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Die „Kind als Schaden“-Judikatur in Österreich

Mag. Antonia Busch-Holewik, Stand: April 2024

Unter dem Schlagwort „Kind als Schaden“-Judikatur wird die einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) verstanden, die sich mehrfach der Frage widmete, ob die unerwünschte Geburt eines Kindes als Folge eines ärztlichen Fehlers (Übersehen einer Behinderung im Rahmen der Pränataldiagnostik bzw. mangelnde Aufklärung oder eine missglückte Sterilisation) den Arzt zum Ersatz der daraus entstandenen Kosten (etwa Unterhaltskosten) verpflichten kann.

Bei den Begriffen „wrongful birth“, „wrongful conception“ und “wrongful life” handelt es sich jeweils um juristische Schlagworte, die Schadenersatzansprüche gegenüber Ärzten aus dem Titel einer unerwünschten Zeugung oder Geburt beschreiben.

Wrongful birth: ein Kind kommt aufgrund eines ärztlichen Fehlers gegen den Willen der Eltern zur Welt. Diese hätten das Kind bei Kenntnis seiner Behinderung, die der Arzt schuldhaft nicht erkannt oder die Eltern darüber nicht gehörig aufgeklärt hatte, abgetrieben. Die Eltern fordern aufgrund eines Verstoßes gegen den Behandlungsvertrag Schadensersatz (etwa für die Unterhaltskosten) vom behandelnden Arzt.

Wrongful conception: ein Kind wird gegen den Willen der Eltern, aufgrund einer fehlgeschlagenen Sterilisation oder Verhütung, gezeugt. Die Eltern nehmen den behandelnden Arzt oder den Hersteller des Verhütungsmittels aus vertraglicher Haftung in Anspruch und begehren Schadensersatz etwa für die entstandenen Unterhaltskosten.

Wrongful life: ein Kind kommt aufgrund eines ärztlichen Fehlers (Übersehen einer Behinderung im Rahmen der Pränataldiagnostik bzw. mangelnde Aufklärung der Eltern) mit einer Behinderung zur Welt und begehrt vom behandelnden Arzt Schadensersatz für seine eigene unerwünschte Existenz.

Diese Schadensersatzansprüche wurden vom Obersten Gerichtshof bisher mit der Begründung abgewiesen, dass jeder „grundsätzlich sein Leben so hinzunehmen“ hat, „wie es von der Natur gestaltet ist“, und somit niemand „einen Anspruch auf dessen Verhütung oder Vernichtung durch andere“ hat. (OGH Entscheidung 1Ob91/99k)

 

a)    1999 zu „wrongful birth“

Das Vorliegen einer Behinderung (Fehlen der oberen Extremitäten und Vorhandensein von Klumpfüßen) beim Ungeborenen wurde bei mehreren Ultraschalluntersuchungen sorgfaltswidrig vom Arzt nicht erkannt. Die Eltern klagten daraufhin auf Ersatz der behinderungsbedingten Mehraufwendungen für das Kind. Die Mutter des Kindes begehrte zudem Schmerzensgeld für den bei der Geburt erlittenen Schock wegen der unerwarteten Behinderung ihres Kindes. Das Kind schließlich klagte auf Ersatz sämtlicher behinderungsbedingter künftiger Aufwendungen, die es selbst zur Bewältigung seines Lebens zu leisten haben werde, sowie sonstiger behinderungsbedingter Vermögensnachteile und Schmerzen.

Das Gericht sprach den Eltern den eingeklagten Unterhaltsmehraufwand u.a. mit der Begründung zu, dass der Mutter durch den ärztlichen Fehler, die Möglichkeit genommen wurde, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Bejaht wurde vom Gericht außerdem der Anspruch der Mutter auf Schmerzensgeld. Alleinig die Schadensersatzansprüche des behinderten Kindes selbst (wegen „wrongful life“) wurden in der Entscheidung mit der Begründung abgelehnt, dass der „Mensch grundsätzlich sein Leben so hinzunehmen“ hat, „wie es von der Natur gestaltet ist und er keinen Anspruch auf dessen Verhütung oder Vernichtung durch andere“ hat.

