Die meisten Ärzte legen zum Studienabschluss einen Eid ab, der gemäß der Tradition des Arztstandes oft einer modifizierten Version des Hippokratischen Eides entspricht. Doch für die wenigsten hat das Gelöbnis Einfluss auf ihre spätere professionelle Tätigkeit, zeigt eine Befragung, deren Ergebnisse in Archives of Internal Medicine (2011; 171: 469 - 471) publiziert wurden.
Von 1.032 praktizierenden US-Ärzten hatten mehr als 80 Prozent an ihrer Uni einen Eid geschworen (Hippokrates, Genfer Deklaration, Ethik-Kodex der American Medical Association usw.). Das Gelöbnis sollte ein Garant für gemeinsam akzeptierte ethische Richtlinien sein und das besondere moralische Gewicht der ärztlichen Tätigkeit bewusst machen. Doch nur 26 Prozent der Befragten gaben an, dass sie der Eid in ihrer Tätigkeit als Arzt nachhaltig beeinflusst oder ihnen als Richtlinie in ihrer medizinischen Laufbahn gedient habe. Für die meisten stelle der Eid nur noch ein Ritual, aber kein zentrales, sinnvolles, signifikantes Ereignis dar, erklärt der Internist und Co-Autor Farr A. Curlin von der University of Chicago. Curlin untersucht im Rahmen des universitären Program on Medicine and Religion die Frage des Zusammenhangs von Religion, Spiritualität und Medizin in der ärztlichen Tätigkeit. Jene Ärzte, die Religion für wichtig hielten, waren eher geneigt, dem Eid einen Einfluss zuzuerkennen als weniger Religiöse.
Auf die Frage, was ihnen in ethischen Fragen am meisten helfe, gaben über 90 Prozent der Ärzte an, sich in ihrer Berufspraxis auf ihr "persönliches Gefühl von richtig und falsch" zu stützen. Mehr als ein Drittel berief sich auch auf ein "großes moralisches Vorbild", 28 Prozent auf ihren religiösen Glauben und 16 Prozent auf den Ethik-Kodex der AMA. Innerhalb dieses weiten Spektrums von moralischen Traditionen in unserer Kultur sollte man laut Curlin Mittel intensivieren, wie Ärzte einander helfen können, in ihrer Berufsausübung höhere Werte als Geldverdienen und Erfolge anzustreben.