„Palliative Care darf kein Luxus für wenige sein. Wir müssen daran arbeiten, dass sie tief im Selbstverständnis von Medizin und Pflege verankert wird.“ Das betonte der IMABE-Direktor und Internist Johannes Bonelli anlässlich des interdisziplinären Symposiums Palliative Care leben: Leiden. Lindern. Lernen, das vom Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) am 26. November veranstaltet wurde. An dem Webinar nahmen 250 Personen aus verschiedensten Gesundheitsberufen statt.
Ärztekammerpräsident: Mehr Ressourcen für Palliative Versorgung nötig
Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, unterstrich in seiner Grußbotschaft, wie wichtig der Ausbau der palliativen Versorgung angesichts der Sterbehilfe-Debatte in Österreich ist: „Ich bin froh, dass sich die Regierung dazu bekannt hatte, dafür mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen und hoffe, dass es auch umgesetzt wird.“ In Hinblick auf die gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid begrüßt Szekeres, dass dieser „restriktiv gehandhabt“ und „niemand unter Druck gesetzt werden soll, weder die Patienten, aber auch nicht behandeln Ärzte und das Gesundheitspersonal“.
Prominente Referenten der Tagung waren u.a. Raymond Voltz (Direktor des Zentrums für Palliativmedizin, Uniklinik Köln), der Theologe und Pflegewissenschaftler Andreas Heller (Karl Franzens Universität Graz), die Palliativmedizinerin und langjährige ärztliche Leiterin der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft, Elisabeth Medicus, der Leiter der Pflegeentwicklung der Liechtensteinischen Alters- und Krankenhilfe, Michael Rogner sowie der Ärztlicher Direktor der Ordensprovinz der Barmherzigen Brüder und designierte KAGES-Vorstandsvorsitzende, Gerhard Stark.
Auch Stark positionierte sich klar in der Frage des assistierten Suizids. Dieser stehe „in krassem Widerspruch zu den Aufgaben eines Krankenhauses und kann keine Leistungsoption in einem Krankenhaus sein“, betont Stark, selbst Internist. Stattdessen müssten alle pflegerischen und medizinischen Anstrengungen dahingehen, dem Patienten lebensbejahende Auswege aus seiner Krise zu ermöglichen.
Viele Patienten fühlen sich zu spät informiert
Allerdings fühlen sich Ärzte und Pflegende oft überfordert im Umgang mit Todeswünschen. Das hat negative Auswirkungen. Studien würden zeigen, dass sich „viele Patienten über eine zum Tode führende Diagnose nicht oder viel zu spät informiert fühlen“, sagte der Kölner Palliativmediziner Raymond Voltz. Noch immer würden Ärzte fürchten, dass Gespräche über den Tod Suizidgedanken auslösen könnten. Diesem Mythos widerspricht Voltz, das Gegenteil sei der Fall: „Patienten wünschen sich klare Informationen, sie wollen rechtzeitige Gespräche über Endlichkeit.“ Mögliche Todeswünsche sollten deshalb vom Gesundheitspersonal wahrgenommen und aktiv angesprochen werden, um damit einen Gesprächsraum für Sorgen und Ängste der Patienten zu ermöglichen.
Eine wahrhaftige Aufklärung schließt Hoffnungsperspektiven ein
„Menschen müssen sich auf Situationen und Verlusterfahrungen einstellen können, die unweigerlich mit der Erfahrung einer Krankheit verbunden sind“, bestätigte die Innsbrucker Palliativmedizinerin Elisabeth Medicus. Hoffnung ist ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität von Patienten, deren Ziel nicht mehr das Gesundwerden sein kann. „Ein Gesunder hofft auf ein langes Leben, Unabhängigkeit und einen aktiven Lebensstil. Bei einem Schwerkranken verändern sich die Lebensziele: Er hofft auf eine wirksame Symptomlinderung und eine gute Zukunft für seine Angehörigen. Die Verbundenheit mit anderen Menschen wird für ihn immer wichtiger.“ Eine wahrhaftige Aufklärung des Patienten schließt ein, zu erkennen, was für den Betroffenen wichtig ist und wie eine würdevolle Begleitung in der Krankheit aussehen kann.
Was wollen Palliativpatienten gestalten – und wo sich überlassen dürfen? Der Grazer Theologe und Pflegwissenschaftler Andreas Heller ortet in einer Gesellschaft, die auf Selbstbestimmung, -kontrolle und Selbstoptimierung setzt, einen Hang, unauflösliche Brüche und Ambivalenzen unseres Lebens durch „Planungs-Aktivität“ unter Kontrolle bringen zu wollen. Doch weder Tod, Sterben noch Endlichkeit könnten völlig kontrolliert werden. Heller plädierte für eine „Klugheit des Unterlassens“. Es sei wichtig, eine Haltung des Auf-Sich-Zukommen-Lassens, der Empfangsbereitschaft neu einzuüben. Sie beweise „Offenheit für Möglichkeiten, die sich ergeben, ohne dass man sie im Voraus nur geahnt hätte.“
Palliative Care in Pflegeheimen: Wichtige Rolle des Managements
Im Jahr 2020 starben in Österreich laut Statistik Austria 91.599 Menschen. Etwa jeder fünfte bräuchte eine spezialisierte Hospiz- oder Palliativbetreuung. Menschen in Pflegeheimen haben in der Regel einen hohen Bedarf an Palliative Care. Dazu gibt es mittlerweile viele kreative Projekte. „Wir beobachten aber zugleich, dass Palliative Care in der Langzeitpflege häufig am Einzelengagement von Mitarbeitern hängenbleibt“, sagt der Liechtensteiner Pflegeforscher Michael Rogner. Er zeigte auf, dass Palliative Care den Rückhalt im Management braucht, um nachhaltig in Einrichtungen etabliert werden zu können – mit einem personenzentrierten Ansatz, der eine „Dokumentitis“ vermeidet.
Weitere Themen des Symposiums befassten sich mit der Entscheidungsfindung im multiprofessionellen Team (Stefan Lorenzl, PMU Salzburg), den Möglichkeiten der palliativen Pflege (Gabriele Pachschwöll, Uniklinikum Krems) sowie der perinatalen Palliativversorgung (Brigitte Falli/Gudrun Simmer, St. Josef Krankenhaus Wien). Moderiert wurde die Veranstaltung von Christian Lagger (Geschäftsführer der Krankenhaus der Elisabethinen GmbH und neuer Vorsitzender der ARGE Ordensspitäler Österreich) und Susanne Kummer (Geschäftsführerin IMABE).
Der Tagungsband „Palliative Care leben“ erscheint im Frühjahr 2022 und kann über den Link https://www.imabe.org/publikationen/imago-hominis-bestellen bestellt werden.