Das Gericht traf in dem Urteil zudem grundlegenden Aussagen über die Ersatzfähigkeit des Schadens und den automatisch anzunehmenden Vertragsinhalt. Unter anderem stellten die Richter fest, dass die Vertragspflicht des Arztes auch den Schutz vor Vermögensnachteilen infolge einer unerwünschten, bei ordnungsgemäßer Aufklärung unterbliebenen Geburt eines schwerstbehinderten Kindes, umfasse.

Quelle: OGH-Urteil vom 25.5.1999, GZ 1 Ob 91/99k

b)    2003 zu „wrongful birth“

Die Eltern eines an Morbus Niemann-Pick leidenden Kindes klagten den behandelnden Arzt auf den Unterhaltsmehraufwand. Er habe sie während einer Schwangerschaftsuntersuchung nicht an eine spezielle Beratungsstelle überwiesen, wo eine entsprechende Aufklärung und möglicherweise eine Diagnose der genetischen Erkrankung hätte vorgenommen werden könne. Eine positive Diagnose hätte es der Frau ermöglicht, das Kind abzutreiben.

Der OGH verneinte den Anspruch, da die Schwangere den Arzt nicht vollständig über das Auftreten der Krankheit in ihrer Familie und den Umstand, dass sie mit einem Verwandten verheiratet ist, bei dessen Familie ebenfalls Fälle von Morbus Niemann-Pick aufgetreten seien, informiert hatte. Sie hätte dem Ambulanzarzt auch nicht klargemacht, dass sie nicht nur aus Sorge darüber, ob ihr Kind gesund sein wird, nach einer pränatalen Diagnosemöglichkeit fragte, sondern dass sie ein erkranktes Kind nicht akzeptieren wollte.
Quelle: OGH-Urteil vom 23.10.2003, GZ 6 Ob 303/02f

c)    2006 zu „wrongful birth“

Der behandelnde Arzt erkannte bei einer Ultraschalluntersuchung Auffälligkeiten und gab der Schwangeren eine Überweisung an eine Risikoambulanz, ohne sie jedoch über die Verdachtsmomente aufzuklären. Die Klägerin kam der Aufforderung zunächst nicht nach. Als sie es schließlich tat, wurde eine schwere Behinderung (Down-Syndrom, schwerer Herzfehler und Darmverschluss) des Kindes festgestellt. Ein Schwangerschaftsabbruch war wegen fortgeschrittener Schwangerschaft jedoch nicht mehr möglich.

Das Gericht bejahte eine Aufklärungspflichtverletzung auf Seiten des Arztes und sprach den Eltern den vollen Unterhaltsaufwand zu.

Quelle: OGH-Urteil vom 7.3.2006, GZ 5 Ob 165/05h

d)    2006 zu „wrongful conception“

Ein Mann hatte eine Vasektomie vornehmen lassen und wurde nicht über die Möglichkeit einer Wiederverbindung der Samenleiter vom Arzt aufgeklärt. Die Vasektomie schlug beim Kläger auch tatsächlich fehl und seine Frau wurde schwanger. Er begehrte vom behandelnden Arzt daher Ersatz der Unterhaltskosten für das Kind.

Das Gericht verneinte einen Schadensersatzanspruch auf Unterhalt für ein gesundes, wenn auch unerwünschtes Kind.

Quelle: OGH-Urteil vom 14.9.2006, GZ 6 Ob 101/06f

e)    2006 zu „wrongful conception“

Die Sterilisation versagte bei einer Frau, die erneut schwanger wurde und ein gesundes Kind zur Welt brachte. Die Eltern des Kindes begehrten Schadensersatz vom Arzt wegen Verletzung der Aufklärungspflichten über ein mögliches Schwangerschafts-Restrisiko trotz Sterilisation.

Der OGH verneinte erneut einen Schadensersatzanspruch auf Unterhalt für ein gesundes, wenn auch unerwünschtes Kind, betonte jedoch, dass in der ungleichen Behandlung von Unterhaltsansprüchen behinderter bzw. nicht behinderter Kinder keine Diskriminierung von Behinderten liege.

Quelle: OGH-Urteil vom 30.11.2006, GZ 2 Ob 172/06t

f)    2007 zu „wrongful birth“

Die schwere Behinderung (Klumpfüße, offene Wirbelsäule, Wasserkopf) eines ungeborenen Kindes wurde aufgrund einer mangelhaften Pränataldiagnostik und Aufklärung nicht erkannt. Die Schwangere hätte das Kind bei entsprechendem Wissen abgetrieben.

Der OGH sprach den Eltern wegen Verletzung des Behandlungsvertrages den gesamten Unterhaltsaufwand für ihr behindertes Kind zu.

Das Gericht führte im Urteil aus, dass pränatale Diagnostik regelmäßig zur Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes dient. Der Zweck der Pränataldiagnostik in der Schwangerenbetreuung würde dann auch darin bestehen, der Mutter (den Eltern) im Falle einer schwerwiegenden Behinderung des Kindes die Durchführung einer Spätabtreibung zu ermöglichen.

Quelle: OGH-Urteil vom 11.12.2007, GZ 5 Ob 148/07m

g)    2008 zu „wrongful conception“

Einer Frau wurden im Rahmen einer künstlichen Befruchtung drei, anstatt wie vereinbart zwei Embryonen eingesetzt, was zur Geburt von gesunden Drillingen führte. Die Eltern der Kinder verlangten ein Drittel der Kosten der Kinder und die Feststellung der Haftung der Beklagten für ein Drittel aller aus der Geburt der Drillinge für deren Unterhalt bis zu deren Selbsterhaltungsfähigkeit entstehenden Kosten.

Der OGH hatte bereits mehrmals judiziert, dass die Geburt eines gesunden Kindes keinen Schaden darstellt (Einheitstheorie), und daher auf den Titel des Schadenersatzanspruchs gestützte Klagen der jeweiligen Eltern abgewiesen. Das Gericht sah auch im vorliegenden Fall keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung abzugehen.

Quelle: OGH-Urteil vom 7.8.2008, GZ 6 Ob 148/08w

h)    2023 zu „wrongful birth und wrongful conception“

Ausgangspunkt der Entscheidung war die Klage von Eltern einer Tochter, die ohne linken Arm und mit einem unterentwickelten linken Brust- und Schulterbereich zur Welt kam. Die Fehlbildung wurde während der Schwangerschaft vom behandelnden Arzt sorgfaltswidrig nicht erkannt. Die Eltern brachten vor, dass sie ihr Kind abgetrieben hätten, wenn dem Arzt kein Fehler bei der Untersuchung unterlaufen wäre und er sie sachgemäß aufgeklärt hätte.

Der OGH sah im vorliegenden Fall den Schutzzweck des Behandlungsvertrags durch den Arzt verletzt und bestätigte den daraus entstandenen finanziellen Schaden in Form der Unterhaltverpflichtung der Eltern. Weil diese sich bei ordnungsgemäßem Vorgehen des Arztes gegen das Kind entschieden hätten, bekräftigte das Gericht, dass ihnen der gesamte Unterhaltsaufwand vom Arzt zu ersetzen sei.

Das Gericht äußerte sich im Rahmen der Entscheidung auch zu „wrongful conception“ und glich seine bisherige Rechtsprechung dazu an die von „wrongful birth“ an. In beiden Fällen sei ein nicht-fachgerechtes Vorgehen und eine nicht-ordnungsgemäße Aufklärung eines Arztes kausal für die unerwünschte Empfängnis bzw. Geburt eines Kindes. Deshalb hafte der Arzt unabhängig davon, ob es sich dabei um ein gesundes oder behindertes Kind handelt, für den gesamten von den Eltern zu tragenden Unterhaltsaufwand, so der OGH.

Quelle: OGH-Urteil vom 21.11.2023, GZ 3 Ob 9/23d

Einheitsthese

Laut der Einheitsthese ist die Unterhaltspflicht nicht von der Existenz des Kindes zu trennen. Da die Unterhaltspflicht aus dem Familienverhältnis entspringt und im Familienrecht abschließend geregelt ist, sei der Ersatz des Unterhalts aus dem Titel des Schadensersatzes daher abzulehnen.

Die abgeschwächte Einheitsthese lehnt zwar den Ersatz des Unterhalts ebenfalls prinzipiell ab, lässt ihn jedoch im Falle einer außergewöhnlichen Belastung der Eltern durch die Geburt des Kindes zu.

Trennungsthese

Vertreter der Trennungsthese sehen im Unterhaltsaufwand einen ersatzfähigen Vermögensschaden. Der Schaden würde laut dieser These jedoch nicht in der Existenz des Kindes bestehen, sondern im Entstehen der Unterhaltsverpflichtung.

 

Das österreichische Strafgesetzbuch sieht die Möglichkeit eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs vor (§ 97 StGB). Diese ist unter anderem dann gegeben, wenn beim ungeborenen Kind eine ernste Gefahr besteht, dass es geistig oder
körperlich schwer geschädigt sein wird (embryopathische Indikation). Der Schweregrad der geistigen oder körperlichen Schädigung ist anhand eines objektiven Maßstabs nach dem ärztlichen Erfahrungswissen unter Berücksichtigung des Schwangerschaftsstadiums und der Behebbarkeit zu beurteilen.

Nach herrschender Meinung ist ein Schwangerschaftsabbruch bei Vorliegen einer Indikation nicht bloß als straflos, sondern auch als rechtmäßig zu beurteilen. Dieser Ansicht folgte auch der OGH in seinen bisherigen Entscheidungen zu „wrongful birth“ und sie ist substanziell für seine rechtliche Beurteilung des Sachverhalts. Würde der Gerichtshof die embryopathische Indikation nämlich als rechtswidrig und lediglich straflos einstufen, wie der Wortlaut des Gesetzes (§ 97 Abs 1 Z 2 StGB) vermuten ließe, wäre die Ableitung eines vertraglichen Schadensersatzes nicht möglich. Der eingetretene Schaden (die aus der Geburt eines Kindes entstandene Unterhaltsverpflichtung) hätte dann nicht rechtswirksam (da die Abtreibung zwar straffrei, aber rechtswidrig erfolgt wäre) verhindert werden können und ein Schadenersatzanspruch kommt bei Verlust unerlaubter Vorteile nicht in Frage.

Die unterschiedlich langen Abtreibungsfristen für möglicherweise behinderte (bis zur Geburt) und nicht-behinderte (bis zum 3. Schwangerschaftsmonat) Kinder werden schon seit langem kritisiert und die Abschaffung der embryopathischen Indikation gefordert. Es wird immer wieder vorgebracht, dass die embryopathische Indikation eine moralisch unzulässige Bewertung behinderten Lebens darstellt und diskriminierend sei. Die Differenzierung ist auch aus menschenrechtlicher Sicht problematisch. Der UN-Ausschuss für die Behindertenrechtskonvention hatte beispielsweise mehrmals in seinen abschließenden Bemerkungen im Rahmen des Staatenberichts zu Österreich empfohlen, die Ungleichbehandlung von Kindern mit Behinderung in Bezug auf die Fristen von Schwangerschaftsabbrüchen abzuschaffen.

Defensivmedizin zur Klagsvermeidung

Die „Kind als Schaden“-Judikatur und das damit verbundene hohe Haftungsrisiko bei Nichterkennen und Übersehen von Fehlbildungen auf Seiten der Ärzte haben zum Teil zu einem verstärkten Drängen zur Durchführung erweiterte pränatal-diagnostischer Untersuchungen und bei einem darauffolgenden Verdachtsbefund zur Aufklärung und Beratung in Richtung Abtreibung geführt.

Auch wenn die Aufklärung zu einem wesentlichen und verpflichtenden Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit gehört, so richtet sich diese primär auf die Diagnose und nachfolgende Therapie von Erkrankungen und nicht darauf, eine Entscheidungsgrundlage für oder gegen die Tötung eines ungeborenen Kindes zu bieten.

Aufgrund des breiten Spektrums an Verdachtsbefunden und dem sehr unterschiedlichen Informationsbedürfnis von Patienten ist es auch kaum möglich, allgemeingültige Aufklärungsstandards für Pränataldiagnostik zu entwickeln, an deren Verletzung Schadensersatzansprüche geknüpft werden könnten.


Gefahr eines kindlichen Traumas

In den Verfahren wegen „wrongful birth“ müssen die klagenden Eltern zur Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche darlegen, dass sie ihr Kind bei Kenntnis seiner Behinderung abgetrieben hätten. Es ist anzunehmen, dass das Kind irgendwann von dem Verfahren und der Gerichtsentscheidung und damit davon erfährt, dass es nur durch einen Arztfehler und von den Eltern ungewollt zur Welt kam und seine Existenz als ein ersetzbarer Schaden ansehen wird.

