dass der Einsatz des Präparats die Durchführung mechanischer Abtreibungen dadurch erleichtert, dass der Gebärmutterhals sich nach Einnahme von Mifegyne leichter dehnen lässt.
Man muss jedoch festhalten, dass es bisher keine endgültigen Daten gibt, die besagen, dass Mifegyne bei Krankheiten wirksam wäre. Selbst für die Behandlung von Brustkrebs ist Mifegyne aufgrund der kortisonähnlichen Nebenwirkungen vorerst ungeeignet. Auch bei Eileiterschwangerschaften kann das Präparat nicht eingesetzt werden, da es hier erwiesenermaßen nicht wirkt.
Die internationale Rechtssetzung besagt, 1. dass das Recht "jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt" wird (Artikel 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - MRK) und 2. dass jedem Kind das Recht auf Leben garantiert ist (nach Artikel 6 der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes - 20. 2. 1989). Dass damit nicht nur geborene Kinder gemeint sind, besagt das österreichische Recht klar und unmissverständlich:
"Selbst ungeborene Kinder haben von dem Zeitpunkt ihrer Empfängnis an einen Anspruch auf den Schutz der Gesetze" (AGBG § 22). Dieser kann nicht darin bestehen, dass man ein chemisches Präparat zulässt, das ihr Leben beendet.
Aus dem österreichischen Strafgesetzbuch (§ 96 und 97) geht hervor, dass der „Schwangerschaftsabbruch“ grundsätzlich rechtswidrig ist. Nur unter gewissen Voraussetzungen ("Fristenlösung"2) ist sie straffrei.
Erstaunlich ist jedoch, dass in einem Rechtsstaat eine staatliche Behörde offiziell ein Präparat zulässt, das ausschließlich zur Durchführung einer gesetzlich verbotenen, wenn auch straffreien Handlung (der Abtreibung) produziert wurde. Damit widerspricht sich der Staat selbst, wird unglaubwürdig und setzt einen Schritt gegen die Rechtsstaatlichkeit.
Vom ethischen Standpunkt bleibt unverrückbar, dass die Tötung unschuldigen, menschlichen Lebens, unabhängig von seiner Qualität oder seinem Entwicklungsstadium unsittlich ist. Deswegen ist die Verwendung von Mifegyne eine Tötung und keine medizinische Behandlung.
Mit Mifegyne wird das Problem der Tötung ungeborenen menschlichen Lebens keineswegs gelöst, sondern nur auf eine andere Ebene verlagert:
1. Es erfolgt eine Umverteilung der Verantwortung, indem der Arzt eine scheinbare Teilentlastung erfährt und der Schwangeren eine enorme Mehrbelastung zugemutet wird, da sie aktiver in das Geschehen miteinbezogen ist. Sie muss das abtreibende Mittel selbst einnehmen; der Abtreibungsvorgang wird von der Frau zwangsläufig bewusster miterlebt: Blutung, Ausstoßung des Embryos.
2. Es sind zwei Personen, die durch Mifegyne geschädigt werden:
a) das Kind, das getötet wird. Sollte es überleben, besteht die Gefahr schwerster Missbildungen.
b) die Mutter, durch die zur Genüge bekannten Nebenwirkungen. Zudem wird sie durch den langwierigen Abtreibungsverlauf seelisch in nicht zu unterschätzender Weise belastet.
3. Aufgrund der seelischen Belastungen ist auch mit einer Zunahme negativer psychischer Folgen zu rechnen.
4. Mifegyne® wird auch als „Pille danach“ bzw. zur „Menstruationsauslösung“ propagiert. Das Nichtwissen bezüglich einer möglichen Schwangerschaft im jeweiligen Zyklus führt zur Verwischung moralischer Grenzen.
5. Die Frau ist mehr als bisher der Willkür des Mannes oder ihrer Umgebung ausgesetzt, die einen noch größeren Druck auf sie ausüben können in Anbetracht der „Einfachheit“ der Methode. Die Hemmschwelle für die Tötung Ungeborener wird so herabgesetzt.
Referenzen
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Risikobewertung Mifegyne
- Der Standard, 10. Juli 2020 https://www.derstandard.at/story/2000118614806/oevp-kritisiert-leichteren-zugang-zur-abtreibungspille
- Die Tat ist nach §96 nicht strafbar, 1. wenn der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung vorgenommen wird; oder 2. wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist oder eine ernste Gefahr besteht, daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde, oder die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig gewesen ist und in allen diesen Fällen der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird; oder 3. wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Rettung der Schwangeren aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr unter Umständen vorgenommen wird, unter denen ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist."