Bioethik aktuell

Menschlichkeit in der Pflege: Warum Tugenden für eine bessere Betreuung unverzichtbar sind

Patienten wünschen sich Fürsorge, Respekt und ein echtes Interesse an ihrer Person – nicht nur medizinische Expertise

Lesezeit: 03:26 Minuten

Gute Pflege ist mehr als nur medizinisches Wissen – sie erfordert Empathie, ethische Reflexion und zwischenmenschliche Kompetenz. Eine internationale Untersuchung zeigt, dass Tugenden wie Respekt, Verantwortungsbewusstsein und Ehrlichkeit nicht nur die Pflegequalität verbessern, sondern auch das Vertrauen zwischen Fachkräften und Patienten stärken. Eine personenzentrierte Pflege trägt nachweislich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden der Patienten bei.

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Ethisches Wissen und moralische Kompetenz von Pflegefachkräften und Ärzten wirken sich positiv auf den Arbeitsalltag und die Patientenbetreuung aus – das ist mehrfach belegt (Bioethik aktuell, 21.09.2024). Doch was genau verstehen die Betroffenen selbst darunter?

Das International Journal of Nursing Studies Advances hat 2025 dazu eine Studie veröffentlicht. 83 Teilnehmer (35 Patienten und 38 Pflegende) aus sechs europäischen Ländern wurden gefragt, was eine „moralisch kompetente“ Pflegefachkraft charakterisiert. Die zentrale Erkenntnis: Personenzentriertheit – eine Haltung der Fürsorge für den Patienten als individuelle Person – wurde als entscheidendes Merkmal identifiziert.

Die vertrauensvolle Beziehung als Grundlage der Pflege

Die Teilnehmer der Studie betonten, dass personenzentrierte Pflege auf einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Pflegenden, Patienten und Angehörigen basiert. Dies spiegelt sich in der spürbaren Sorge für den Patienten als Person wider: Der Patient ist jemand – nicht bloß „ein Fall“. Die Pflegende-Patienten-Beziehung bildet den Kern einer kompetenten Pflege, auch in ihrer moralischen Dimension.

Eine personenzentrierte Beziehung zeichnet sich durch eine reziproke Interaktion aus, in der die Bedürfnisse, Werte und Würde des Patienten anerkannt werden. Konkret bedeutet das, dass Pflegefachkräfte ein Wissen über den Patienten haben, das „tiefer als normal“ ist. Sie interessieren sich für den Patienten, übernehmen Verantwortung und haben ein Verständnis für seine sozialen und familiären Beziehungen.

Ethisches Wissen ergänzt empirisches Wissen

Die Hauptkomponenten der personenzentrierten Pflege werden in der Studie systematisch in drei Kategorien unterteilt: 1) Professionelles und ethisches Wissen (Knowledge); 2) Zwischenmenschliche und reflektierende Fähigkeiten (Skills) 3) Charakterbezogene, tugendhafte Haltungen (Attitudes)

Eine umfassende Pflegende-Patienten-Beziehung beinhaltet das Verständnis ethischer Prinzipien wie Menschenwürde und Autonomie sowie „ein sensibles Bewusstsein für die Werte und die Bedeutung des Lebens, der Gesundheit, des Leidens und der menschlichen Verletzlichkeit“. Die Teilnehmer betonten, dass Pflegende ein tiefes Verständnis dieser Prinzipien und Werte haben müssten, um sie in komplexen Situationen der Praxis anwenden zu können. So könnten ethische Konfliktsituationen schneller erkannt und gelöst werden. Regelmäßige Selbstreflexion über die eigenen Werte und das professionelle Handeln sei dabei essenziell.

Gute Kommunikation erkennt tiefere Wünsche der Patienten

Zu den Skills zählen vor allem zwischenmenschliche Kommunikationsfähigkeiten. Diese schaffen ein Umfeld des Vertrauens und der Sicherheit. Alle Teilnehmer betonten, wie wesentlich es ist, verbale und nonverbale Signale der Patienten wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren. Es müsse nach den zugrundeliegenden Ursachen für bestimmte Aussagen gesucht werden. Dafür seien hohe Sensitivität, aufmerksame Kommunikation mit Patienten und eine enge Zusammenarbeit mit Kollegen erforderlich.

Tugenden machen eine gute Pflegekraft aus

Die dritte Kategorie umfasst tugendhafte Charaktereigenschaften und Haltungen (Attitudes). Diese zu kultivieren ist ein zentrales Merkmal moralisch kompetenter Pflegefachkräfte und ermöglicht den Aufbau einer einfühlsamen Beziehung. Die Befragten nannten Empathie, Respekt, Ehrlichkeit, Mut, Offenheit und Unvoreingenommenheit als wesentliche Eigenschaften. Empathie stärkt die Beziehung und fördert nachweislich die Gesundheit der Patienten (Bioethik aktuell, 21.09.2024).

Patienten betonten, dass gute Pflegefachkräfte ihre eigene Verwundbarkeit zeigen und sich emotional zuwenden. Respekt – insbesondere gegenüber vulnerablen Gruppen wie älteren Menschen oder Menschen mit Behinderungen – sei zentral. Respekt bedeute für Patienten vor allem, nicht das Gefühl vermittelt zu bekommen, eine Last zu sein.

Individuelle Pflege denkt über Standardprotokolle hinaus

Personenzentrierte Pflege erfordert eine kritische Evaluation der Behandlung. Standardisierte Protokolle haben ihre Grenzen, die erkannt und adressiert werden müssen. Individuell zugeschnittene Pflege berücksichtigt persönliche Bedürfnisse und Umstände. In manchen Situationen ist der Mut gefragt, über tradierte Behandlungsformen hinauszugehen.

Personenzentrierte Pflege verbessert nachweislich die Gesundheit

Die Wirksamkeit der personenzentrierten Pflege wurde mehrfach wissenschaftlich belegt. Eine Meta-Analyse von 39 Studien (2023) ergab, dass persönliche Beziehungen und Empathie in der Pflege die Gesundheit und den Heilungsprozess der Patienten effektiv verbessern. „Hohe Empathie bei Pflegekräften erleichtert das Erfassen von Patientendaten, etwa um Einblick in die Sorgen, Gefühle und Belastungen des Patienten zu gewinnen.“(International Journal of Advanced Multidisciplinary Research and Studies, 2023).  

Patienten vertrauen empathischen Fachkräften mehr und teilen ihre Krankengeschichte selektiver mit empathischen Ärzten und Pflegenden (Journal of Patient Experience, 2017). Personenzentrierte Pflege führt zudem zu einer besseren Nahrungsaufnahme bei Patienten und steigert das Engagement im Pflegeberuf (Innovation in Aging, 2022, Healthcare, 2021).

Institut für Medizinische
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