Die Qualifizierung der Unterhaltsansprüche als Schaden führt trotz aller juristischen Argumentationsversuche (siehe Trennungsthese) dazu, dass die Existenz eines ungewollten oder behinderten Kindes als Schadensfall in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Dabei widerspricht ein derartiger Blick auf die menschliche Existenz zutiefst der Würde des Menschen.

Den betroffenen Kindern wird durch die Urteile vorgehalten, dass sie ungewollt sind und bei einer Behinderung abgetrieben worden wären. (Siehe Gefahr eines kindlichen Traumas)

Die Möglichkeit der Tötung eines ungeborenen Kindes aufgrund der Gefahr einer Behinderung wird durch die Judikatur gutgeheißen, obwohl die embryopathische Indikation eine Diskriminierung behinderten Lebens darstellt.

Ärzte drängen aus Angst vor möglichen Klagen Schwangere zu mehr pränatalen Untersuchungen und raten bei Verdacht auf eine Schädigung des Fötus häufiger zu einer Abtreibung. Damit handeln sie immer wieder entgegen ihrem beruflichen Ethos. (Siehe Defensivmedizin zur Klagsvermeidung)

Die Judikatur diskriminiert Eltern, die sich für ihr ungewolltes bzw. behindertes Kind entscheiden. Diese können nämlich keine Unterhaltsansprüche einklagen und den behandelnden Arzt in Haftung nehmen, weil sie das Kind auch bei Kenntnis seiner Behinderung nicht abgetrieben hätten. (vgl. 8. „Wen diskriminiert die „Kind als Schaden-Judikatur?“)

Trotz der vom OGH in seiner letzten Entscheidung vorgenommenen Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu „wrongful birth“ und „wrongful conception“ bleibt diese weiterhin diskriminierend. Denn obwohl das Gericht nicht mehr zwischen gesunden und behinderten Kindern unterschiedet, wird die Geburt eines Kindes nur dann zur Quelle finanzieller Entschädigung, wenn es gegen den Willen der Eltern empfangen oder einer Abtreibung entkommen ist. Damit werden jene Eltern diskriminiert, die sich für das Leben ihres ungewollten oder behinderten Kindes entscheiden. Ihnen steht kein Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für die Unterhaltskosten zu.

a)    Gesetzesvorschlag des Nationalratsabgeordneten Dr. Peter Fichtenbauer u. a. (46/A, XXIII. GP) vom 29. 11. 2006

Der Gesetzesvorschlag bezog sich auf die Einführung eines neuen Absatz 2 zum bestehenden § 22 ABGB:
(2) Aus der Tatsache der Geburt eines Menschen ist ein Anspruch auf Schadenersatz ausgeschlossen. Titel und Ansprüche jedweder Art, die bei Kundmachung dieses Gesetzes bestehen und die sich auf die Tatsache der Geburt eines Menschen gründen, sind hiermit erloschen.

Kritikpunkte

Der Gesetzestext schließt jegliche Ansprüche aufgrund ärztlichen Fehlverhaltens aus. Schäden wegen Behandlungsfehlern oder schuldhaft unterbliebenen Behandlungen mangels Kenntnis der Behinderung sollten aber weiterhin ersatzfähig bleiben. Zu denken wäre auch an eine pauschalierte Vertragsstrafe gegenüber dem sorgfaltswidrig handelnden Arzt zur Absicherung der Qualität der Pränataldiagnostik - auch wenn eine Behandlung des ungeborenen Kindes nicht möglich ist.

b)    Schadenersatzrechts-Änderungsgesetz 2011 (SchRÄG 2011) (255/ME, XXIV. GP)

Der Vorschlag der damaligen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner bezog sich auf die Einführung eines neuen Absatz 2 zum bestehenden § 1293 ABGB:
(2) Aus dem Umstand der Geburt eines Kindes kann niemand Schadenersatzansprüche geltend machen. Ausgenommen davon sind Schadenersatzansprüche aus einer Verletzung des Kindes während der Schwangerschaft oder der Geburt.

