Was Detransitioner bewegt und welche Hilfen sie brauchen, ist mittlerweile auch Thema der Forschung. Ein Team von Klinischen Gesundheitspsychologen fordert nun, den emotionalen, sozialen und identitätsbezogenen Herausforderungen und Bedürfnissen der Detransitioner besser gerecht zu werden. Die Betroffenen haben mit komplexen Gefühlen wie Trauer und Schuld zu kämpfen, sind aber auch mit Diskriminierung und Ablehnung konfrontiert, so das Ergebnis einer im International Journal of Clinical and Health Psychology (24 (2), April–June 2024, doi.org/10.1016/j.ijchp.2024.100467) publizierten Meta-Analyse.
Die Rückkehr ins eigene Geschlecht ist für viele ein harter Weg
Das Team um den klinischen Gesundheitspsychologen Pablo Exposito-Campos von der Universität des Baskenlandes untersuchte die Daten von 2.689 Personen, die nach einer Transgender-Behandlung wieder in ihr eigentliches Geschlecht zurückwollten. Von den 15 ausgewerteten Studien standen am Ende mehrheitlich Daten von Frauen zur Verfügung, die nach einer Vermännlichung detransitionierten. Dabei zeigte sich, dass die Rückkehr ins eigene Geschlecht oft mit einem Mangel an sozialer und professioneller Unterstützung verbunden war, fehlenden Informationen und Ressourcen, auch mit zwischenmenschlichen Schwierigkeiten, Identitätsproblemen und Stigmatisierung durch Detransphobie.
Detransitioner erfahren Abwertung und Vorurteile im täglichen Leben
Die Forscher meinen, dass die psychotherapeutische Arbeit mit Detransitionern darauf abzielen müsse, Erfahrungen und komplexe Emotionen anzuerkennen und bei Suche nach Sinn und Identität, sowie die Entdeckung persönlicher Stärken und Möglichkeiten zu unterstützen. Gleichzeitig müssen auch die negativen Aspekte angesprochen werden, die Detransitioner möglicherweise bereits in ihrem täglichen Leben erfahren haben – etwa Abwertung, Missverständnisse, Vorurteile – oder die in der Vergangenheit für sie problematisch waren wie geschlechtsspezifische Starrheit und Stereotypen. So gaben 53,3 Prozent der Betroffenen an, dass sie wegen ihrer Detransition sozialen Druck, mangelnde Unterstützung oder Diskriminierung erfahren. Dabei waren sie schon zuvor sozialem Druck ausgesetzt: 46,7 Prozent hatte auf Druck von Freunden, Familie, Partner oder Fachleuten eine Transgender-Behandlung vorgenommen.
Die Emotionen im Zuge der Detransition sind komplex
Die Analyse zeigte, dass die Betroffenen sich im Zuge der Rückkehr zu ihrem eigenen Geschlecht in einem Wechselbad der Gefühle befinden. Detransitioner sind zudem eine heterogene Gruppe. Geschlechtsdysphorie und Transitionswünsche standen bei 53 Prozent im Zusammenhang mit psychologischen Problemen und negativen Erfahrungen vor ihrer Transition. 33,3 Prozent meinten, dass ihre Probleme und Gefühle als Zeichen von Geschlechtsdysphorie oder Transidentität von Ärzten und Therapeuten missinterpretiert wurden. 26,7 Prozent hätten sich stattdessen jemand gewünscht, der ihnen geholfen hätte, ihre Beweggründe zu klären und ihnen Alternativen zur Transition angeboten hätte. Die Transition halten sie im Rückblick nicht für die beste Entscheidung. Demgegenüber stehen 20 Prozent ihrer Geschichte positiv gegenüber und sind zufrieden, dass es die Möglichkeit zu ihren körperlichen Veränderungen gegeben hat.
Deutschland: Steigende Transgender-Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen
Die Diagnose „Störung der Geschlechtsidentität“ hat sich in Deutschland in der Altersgruppe der 5- bis 24-Jährigen innerhalb von zehn Jahren verachtfacht. Das geht aus einer im Deutschen Ärzteblatt International veröffentlichten Studie (Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 370-1; DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0098) hervor, in der zum ersten Mal Kassendaten von 2013 bis 2022 ausgewertet wurden. Das Ergebnis: Im Jahr 2013 erhielten lediglich 22,5 von 100.000 kassenärztlich versicherten Kindern und jungen Menschen die Diagnose Transsexualismus. Im Jahr 2022 lag die Zahl bei 175/100 000. Bei Mädchen im Teenageralter ist die Diagnose in allen untersuchten Jahren besonders häufig.
Eine Mehrheit der Kinder und jungen Erwachsenen mit einer gestörten Geschlechtsidentität im Jahr 2022 hatte auch mindestens eine weitere psychische Diagnose erhalten, beispielsweise depressive Verstimmungen oder eine Borderline-Störung (67 Prozent bei den Buben und 76 Prozent bei den Mädchen).
Psychiater Korte: Transgender ist ein „Zeitgeistphänomen“
Der Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte wies gegenüber der NZZ (online, 1.6.2024) darauf hin, dass für junge Menschen die Diagnose ein Zeitgeistphänomen sei, das durch soziale Netzwerke und Influencer verstärkt werde. Bei älteren Menschen gebe es keinen vergleichbaren Anstieg der Diagnose. Außerdem handelt es sich offenbar nur um ein punktuelles Ereignis: Nach fünf Jahren hat laut den Studienergebnissen nur noch etwa ein Drittel der Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren eine gestörte Geschlechtsidentität. Bei den Mädchen im selben Alter waren es sogar nur rund 27 Prozent, bei denen die Diagnose bestehen blieb.
Viele europäische Länder haben angesichts des rasanten Anstiegs von Eingriffen zur Geschlechtsumwandlung bei Jugendlichen und Kindern Maßnahmen ergriffen. Statt einer vorschnellen Abgabe von potenziell schädigenden Hormonen, die meist in irreversible operative Eingriffe mündet, wird ein ganzheitlicher Zugang benötigt, um den Betroffenen gerecht zu werden (Bioethik aktuell, 24.4.2024).