Am 12. November endete offiziell die Frist zur Eingabe von Stellungnahmen zum Entwurf eines „Sterbeverfügungsgesetzes“ im vorparlamentarischen Begutachtungsverfahren (Online-Link: 150/ME (XXVII. GP) - Sterbeverfügungsgesetz; Suchtmittelgesetz, Strafgesetzbuch, Änderung | Parlament Österreich).
Zahlreiche Organisationen haben davon Gebrauch gemacht, darunter das Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), das Institut für Ehe und Familie (IEF), der Dachverband Hospiz Österreich, die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG), die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP), der Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen, die Österreichische Gesellschaft für Suizidprävention (ÖGS) und der Dachverband der österreichischen Sozialversicherungen.
Kritik an irreführendem Begriff: "Suiziderklärung" statt "Sterbeverfügung"
Unabhängig von der Positionierung zur Suizidassistenz an sich, wird in zahlreichen Stellungnahmen der Begriff „Sterbeverfügung“ als irreführend kritisiert. Nicht zuletzt die Österreichische Bioethikkommission fordert daher eine andere Bezeichnung, geht es doch um die Bestätigung eines Suizidwillens oder eines Entschlusses zur Selbsttötung, aber nicht um eine Verfügung zum Sterben an sich. Auch sei die Parallele zur Patientenverfügung irreführend, da es bei der Suizidassistenz darauf ankommt, dass der Sterbende im Besitz seiner Entscheidungsfähigkeit ist.
Straffreie Suizidassistenz muss an „Verfügung“ genküpft werden
Besonders beanstandet wird, dass die im „Sterbeverfügungsgesetz“ vorgesehene 12-wöchige Bedenkzeit, ebenso wie die Errichtung einer „Sterbeverfügung“ nicht zwingende Voraussetzungen für eine straffreie Suizidassistenz seien. Der VfGH aber habe gefordert, dass für die Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid die Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches und die tatsächliche Entscheidungsfähigkeit des Suizidenten festgestellt werden müssen. So kritisieren auch zahlreiche Juristen die mangelnde Verknüpfung zwischen der „Verfügung“ und der straffreien Suizidassistenz.
Auch sei nicht ausreichend sichergestellt, dass Krankenhäuser, Pflegeheime oder Einrichtungen der Hospiz- und Palliativversorgung tatsächlich frei sind, eine Beteiligung an der Suizidassistenz abzulehnen. In mehreren Stellungnahmen wird daher darauf gedrängt, das Benachteiligungsverbot im künftigen Gesetz noch deutlicher als im Entwurf zu formulieren. Es müsse privaten Trägerorganisationen die Freiheit garantiert werden, in ihren Häusern Suizidassistenz weder anbieten noch dulden zu müssen.
Einige Stellungnahmen im Detail
So fordert IMABE in Hinblick auf Selbstbestimmung und echte Wahlfreiheit einen Rechtsanspruch auf eine Palliativ- und Hospizversorgung. Außerdem sollte der Personenkreis für eine Suiziderklärung auf Patienten mit einer terminalen Erkrankrung eingegegrenzt werden. Denn: Wo assistierter Suizid ohne Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung erlaubt ist, zeichne sich ab, wer die gefährdetste Gruppe sei, nämlich Ältere und Hochaltrige sowie Menschen mit Behinderung. Außerdem dürften Palliativmediziner nicht in die Rolle von "Erfüllungsgehilfen" gedrängt werden. (IMABE-Stellungnahme 11.11.2021)
Das Institut für Ehe und Familie (IEF) hält nicht für vorstellbar, wie eine ärztliche Person – noch dazu ohne Facharzt oder Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin zu sein – umfassend erkennen soll, ob die suizidwillige Person ihren Entschluss unter psychischem Zwang oder Beeinflussung durch Dritte trifft. Das IEF legt zu diesem und anderen Punkten konkrete Alternativvorschläge vor. (IEF-Stellungnahme 12.11.2021)
Die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) sieht Palliativmediziner in der Rolle der Beratung, nicht als Begutachter. Zur Feststellung eines „freien Willens“ (Entscheidungsfähigkeit) existieren keine objektivierten, auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen basierten Instrumente, weshalb Ärzten diese Rolle nicht auferlegt werden sollte. Auch die Prognose betreffend der terminalen Phase sei unsicher, weshalb die Frist auf vier Wochen verlängert werden sollte. (OPG-Stellungnahme 7.11.2021)
Die Österreichische Gesellschaft für Suizidprävention (ÖGS) warnt vor einer verharmlosenden Benennung des Gesetzes und fordert u.a. eine verpflichtende psychiatrische Abklärung und eine längere Wartefrist von mindestens 6 Monaten. (ÖGS-Stellungnahme 12.11.2021)
Der Dachverband der Sozialversicherungen hält ausdrücklich fest, dass von Sozialversicherungen lediglich die Kosten einer Krankenbehandlung getragen werden können, nicht aber zB die ärztliche Aufklärung über eine Selbsttötung mithilfe tödlicher Präparate, wie im Gesetz vorgeschrieben. Dies sei keine Heilbehandlung. (Stellungnahme SV-Dachverband 09.11.2021)
Der Behindertenanwalt warnt davor, jegliche Behinderung als Krankheit im Sinne der Voraussetzungen einer straffreien Suizidbeihilfe zu sehen. Beihilfe zum Suizid - zum Beispiel durch Abholung des Medikamentes bei einer Apotheke - sollte nicht durch Erbberechtigte erfolgen dürfen. (Stellungnahme Behindertenanwalt 11.11.2021)
Der Dachverband Hospiz fordert u.a. eine verpflichtende psychiatrische Qualifikation einer der aufklärenden ärztlichen Personen und will den Begriff "sterbewillig" im Zusammenhang mit einer Suizidverfügung durch "suizidwillig" ersetzt sehen. (Stellungnahme Dachverband Hospiz 11.11.2021)
Der Österreichische Seniorenrat fordert u.a., dass eine der aufklärenden ärztlichen Personen Facharzt auf dem Gebiet der Erkrankung des Patienten sei sowie eine längere Bedenkzeit. (Stellungnahme Österreichischer Seniorenrat, 11.11.2021)
Österreichs Bischöfe alarmiert
Das derzeit in Vorbereitung befindliche Gesetz zur Regelung der Suizidbeihilfe war auch Themenschwerpunkt der Herbstvollversammlung (8.-11. Novmeber) der Österreichischen Bischofskonferenz (ÖBK). Schon mit ihrer Stellungnahme vom 1. Juni 2021 „Einander anvertraut – Assistenz zum Leben, nicht Hilfe zum Töten!“ stellten sich die Bischöfe klar gegen Suizidbeihilfe.
Ihre Sorge sehen die Bischöfe nunmehr bestätigt und warnen in ihrer Presseerklärung zur Herbstvollversammlung erneut vor den Folgen der Legalisierung des assistierten Suizids. In deutlichen Worten wird kritisiert, dass unterlassen wurde, das „Verbot der Tötung auf Verlangen“ abzusichern. Außerdem enthielte der vorgelegte Entwurf „gravierende Mängel“ und werde damit nicht einmal den vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingeforderten Möglichkeiten gerecht, Irrtum, übereiltes Vorgehen oder Missbrauch zu verhindern.
In ihrer Stellungnahme im vorparlamentarischen Begutachtungsverfahren wiederholt die Österreichische Bischofskonferenz ihre Kritik aus der Presseerklärung und geht auf die einzelnen Bestimmungen des Entwurfes ein. Den vollen Wortlaut der Stellungnahme finden Sie hier.
Weiterer Verfahrensablauf
Die Legisten des Justizministeriums haben nun wenige Tage Zeit, den Entwurf ggf. zu adaptieren. Anfang Dezember soll der Entwurf dann einem parlamentarischen Ausschuss zugeordnet werden. Nach dessen Bearbeitung wird die Gesetzesvorlage zur Beschlussfassung dem Nationalrat vorgelegt. Schließlich muss noch der Bundesrat zustimmen und der Bundespräsident unterschreiben. Das Bundesgesetz könnte dann mit 1.1.2022 in Kraft treten.