Kritikpunkte

In den Erläuterungen zum Gesetzestext wird jeglicher Schadensersatz aus Aufklärungs- und Diagnosefehlern verneint, womit auch eine pauschalierte Vertragsstrafe gegenüber dem sorgfaltswidrig handelnden Arzt ausgeschlossen wäre. Bei einer fehlerhaften Pränataldiagnostik durch die das Geburt-Setting nicht richtig geplant werden konnte oder die Einstellung der Eltern auf die besonderen Bedürfnisse ihres Kindes verhindert wurde, sollte ein Schadenersatzanspruch weiterhin möglich sein.


c)    Parlamentarische Bürgerinitiative von Aktion Leben „Mit Kindern in die Zukunft!“ (2009)

Die Bürgerinitiative enthielt u. a. folgenden Vorschlag, zum bestehenden § 1324 ABGB einen neuen § 1324a ABGB einzuführen:
§ 1324a Ein auf eine vorgeburtliche Behinderung gründender Schadenersatz besteht nur dann, wenn durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige ärztliche Fehlleistung eine Behinderung herbeigeführt oder verschlimmert oder deren Heilung oder Linderung nicht erreicht wurde. Ein Schadenersatzanspruch aufgrund eines unterlassenen Schwangerschaftsabbruchs ist in jedem Fall ausgeschlossen.

Aktion Leben schlug in der Bürgerinitiative anstatt eines Schadenersatzes eine solidarische Unterstützung von Eltern und Kindern mit besonderen Bedürfnissen, die Evaluation der Folgen der „Kind als Schaden“-Judikatur für die Schwangerenvorsorge zu angstbestimmter Risikoinformation und die Aufarbeitung der Folgen dieser Urteile für die verurteilten Ärzte, vor.

Kritikpunkte

Der Haftungsausschluss geht möglicherweise zu weit. Einen Arzt trifft als Sachverständigen eine erhöhte Sorgfaltspflicht und somit auch eine Haftung für leichte Fahrlässigkeit. Es sollten nur Unterhaltsansprüche im Gesetzestext ausgeschlossen werden.


d)    Fondslösung der Österreichischen Gesellschaft für Prä- und Perinatale Medizin, 2011

Die ÖGfPPM schlug die Einrichtung eines Fonds vor, der die Haftungsfrage der Gynäkologen, denen ärztliches Fehlverhalten vorgeworfen wurde, außergerichtlich prüfen sollte. Bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten des Arztes sollte sich der Fonds bei ihm regressieren können. Ansonsten würde der Fond den Arzt aus einer „unverhältnismäßigen“ Haftung (lebenslange Leistung des Gesamtunterhaltes bei Übersehen einer fetalen Fehlbildung im Ultraschall) entlassen. Bei grobem Verschulden würde den Eltern zusätzlich eine Klage auf zivilrechtlichem Weg offenstehen.
Im Allgemeinen aber könnten sich die betroffenen Eltern an den Fonds wenden, um für den immateriellen Schaden, der durch die Einschränkung der Familienplanung (durch „wrongful conception“ und „wrongful birth“) eingetreten ist, angemessenen Ersatz zu bekommen. Die Eltern müssten dabei nicht bekunden, dass sie ihr Kind bei Kenntnis der Behinderung abgetrieben hätten und die Bedürfnisse des Kindes sowie die Vermögensverhältnisse der Eltern würden bei der Bemessung des Schadensersatzes Berücksichtigung finden.

Offene Fragen

Der Vorschlag ging außer auf einen möglichen Solidarbeitrag von Gynäkologen nicht darauf ein, wie der Fonds finanziert werden sollte.

 

Im französischen Familienrecht (Code de l'action sociale et des familles Artikel L114-5) heißt es, dass niemand einen Schaden allein aufgrund seiner Geburt geltend machen kann.

Personen, die aufgrund eines Behandlungsfehlers mit einer Behinderung geboren wurden, können in Frankreich Schadensersatz verlangen, wenn die sorgfaltswidrige Behandlung die Behinderung direkt verursacht oder verschlimmert hat, oder es aufgrund des ärztlichen Fehlers nicht möglich war, Maßnahmen zu deren Linderung zu ergreifen.

Wenn eine Behinderung beim Kind aufgrund grober Fahrlässigkeit des Arztes während der Schwangerschaft nicht erkannt wurde, können Eltern nach der französischen Rechtslage nur den bei ihnen eingetretenen Schaden einklagen, der jedoch nicht die Unterhaltskosten, die sich aus der Behinderung des Kindes ergeben, umfasst. Diese sind bei Bedarf von der Solidargemeinschaft zu tragen.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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